Clare Devlin im Interview „Instagram ist ein Medium, das gleichwertig betrachtet werden sollte“

Köln · Clare Devlin ist selbstständige Journalistin, Medientrainerin und Instagram-Expertin. Im Interview spricht sie über den unterschiedlichen Medienkonsum von Jung und Alt, warum viele Medien darauf nicht richtig reagieren und warum Journalismus auf Instagram nicht „mal eben schnell“ gemacht ist.

 Clare Devlin ist freie Journalistin und arbeitet in Köln.

Clare Devlin ist freie Journalistin und arbeitet in Köln.

Foto: Linda Meiers

Die 27-Jährige Clare Devlin arbeitet unter anderem für das Instagram-Format „Mädelsabende“ (@maedelsabende) des Westdeutschen Rundfunks, das 2018 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Devlin war eine der ersten, die journalistische Inhalte auf Instagram gebracht hat.

Hallo Clare, legen wir doch gleich am Anfang mal die Karten auf den Tisch: Wie hoch ist die tägliche Bildschirmzeit auf deinem Smartphone?

Clare Devlin Die ist schon hoch! Es kommt immer darauf an, ob ich Mädelsabende-Woche habe oder nicht. Wenn es so ist, dann liegt die Bildschirmzeit schon bei mindestens acht Stunden am Tag, weil ich wirklich pausenlos vorm Bildschirm oder Laptop hänge. Instagram ist bei vielen als Beauty-, Food- und Lifestyle-Plattform verschrien. Du hast damals aber gesagt: Auch Storytelling und Journalismus funktionieren darauf sehr gut.

Warum hast du damals schon daran geglaubt?

Devlin Ich dachte mir eben, neben den ganzen Avocadobroten und Cappuchinos, gibt es so viele junge Menschen und vor allem junge Frauen - da kann ja nicht sein, dass das einzige, was sie interessiert, der neue Lidschatten oder das tolle Avocadobrot vom Café um die Ecke sind. Ich glaube, dass diese Menschen schon sehr interessiert sind an aktuellen und relevanten Themen, dass sich aber einfach der Medienkonsum von jungen Menschen stark verändert hat. Das heißt: Die Informationen müssen zu den Menschen kommen, und nicht die Menschen zu den Informationen. Wir haben schnell gemerkt: Die Menschen haben keine Angst davor, Themen wie Krankheiten, Trauer oder Sexismus auf Instagram zu konsumieren.

Instagram ist ja eine verhältnismäßig junge Plattform für den Journalismus. Welche Hürden hat man beim Erzählen, um die Menschen wirklich zu erreichen?

Devlin Sich in diese ganzen Beauty- und Schönheitsgeschichten einfügen zu müssen. Und dass die Menschen mit einer anderen Rezipienten-Haltung an die Inhalte auf Instagram herangehen, als es bei einer Zeitung der Fall ist. Bei einer Zeitung sagt man eher: Ich habe jetzt Lust, mich mit meinem Kaffee hinzusetzen und mir bewusst eine halbe Stunde Zeit zum Lesen zu nehmen. Wir stehen aber bei Instagram zwischen diesen ganzen Beauty-Hauls und Swipe-up-Links für irgendwelche Klamotten und Rabatt-Codes. Man muss es also schaffen, in einem kürzesten Moment die Aufmerksamkeit der Menschen zu bekommen. Und unsere Themen strengen an. Wenn wir über Trauer oder über sexualisierte Gewalt sprechen, dann ist das nichts, was man easy und locker konsumiert, da muss man sich wirklich darauf einlassen.

Was ist da eure Geheimrezept?

Devlin Wir haben unglaublich viel ausprobiert: Wir haben angefangen mit ganz kurzen Stories, dann wurden wir immer länger und hatten teilweise 50 Snaps in einer Story, das war dann auch wieder zu lang. Vieles hat geklappt, vieles aber auch nicht. Jetzt haben wir eine gute Mischung aus Themen gefunden, die schon eine Zielgruppe bei Instagram haben, beispielsweise bei Brustkrebs oder Endometriose. Wir versuchen, das alles so persönlich wie möglich zu machen und es zu emotionalisieren. Wir wollen kein Fremdkörper auf Instagram sein, sondern das sein, was junge Frauen auch sonst konsumieren.

Als Journalistin auf Instagram fühlt man sich manchmal wie die eierlegende Wollmilchsau: Man muss schneiden, filmen, aufnehmen, moderieren. Wie oft hast du in deiner Karriere schon den Satz gehört: „Mach doch mal eben noch ‘ne Instagram-Story – geht doch schnell!“

Devlin (lacht) Das habe ich schon so oft gehört! Da werde ich mittlerweile auch richtig sauer, denn es ist eben nicht mal einfach so gemacht. Instagram ist mittlerweile ein Medium, dass gleichwertig betrachtet werden sollte wie all die anderen Medien. Es ist gleichwertig und komplex und hat eine krass hohe Reichweite - genau wie eine Zeitung, ein Radiosender, eine Fernsehsendung. Es ist kein Abfallprodukt. Und ich glaube, viel zu viele Redaktuer*Innen haben noch nicht verstanden, was für eine Power hinter so einem Social-Media-Format stecken kann. Allein schon die direkte Ansprache mit jungen Menschen und auch die direkte Rückmeldung sind so wertvoll. Anstrengend, aber wertvoll.

