Stadtflucht Schrebergärten - lieb und teuer

Düsseldorf · Schrebergärten erleben eine Renaissance: Vor allem junge Familien in Großstädten sehnen sich nach ihrem eigenen Stück Natur - und warten teilweise Jahre darauf. Auch Familie Schmidt musste sich zwei Jahre lang gedulden.

Levi (5) öffnet das Holztor mit der silbernen "13" und läuft schnurstracks zum Trampolin. Nach ein paar Sprüngen geht er zu einem Beet und mustert die kleinen Erdbeeren. Sein Bruder Anton (2) hat hingegen nur Augen für die Fahrzeuge. Mit einem Spielzeug-Bagger fährt er zwischen Gänseblümchen durch das Gras zum kleinen Seerosenteich. Die Eltern der Jungen, Sebastian Schmidt und Sandra Fabricius-Schmidt, haben hier im Kleingartenverein "Am Balderberg" in Düsseldorf-Gerresheim einen Schrebergarten gekauft. Großstadtlärm? Fehlanzeige. In welche Richtung man sich auch dreht - alles ist grün. "Wir hatten in Gerresheim eine Wohnung ohne Garten - wollten aber, dass unsere Kinder naturnah aufwachsen", erzählen die Eltern.

Früher galten Schrebergärten als Inbegriff des Spießertums. Diese Zeiten sind vorbei. "Gärtnern ist modern", sagt Michael Franssen, Geschäftsführer des Kreisverbandes Kölner Gartenfreunde. "Seit etwa vier Jahren rücken Familien mit Kindern nach. Wir bemerken einen schleichenden Generationswechsel in den Kleingärten." Das beobachtet auch Nicole Mesch vom Stadtverband Düsseldorf der Kleingärtner: "Viele junge Familien interessieren sich für Gärten, vor allem nahe der Innenstadt."

2012 bewarb sich Familie Schmidt für einen Kleingarten. Lange passierte nichts: "Zwischendurch habe ich gedacht, dass es nicht mehr klappt", erzählt Sandra Fabricius-Schmidt. Im Jahr 2014 bekam die Familie dann die Zusage und übernahm den Kleingarten eines älteren Ehepaares. "Pro Jahr werden etwa drei Gärten frei, wenn meist ältere Pächter sie abgeben", erklärt der Vereinsvorsitzende Emil Flisikowski. "Zuletzt hatten wir aber 30 Interessenten. So entstehen lange Wartezeiten." Die Anlage "Am Balderberg" ist besonders begehrt, weil sie im vergangenen Jahr den NRW-Landeswettbewerb für Kleingartenanlagen gewonnen hat.

Der Trend zu Schrebergärten ist kein lokales Phänomen: "Vor allem in Großstädten, unter anderem in Düsseldorf, Neuss, Mönchengladbach, Köln und Wuppertal, gibt es teils lange Wartelisten", sagt Marianne Genenger-Hein, Pressesprecherin des Landesverbandes Rheinland der Gartenfreunde. "Dort gibt es quasi keinen Leerstand." In Berlin ist gar die Rede von mehr als 10.000 Menschen, die auf der Suche nach einem kleinen Stück Grün sind.

"Immer mehr Menschen ziehen aus ländlichen Regionen in Ballungsgebiete, wünschen sich aber Naturnähe - und suchen daher Ausweichmöglichkeiten wie einen Kleingarten", erklärt Ludwig Dorffmeister, Bauexperte am Münchner ifo-Institut. Zudem bleibe mehr Zeit für Freizeitaktivitäten, da es der breiten Bevölkerung gut gehe. "Viele Eltern suchen deshalb eine sinnvolle Freizeitgestaltung für ihre Kinder", sagt Friedhelm Doll, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Rheinland der Gartenfreunde.

Familie Schmidt hatte ihren Schrebergarten anfangs gepachtet, nach einiger Zeit dann für 5000 Euro gekauft. Das kann sich nicht jeder leisten - erst recht nicht in den Metropolen des Landes. So ist zu hören, dass in Hamburg und Berlin für die Übernahme eines Gartens mit Laube, Pflanzen und Gartengeräten horrende fünfstellige Ablösesummen bezahlt werden. In Hamburg wurde aus diesem Grund ein Höchstpreis von 10.000 Euro festgelegt. "Solche Summen gibt es in NRW zum Glück nicht", sagt Marianne Genenger-Hein.

Für Familie Schmidt war es eine lohnende Investition: "Die Kinder genießen die Zeit im Garten und wollen gar nicht mehr nach Hause", erzählen die Eltern. "Außerdem haben wir hier viele nette Menschen kennengelernt. Die Kinder lieben unseren Nachbarn, er ist wie ein Großvater für sie."

Vier bis fünf Tage in der Woche verbrachte die Familie im Kleingarten. Im vergangenen Jahr zogen die Schmidts nach Mettmann - in ein Haus mit Garten. "Den Schrebergarten haben wir aber behalten, das ist etwas Anderes. Er ist liebevoll gestaltet und eine Alternative zum Spielplatz", sagt Sandra Fabricius-Schmidt. Heute sind die Kinder noch ein bis zwei Mal pro Woche im Kleingarten. Dort gibt es einen Sandkasten, eine Hängematte, eine Rutsche und ein Trampolin. "Der Teich mit Fischen ist für sie auch immer ein Erlebnis", sagt Fabricius-Schmidt. Auf der knapp 400 Quadratmeter großen Fläche pflanzt die Familie außerdem Obst und Gemüse an. "Es ist uns wichtig, dass die Kinder sehen, wo Obst und Gemüse herkommen. Sie sollen Verantwortungsbewusstsein für Umwelt und Natur entwickeln."

Der Frühling ist die Hauptarbeitszeit der Familie. "Es gibt immer etwas zu tun, so ein Kleingarten ist sehr aufwendig." Apfel, Kürbis, Kohlrabi, Salat, Rhabarber, Kartoffeln, Feige, Erdbeeren und Kräuter - all das gibt es im Garten der Familie. Damit erfüllen sie auch die Regeln des Bundeskleingartengesetzes: Das gibt beispielsweise vor, dass der Kleingarten zu mindestens einem Drittel mit Obst und Gemüse bewirtschaftet wird. Verboten ist etwa dauerhaftes Bewohnen von Gartenlauben. Wer sich nicht daran hält, bekommt Ärger mit den Nachbarn oder kann sogar gekündigt werden. "Dass es Regeln gibt, finde ich sinnvoll", sagt Sandra Fabricius-Schmidt. "So ist gewährleistet, dass jeder etwas macht." Akkurat gemähten Rasen und Gartenzwerge setzt das Gesetz aber nicht voraus.

Von März bis Oktober nutzt die Familie den Garten. "Wir waren aber auch schon mal im Winter hier, und die Kinder konnten im Schnee spielen", sagt Sandra Fabricius-Schmidt. Kühle Tage verbringt die Familie auch im Steinhaus mit Sofa, Tisch und Küche. "Wir feiern hier Kindergeburtstage oder grillen mit Freunden", erzählt sie.

An Herbst ist aber noch lange nicht zu denken. Der Sommer steht vor der Tür - und einige Erdbeeren sind bereits knallrot. Levi pflückt behutsam ein paar und legt sie mit breitem Grinsen in den Korb.

(mba)
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