Unsere Woche Der Torinstinkt der Bundestagsvizepräsidentin

Dinslaken · Warum sich die deutsche Nationalmannschaft ein Beispiel an Claudia Roth nehmen sollte, und warum die Grüne die Probleme der Sekundarschule dennoch nicht löst.

Tja, sie rumpeln noch ganz schön unrund vor sich hin, die Kicker im Sportleibchen mit dem Bundesadler und den inzwischen vier Sternchen auf der Brust. Meisterlich ist das nicht, was die deutsche Mannschaft bislang bei der Europameisterschaft in Frankreich bietet. Der Stimmung beim Rudelgucken in der DIN-Arena tut das allerdings keinen Abbruch. Die Zentralwerkstatt auf dem ehemaligen Zechengelände hat ihre Bewährungsprobe als Ersatzstandort bestanden. Das lässt sich nach zwei Spielen, die dort zu sehen waren, konstatieren. Die DIN-Arena-Macher haben also geliefert. Da wär's doch schön, wenn die Nationalmannschaft nachzöge.

Vielleicht sollten sich die Mannen von Jogi Löw ein Beispiel an der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth nehmen. Die, das hat sie in dieser Woche in Dinslaken bewiesen, weiß, wie man einen Ball aufnimmt und ins Tor befördert. Die grüne Politikerin war an der Friedrich-Althoff-Sekundarschule zu Gast, wollte sich den Islamunterricht von Lamya Kaddor ansehen, die ihr von deren Talkshowauftritten ein Begriff ist. Was musste sie erfahren? Die Sekundarschule steht nach gerade mal vierjähriger Existenz schon wieder vor dem Aus. Sagt jedenfalls das Schulgutachten.

Die Chance ließ sich die Vizepräsidentin natürlich nicht entgehen. Sie grätschte, wie es Basti Schweinsteiger zu seinen besten Zeiten auf dem Spielfeld auch nicht besser gekonnt hätte, dazwischen, bewies Torinstinkt und sagte das, was Eltern, Lehrer und Schüler gerne hören wollten. Die Schule muss natürlich erhalten bleiben. Und natürlich will Claudia Roth mit ihrer Parteifreundin Sylvia Löhrmann, ihres Zeichens Schulministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, darüber reden. Sicher, Claudia Roth hat sich jetzt nur knapp drei Stündchen an der Dinslakener Sekundarschule aufgehalten, was ihrer Urteilsfähigkeit doch recht enge Grenzen setzt. Und natürlich hat sie auch keine näheren Kenntnisse der speziellen Dinslakener Schullandschaft. Wie sollte sie auch? Aber egal: Chance erkannt. Tor gemacht. Abpfiff. Punkte eingesammelt. Aus diesem Holz sind Torjäger geschnitzt.

Schade nur, dass das der Schule wenig nützt. Klar, kraftvolle Worte einer Bundestagsvizepräsidentin tun ihr in dieser Situation gut. Sie helfen nur nicht weiter. Dass die Schule eine hervorragende Arbeit leistet, haben auch schon der Bürgermeister und jede Menge andere Dinslakener Politiker gesagt und würden es sicher immer wieder tun. Aber darum geht's ja gar nicht. Als hätte je jemand die Arbeit der Schule in Frage gestellt.

Das Problem ist ein ganz anderes. Schulleiter Silvio Husung hat's angesprochen, als er sich beim Besuch von Claudia Roth über die mangelnde Unterstützung von Stadt und Kommunalpolitik enttäuscht zeigte. Die Schule hat ein Problem, das auch mit den schönsten Worten nicht wegzureden ist. Ihr fehlen die Schüler. Und die fehlen ihr, weil es die Realschule gibt. Dieses Problem haben die städtische Schulverwaltung und die Politik bei der Gründung der Sekundarschule geflissentlich ignoriert.

Die Erklärung dafür, dass sie das getan haben, liegt auf der Hand. Die Realschule ist bei den Eltern gefragt. Fürs kommende Schuljahr hat sie nach der Ernst-Barlach-Gesamtschule die zweitmeisten Anmeldungen aller weiterführenden Schulen in Dinslaken. Wollte die Politik also diese Schule in Frage stellen, drohte ihr ein veritabler Aufstand. Den möchte sie um jeden Preis vermeiden. Dumm nur, dass sie sich in eine klassische Zwickmühle laviert hat. Wie wollte sie den Eltern der Sekundarschüler, denen sie diese Schule doch so angepriesen hat, nun erklären, dass sie ihre Kinder zu Versuchskaninchen gemacht und diesen Versuch dann so angeordnet hat, dass er zum Scheitern verdammt war?

Eine Zwickmühle ist, das weiß jeder, der das Brettspiel schon einmal gespielt hat, eine nahezu ausweglose Situation. Ihr kann man kaum entrinnen und verliert einen Stein nach dem anderen.

Was Dinslakens Politik jetzt tun wird? Keine Ahnung. Bis jetzt spricht alles dafür, dass auch sie selbst noch keinen blassen Schimmer hat. Das Schlimmste allerdings wäre, sie täte nichts

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: joerg.werner@rheinische-post.de

(RP)
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