Säuretanker blockiert 450 Schiffe

Seit der Havarie bei St. Goarshausen vor fast drei Wochen kann kaum ein Kapitän mit seinem Schiff die Unfallstelle passieren – Stau auf dem Rhein. Welche Folgen – wirtschaftliche, aber auch psychologische – das für die Binnenschiffer hat, berichten zwei Betroffene, die in Mainz festliegen.

Mainz Im Wohnzimmer von Albert Teuben fällt vor allem eines auf – das gut gefüllte Bücherregal. Stolz präsentiert der 54-Jährige den neuen Tom Clancy, noch eingeschweißt. Daneben steht fast alles von Grisham und Forsyth. Spannungslektüre. Gegen die Langeweile. "Langsam zerrt das Warten an den Nerven", sagt er. Teuben ist Binnenschiffer. Mit seinem Gütermotorschiff "Stella Maris" liegt er seit zweieinhalb Wochen in Mainz fest. Eigentlich muss er 2000 Tonnen Dünger ausliefern. Aber seit die mit Schwefelsäure beladene "Waldhof" am 13. Januar bei St. Goarshausen kenterte, geht stromabwärts auf dem Rhein nichts mehr. Rund 450 Schiffe warten derzeit in Mainz, Mannheim und weiter flussaufwärts auf die Weiterfahrt – und der Stau wächst täglich.

"So etwas habe ich in den vergangenen 30 Jahren als Kapitän nicht erlebt", sagt Teuben. Ein paar Tage, das lasse sich aushalten – beispielsweise als im März 2007 das Frachtschiff "Excelsior" bei Köln ein Dutzend Container verloren hatte. Damals stand Teuben auch im Stau. Aber drei Wochen? Das geht an die Substanz. "Ein Tag kostet mich mindestens 1500 Euro", erklärt Teuben, der als Eigentümer für die Main-Schifffahrts-Genossenschaft fährt. Seine zwei Mann Personal hat er schon nach Hause geschickt, nur seine Frau ist noch mit an Bord. Teuben kennt andere Schiffer, die noch weit schlechter dran sind als er. Verzweifelt, kurz vor dem Ruin. Mehr will er nicht erzählen. Aber das Wenige reicht. Er selbst zwingt sich zu Optimismus. "Dieses Jahr muss ich eben weniger Steuern zahlen", sagt er und lächelt. Aber man sieht ihm die Sorgen an, sieht, wie es in ihm arbeitet. Seine Gelassenheit ist aus der Not geboren.

Neben der "Stella Maris" liegt die "Rheinland" von Kapitän Laurent Siemers. Er war einer der ersten, die es erwischt hatte. Seit drei Wochen hat sein Schiff sich keinen Zentimeter mehr bewegt. Der 36-Jährige zuckt mit den Achseln. "Wir müssen es nehmen, wie es ist", sagt er. Und es ist vor allem: belastend. "Auch wenn ich mit meiner Frau häufiger ins Kino oder Museum gehen kann, das ist kein Urlaub", betont Siemers. Stattdessen warte man darauf, vom Warten erlöst zu werden. Stoff für ein Theaterstück, wenn es das nicht schon gäbe.

Abwechslung von der Monotonie bringt gelegentlich Kapitän Claus Ratay. Mit seinem "Bunkerboot 3" versorgt er die Schiffer mit Trinkwasser. Ratay hat gut zu tun, von sechs bis 19 Uhr, ist aber trotzdem nicht glücklich. Normalerweise handelt er mit Diesel. "Aber Schiffe, die nicht fahren, brauchen keinen Sprit", sagt er. "Mein Boot ist eine schwimmende Tankstelle, die nur Wasser verkauft." Und damit lässt sich kein Geld verdienen.

An Geld mag Albert Teuben momentan nicht denken, da wird er unruhig. Lieber renoviert er seine Schiffswohnung. Die unterscheidet sich fast in nichts von einem Zuhause an Land mit gefliestem Boden, moderner Küche und geräumigem Bad. 100 Quadratmeter haben er und seine Frau zum Leben, oben im Steuerhaus liegt eine Fußbodenheizung. Dreieinhalb Jahre alt ist das Schiff, 110 Meter lang und technisch topaktuell. Im Steuerstand blinken überall Bildschirme, fast wie im Flugzeug. So ein modernes Schiff muss doch ohne weiteres an der Unglücksstelle vorbeifahren? "Technisch ist das kein Problem, davon bin ich überzeugt", sagt Teuben. "Aber ich kann verstehen, dass man sich dagegen entschieden hat, es zu erlauben."

Neuigkeiten von der Unfallstelle verfolgen die Binnenschiffer übers Internet. Spekulieren wollen sie über die Unfallursache nicht. Nur dass es schlimmer nicht hätte kommen können, sagen sie, wenn man Ort der Havarie und Ladung des Tankers betrachte. Natürlich hoffen beide, dass es bald weitergeht, vielleicht schon am Wochenende. Aber sie haben auch ein wenig Angst davor. "Wenn die Wasserschutzpolizei die Freigabe nicht rigoros regelt, haben wir das nächste Fiasko", sagt Siemers. "450 Schiffe, die gleichzeitig losfahren, das dauert keine zwei Stunden, bis es wieder knallt."

(RP)
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