Voerde Abschied von einem Schmuckstück

Voerde · Die über 100 Jahre alte Veranstaltungsstätte ist bald Geschichte. Am 31. März schließt das Gasthaus Westerfeld-Arens.

 "Der Graf von Heidelust" wird bis heute in den Kulissen gespielt, die Hermann Hallen für die Uraufführung 1954 malte.

"Der Graf von Heidelust" wird bis heute in den Kulissen gespielt, die Hermann Hallen für die Uraufführung 1954 malte.

Foto: heinz Kunkel

Das Gespenst der Weißen Dame spricht die prophetischen Worte im dritten Akt: "Dein Geschlecht wird vergehen und dein Haus wird verfallen." Worte, die Willi Nosbisch derzeit bei jeder Aufführung des Volksstücks "Der Graf von Heidelust" im Gasthaus Westerfeld-Arens treffen. Denn der Saal selbst soll schon bald wie Haus Heidelust, dessen Schicksal dort auf der Bühne erzählt wird, nur noch Erinnerung sein. Am 31. März, so bestätigt Bernd Arens, wird das Gasthaus geschlossen. Ein Investor, der nicht genannt werden wolle, habe einen Kaufvertrag unterzeichnet, um auf dem Grundstück Wohnungen zu bauen. "Es tut weh", sagt Willi Nosbisch, "dass das letzte Kulturgut in Spellen, der Saal und die Gaststätte, dem Bagger anheimfallen".

Die über 100 Jahre alte Veranstaltungsstätte mit einer Kapazität von circa 250 Plätzen besticht nicht nur durch ihre unverbaute architektonische Klarheit und hervorragende Akustik, sie steckt für viele alteingesessene Spellener voller Erinnerungen. "Da könnte man ein komplettes Buch drüber schreiben", weiß Peter Hallen und zieht wie für ein erstes Kapitel Kopien von alten Aufzeichnungen der Spellener Dorfgeschichte hervor.

Die Aufzeichnungen führen zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Johann Christoph Kampen, den jeder nur Bartjes Jan nennt, da sein Vater den Bartgenshof besitzt, baut sich als zweiter Sohn der Familie 1856 ein eigenes Haus, das 1879 zur Gaststätte wurde. Bartjes Jan hatte nicht nur ein gutes Händchen für Geschäfte, ihm war auch das Glück hold. Neben seinem Haus hat er nicht nur ein Sägewerk und - passend zum Gasthaus - eine eigene Schnapsbrennerei errichtet, er gewann 500 Goldtaler in der Lotterie, mit denen er die Gaststube ausbauen und noch eine Getreidemühle errichten konnte. Jan Bartjes zweiter Sohn Hermann, der im Jahr des Hausbaus geboren wurde, führte die Gastwirtschaft bis zu seinem frühen Tod 1900 weiter.

Als August Westerfeld das Haus vom "Dampfmühlenbesitzer Heinrich Kampen" zum 1. Januar 1911 pachtet, gehören zum Objekt nicht nur Stallungen, sondern auch der neuerbaute Saal. Eine Veranstaltungsstätte im Stil der Music Halls, mit einer U-förmig den Zuschauerraum umgebenen Galerie unterm hohen Tonnengewölbe und einer klassischen kleinen Theaterbühne. 1954 fand im Saal die Uraufführung des "Graf von Heidelust" statt, die Kulissen, die Peter Hallens Vater Hermann dafür malte, werden bis heute unverändert genutzt. Und würden heute noch Papiertheater gebaut, würden der Saal und die Bühne eine perfekte Vorlage geben. Aber die Theateraufführungen des MGV Spellen und heute der BIG Spellen waren nur ein kleiner, wenn auch nicht unbedeutender Teil der Aktivitäten im Saal. Für die Chöre des "singenden Dorfes" war er Konzertsaal und für den Sportverein SV Spellen sogar von 1920 bis 1966 die Turnhalle. Manfred Ridderskamp hat noch Fotos der Turnerinnenriegen, die in den 50er Jahren ihre Wettkämpfe im Saal ihres Vereinslokals austrugen.

Selbst zum Vorläufer des Public Viewing wurde der Saal genutzt, eine Vorstellung, die heute schmunzeln lässt: 1954 versammelte sich sozusagen ganz Spellen im Saal, während auf der Bühne ein Schwarzweißfernseher mit 43 Zentimetern Bilddiagonale flimmerte: Deutschland war Weltmeister.

Ob zum Frühschoppen mit Tanzmusik bei Kirmes oder Schützenfest oder zum Feiern an Weihnachten, zu Hochzeiten und Beerdigungen, man traf sich im Saal, erinnern sich Marta Kampen und Helmut und Hans Hofmeister. In den 80er Jahren sei der Andrang bei den Karnevalsfeiern so groß gewesen, dass man die Fenster mit Spackschrauben habe sichern müssen. Der Saal wurde übrigens bis in dieses Jahrtausend hinein immer wieder renoviert und dabei auch die Holzfenster durch optisch gleich aussehende Kunststofffenster ersetzt.

Bis 1982 wurde das Gasthaus von Käthe Westerfeld und ihrem Bruder Wilhelm Neukäter bewirtschaftet, es folgte das Ehepaar Helga und Dieter Wolters und Mitte der 90er Jahre Bernd Arens. Wenn am 21. März der letzte Vorhang für den "Graf von Heidelust fällt", endet auch ein Stück Spellener Kulturgeschichte.

Den Flügel, den der MGV 1954 von den Einnahmen der Premiere erstand, wird vom Frauenchor Spellen nun aus Platzgründen verkauft werden müssen. Es wird ein wenig stiller werden im Rheindorf. Und der Niederrhein verliert einen seiner letzten großen Säle, in denen Bürger ihr kulturelles und soziales Leben in Eigenengagement bereicherten.

(RP)
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