Wie reagiert dein Gegenüber, wenn du ihm das erklärst?

Devlin Ich versuche denjenigen immer schnell auf den Boden der Tatsachen zu bringen: So eine Instagram-Story dauert so und so viele Stunden, wir brauchen eine Dramaturgie, und ich kann dir ein Skript schreiben, aber mal eben geht das nicht. Und dann kommt häufig eine überraschte Reaktion: ‚Ah, oh, okay, das wusste ich ja gar nicht.’

Ja, Mensch, ist ja aufwendig!(?)

Devlin Ja (lacht). Bei einer Mädelsabende-Woche habe ich zum Beispiel sieben verschiedene Stories. Und pro Story brauche ich – wenn ich rausfahre – einen ganzen Tag, also acht Stunden.

Du hast ja auch zwei Schwestern, die als Infulencerinnen arbeiten. Haben sie dich damals dazu gebracht, Journalismus auf Instagram zu tragen?

Devlin Tatsächlich hatte das gar nichts miteinander zu tun. Also die beiden haben das immer schon gemacht. Aber auch ich war auf Instagram auf meinem eigenen Kanal immer aktiv. Meine Schwestern haben aber andere Dinge dort gemacht, also eher ihr persönliches Leben mit der Kamera begleitet. Wir haben am Ende aber viel voneinander gelernt. Ich habe den beiden immer versucht zu erklären: denkt in Formaten, überlegt euch Kategorien – also Sachen, die eigentlich eher aus dem Journalistischen stammen. Die beiden haben mir wiederum gezeigt, wie das funktioniert mit der Reichweite, sich ordentliche Multiplikatoren – also Influencerkanäle – zu suchen, die in ihrem Themenbereich was zu sagen haben.Gerade bei Influencern ist die Followerzahl oft der ausschlaggebende Punkt für Erfolg.

Wie schätzt du das für journalistische Kanäle auf Instagram ein?

Devlin Ich glaube, dass da noch ganz viel Umdenken stattfinden muss, bei Unternehmen wie auch bei Medienhäusern. Die Followerzahl ist erstmal wirklich sekundär, aber wir sind halt so darauf konditioniert, der Zahl einen Wert beizumessen. Wir merken das tatsächlich auch bei Mädelsabende. Wir haben Influencerinnen interviewt, die über eine Million Abonnenten hatten – und im Nachgang sind uns davon vielleicht 20 neue Menschen gefolgt. Dann hatten wir wiederum junge Frauen, die nur 20.000 Abonnenten hatten und plötzlich kamen bis zu 6000 auf unseren Account rüber – das war für mich so ein Game-Changer. Die Stärke einer Community ist so viel entscheidender als die reine Zahl.

Warum glaubst du, dass bisher wenige Medien Instagram so „richtig“ – also mit eigenen Erzähl-Formaten – nutzen?

Devlin Viele haben noch nicht verstanden, dass Instagram auch ein großer Marketing-Kanal für die eigene Marke ist. Wenn man viele Abonnenten hat und viel Zeit investiert in so einen Kanal, dann spiegelt sich das erst einmal nicht automatisch in den Verkäufen einer Zeitung wieder. Der Weg ist einfach länger. Außerdem gibt es in vielen Redaktionen nicht die Kompetenz. Und viele haben auch nicht so viele junge Redakteurinnen und Redakteure, die so ein Projekt angehen. Leute, die auch die Power haben, das Ganze über Monate oder sogar Jahre an den Start zu bringen. Man muss einen langen Atem haben, sich da durchzusetzen.

Glaubst du, dass Berichterstattung auf Instagram die Zukunft des journalistischen Erzählens liegt. Oder doch bei TikTok?

Devlin Ich glaube nicht, dass Instagram für immer bleiben wird, dafür ist die digitale Welt viel zu schnelllebig. Meine Mutter hat jetzt Instagram. Das ist für mich das größte Alarmsignal mich zu fragen: Kommen jetzt vielleicht alle Eltern rüber wie damals bei Facebook? Ich mein, ich bin jetzt 27 – habe einen Tik Tok Account – so ganz warm werd ich damit nicht. Und manchmal verstehe ich das auch einfach nicht und denke mir: Warum findet ihr das toll? Aber so müssen sich meine Eltern ja auch bei Facebook gefühlt haben. Solange es Instagram aber gibt, wird es auch immer eine Plattform für Journalismus bleiben.

Auf jeden Fall noch in diesem Sommer, denn da finden unsere RheinStories statt – unsere Bulli-Reise durch die Region der Rheinischen Post. Lokaljournalismus trifft Instagram trifft Vanlife.

Devlin Bei mir ist leider noch „Arbeits“-Life angesagt. Aber wer weiß, vielleicht inspiriert ihr mich ja. Im August werde ich vielleicht auch ein paar Roadtrips machen. Das würde uns freuen.

Danke für deine Zeit.

Devlin Sehr gerne und viel Erfolg.

Das Gespräch führten Maren Könemann und Marie Ludwig

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