Dinslaken Blaue Jazz-Perlen

Dinslaken · Jazz-Klassiker eins zu eins nachzuspielen ist langweilig. Joachim Schoenecker verneigt sich vor den Legenden des renommierten Blue-Note-Labels auf andere Art. Der Gitarrist verändert und modernisiert die Arrangements oder bürstet sie gegen den Strich. Das Ergebnis ist faszinierender Jazz.

Joachim Schoenecker ist Traditionalist. Er fühlt sich dem Original verpflichtet. Zugleich weiß er, dass man Herbie Hancock, Horace Silver, Wayne Shorter, John Coltrane, Miles Davis und anderen Größen, die auf dem Blue Note Label Jazzgeschichte geschrieben haben, seine Referenz nicht dadurch erweist, dass man in stiller Demut das Haupt vor ihnen neigt. Deshalb ist Schoeneckers Blue Note Project auch kein nostalgischer Akt, sondern im besten Sinne innovativ. Es ist zupackender Jazz von erstaunlicher Frische, kraftvoll, sensibel, und vor allem zeitlos. Im voll besetzten Ledigenheim in Lohberg gab es die Blauen Noten jetzt live. Und weil bald Weihnachten ist und es das letzte „Jazz im Mittelpunkt“-Konzert des Jahres war, wuchtete das Joachim Schoenecker Sextett ein besonders dickes Notenpaket auf die Bühne.

Völlig enspannt

Zur Einstimmung serviert Schoenecker in Trio-Besetzung Buddy Montgomerys „Bud’s Beaux Arts“. Sofort ist er da, dieser unverwechselbare warme, wohlklingende Ton. Der 41-Jährige zaubert ihn mit enormer Fingerfertigkeit aus den Saiten. Die Wechsel zwischen Linien und Akkorden erfolgen schnell, manchmal rasend. Dennoch klingt Schoeneckers Spiel, gestützt von Hans Dekker am Schlagzeug und dem für den erkrankten John Goldsby eingesprungenen Bassisten Henning Geiling, völlig entspannt. Der Gitarrist lässt es gern swingen. Und Mainstream ist für ihn kein Schimpfwort.

Das wird noch deutlicher, als er die Rhythmusgruppe um eine dreiköpfige Bläsersektion erweitert. Ludwig Nuss übernimmt mit der Posaune die Arbeit am linken Flügel. Schnörkellos, auf jegliche Mätzchen verzichtend, setzt er punktgenaue Akzente. Rechts brilliert Karolina Strassmayer am Altsaxofon. Das Spiel der Österreicherin wirkt ungeheuer agil, die Virtuosität, mit der sie die Läufe hinlegt, beantwortet die Frage, warum sie die erste Frau in der WDR Big-Band ist, noch bevor sie gestellt wird. John Marshall ist der Leitwolf an der Trompete. Druckvoll gibt er den Ton an, immer fordernd, immer treibend. Auch er ist – wie die beiden anderen der Blechabteilung – ein hervorragender Solist und Garant für blitzende Bläser-Power. Davon gibt es reichlich an diesem sehr langen Jazz-Abend. Da wird Joe Hendersons „The Kicker“ neues Leben eingehaucht. Herbie Hancocks „Driftin’“ kommt als wunderbar leichte Relax-Nummer daher. Und Kenny Burrells Sixties-Klassiker „Midnight Blue“ erfährt dank Schoeneckers Feinschliff eine nie gekannte atmosphärische Dichte. Irgendwann greift der Musiker, der in den 70ern lieber McLaughlin als Glamrock hörte, zur Akustischen und legt Wayne Shorters „Virgo“ auf. Die Nylonsaiten sind für diese Ballade ein Muss. Da klingt der Ton noch wärmer, weicher, runder. Die Gitarre ersetzt das Klavier mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte es das Original nie gegeben. Diese Musik berührt und zeigt zugleich, wie prägend intensive Begegnungen mit einem John Scofield, Pat Metheny und George Benson sich selbst auf das Formen zartester Tongebilde auswirken können.

Das war’s dann aber auch schon mit dem Ausruhen. Mit Tempo, Energie und Schweiß setzen die Musiker ihren Tauchgang nach den blauen Perlen fort. Die Rhythmusgruppe rackert, die Bläsersektion bopt, das es kracht. Und Schoenecker spielt sich und das Publikum schier schwindelig. Eine Zugabe will es trotzdem. Gewährt. Tolles Konzert – und für die Jazz Initiative ein gelungener Abschluss eines fantastischen Jazzjahres.

(RP)
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