Der evangelische Geistliche Jürgen Widera geht in den Ruhestand Der „Industriepfarrer“ sagt Adieu

Arbeitskampf in Stahlwerken, Niedergang der Bergwerke, Gottesdienste am Koks-Ofen: Er hat alles mitgemacht. Der evangelische Geistliche Jürgen Widera geht in den Ruhestand. Er stand im „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“.

 Ab jetzt für alles mehr Zeit und Ruhe – zumindest, wenn erstmal das Büro ausgeräumt ist: Pfarrer Jürgen Widera ist in den Ruhestand gegangen.

Ab jetzt für alles mehr Zeit und Ruhe – zumindest, wenn erstmal das Büro ausgeräumt ist: Pfarrer Jürgen Widera ist in den Ruhestand gegangen.

Foto: Kirchenkreis Duisburg

32 Jahre lang war Jürgen Widera, kurz gefasst, der „Industriepfarrer“. Krupp-Krise, Arbeitskämpfe, Werksschließungen: „Wir haben den Stukturwandel in der Region insgesamt begleitet mit Kohle und Stahl“, sagt der evangelische Geistliche. Jetzt ist er im Ruhestand.

Was seine intensivsten Erinnerungen an die vergangenen drei Jahrzehnte ausmacht: „Generell die vielen Gottesdienste, die wir feiern durften am Ort der Arbeit“, sagt der 65-Jährige. „Gerade auch im Zusammenhang mit Kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen.“ Er glaubt, dass das wichtige Momente waren für die Menschen, aber auch für seine Institution. „Das hat uns in der Arbeiterschicht neue Vertrauen als Kirche gebracht: Dass wir rausgehen aus unseren Gotteshäusern und mit denen am Koks-Ofen, am Zelt bei der Mahnwache, Gottesdienste feiern.“ Das, sagt er, seien emotionale Erfahrungen gewesen. „Momente, die man nicht vergisst.“

Er blickt zurück auf die Anfänge in seiner Aufgabe. Ende der 80er Jahre fand er sich als junger Pfarrer, gerade raus aus dem kirchlichen Probedienst, im Arbeitskampf bei Krupp wieder, mitten in der heißen Phase des Protestes. Viele Jahre lang waren später der Bergbau und die Konflikte darum ein wichtiges Arbeitsfeld für Widera im „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ (KDA). Etwa der Streit um den Rahmenbetriebsplan des Bergwerks Walsum Anfang der 2000er Jahre.

Für Walsum, Dinslaken und Umgebung sei das prägend gewesen. „Ein Streit, der mitten durch unsere Kirche ging, mitten durch unsere Presbyterien“, erinnert sich Jürgen Widera. Einerseits waren da Angst um Arbeitsplätze, große Sorgen der Betroffenen. Dagegen stand die Bewahrung der Schöpfung, der Umweltschutzgedanke. „Wir als Kirche haben uns gut überlegen müssen: Wie gehen wir damit um?“

Seine eigene Meinung dazu hat er sich gebildet. Er sagt: „Das kann man nicht zu einer Seite hin auflösen.“ Weder seien Jobs wichtiger als alles andere, noch dürfe man soziale Fragen und persönliche Nöte von Menschen vom Tisch wischen. Und vor allem dürfe man beides nicht gegeneinander ausspielen. So habe sich die Kirche seinerzeit für eine Moderatoren-Rolle entschieden und dafür, „für Lösungen zu streiten, die niemanden hintenüber fallen lassen. Und das ist uns letztendlich gelungen.“ Die Kirche habe mäßigend gewirkt, „als der Konflikt zu eskalieren schien, als Gewalt ins Spiel zu kommen drohte“.

Seine Überzeugung ist: Es liege nicht in der Macht der Kirche, in den Konflikten der Arbeitswelt wirklich Lösungen herbeizuführen. Ihre Aufgabe sei es, Menschen Mut zu machen, ihnen Kraft zu geben und sich auch in der Öffentlichkeit einzumischen und Stellung zu beziehen auf der Seite der Schwachen.

Seinen Abschied nimmt er mit einem guten Gefühl, „weil ich sehr dankbar zurückblicken kann auf diese Zeit. Die war sehr intensiv. Ich habe viel erleben dürfen.“ Er freue sich, im Ruhestand mehr Zeit zu haben als früher. Wobei er im Moment noch vollauf mit Aufräumarbeiten beschäftigt ist: Der KDA stellt seinen Dienst ein, das Büro wird aufgelöst.

Jürgen Widera wird auch in Zukunft weiterhin tätig sein als Ombudsmann für die Loveparade-Opfer oder im Rahmen von Schulungen mit Auszubildenden. „Und ich denke, den einen oder anderen Gottesdienst gibt es auch noch“, sagt er. Aber alles mit etwas mehr Ruhe.

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