Unsere Woche Die Angst der Politiker vor der losen Kanone

Dinslaken · Warum Thomas Giezek manchen Politikerkollegen nervt, und warum die CDU sich arg kleingeistig verhält.

Preisfrage: Was haben die Seeleute früherer Jahrhunderte, die auf ihren Segelschiffen die großen Seeschlachten geschlagen haben, und heutige Politiker gemeinsam? Antwort: Sie haben eine Heidenangst vor losen Kanonen. Die Seeleute im Wortsinne. Nichts schlimmer für sie, als eine Kanone, die sich aus der Vertäuung gelöst hatte, als völlig unkontrollierte, zerstörerische Masse auf den Schiffsplanken umherflipperte und alles zermalmte, was ihr in den Weg geriet. Politiker verwenden den Begriff gern metaphorisch, um einen der ihren zu kennzeichnen, der unberechnbar und jenseits aller Parteidisziplin sein Ding macht und von dem sie meinen, dass er schnellstens unter Kontrolle gebracht werden sollte, bevor er größeren politischen Flurschaden anrichtet. In Dinslaken hat Sozialdemokrat Thomas Giezek die "lose Kanone" zu seiner Paraderolle erkoren. Und da offenbar seine eigene Partei nicht in der Lage ist, ihn einzufangen, ist nun den Christdemokraten der Kragen geplatzt, was nach allem, was man so hört, großen Teilen der SPD und dem von ihr gestellten Bürgermeister nicht einmal so unlieb ist. Die CDU fordert den Rücktritt Thomas Giezeks als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. Das kann sie ja tun, doch läuft sie dabei Gefahr, als arg kleingeistig identifiziert und mit der Frage, ob sie denn eigentlich nichts Besseres zu tun hat, konfrontiert zu werden. Ja, Thomas Giezek pflegt einen eher rustikalen Politikstil, die Methoden, die er anwendet, um seine Auffassungen durchzusetzen, gehören nicht immer zu den allerfeinsten. Kurzum: Giezek kann eine große Nervensäge sein - nicht nur für seine Parteifreunde, sondern für alle politisch Handelnden, die einen wohltemperierten politischen Umgangston über alles schätzen.

Nur, was hat Giezek aktuell getan, das die CDU jetzt wie weiland das HB-Männchen in die Luft gehen lässt? Er hat zu einem fröhlichen Kaffeetrinken eingeladen, und zwar nicht seinen "Freundeskreis", wie es die CDU suggerieren möchte, sondern Mitstreiter aus dem Jugendhilfeausschuss, die sich für den Ausbau der Dinslakener Spielplätze stark gemacht haben und jetzt stolz sind auf das Erreichte, das sie gegen den hinhaltenden Widerstand der Verwaltung durchgesetzt habe. Darunter war übrigens auch Michael van Meerbeck, der mittlerweile zwar sein Ratsmandat zurückgegeben hat, aber an der Entwicklung der Spielplätze für die CDU-Fraktion an maßgeblicher Stelle beteiligt war. Man muss schon arg formalistisch argumentieren, wenn man Giezek daraus jetzt einen Strick drehen möchte. Vielleicht nervt Giezek etliche seiner Politikkollegen ja auch nur deswegen so, weil er ohne Rücksicht auf Verluste - auch eigene - seinen Weg geht und sich damit nicht unbedingt in der Politik aber bei etlichen Menschen, um deren Interessen er sich kümmert, Ansehen erworben hat. Was der eine als stur, unbelehrbar und rechthaberisch empfindet, erlebt der andere eben als Geradlinigkeit. Auch darf man einmal die Frage stellen, wer oder was einen, der nun einmal so gestrickt ist wie Thomas Giezek denn zur losen Kanone werden lässt. Da hat die CDU dann recht, wenn sie auf den Bürgermeister weist. Ausgelöst worden sind die Provokationen Giezeks oft genug von der Verwaltung, speziell der Jugenddezernentin. Um das Verhältnis vieler Jugendpolitiker zur Verwaltung steht es nicht zum Besten. Das zu verbessern, wäre ein Feld, das der Bürgermeister endlich mal beackern sollte. Damit wäre mehr gewonnen als mit dem Versuch, einen unbequemen Politiker zu disziplinieren.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: joerg.werner@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort