Fall von Polizeigewalt Vom Polizei-Angreifer zum Polizei-Opfer

Köln · Ein junger Mann steht wegen Widerstands gegen Polizisten vor Gericht. Auch in zweiter Instanz wird er freigesprochen. Und der Richter sagt, er schäme sich für diesen Staat.

 Maik Klühmann (Name geändert) litt lange unter den Folgen eines Polizeieinsatzes.

Maik Klühmann (Name geändert) litt lange unter den Folgen eines Polizeieinsatzes.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

Maik Klühmann (Name geändert) ist erleichtert. Fast drei Jahre voller Zweifel und Ängste sind vorüber. Am 3. Juli 2016 geriet sein Leben aus den Fugen: Nach einem Vorfall in einem Schnellrestaurant am Kölner Hauptbahnhof wurde dem damals 25-Jährigen unter anderem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Zwei Mal stand er seitdem vor Gericht. Doch nun hat das Kölner Landgericht die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den ursprünglichen Freispruch von Mai 2018 verworfen. Und das Verfahren könnte Folgen haben: Nicht das Verhalten des Angeklagten stand nämlich letztlich im Mittelpunkt, sondern zwei Kölner Polizisten und ihr Umgang mit rechtsstaatlichen Prinzipien.

Wie außergewöhnlich das ist, zeigen die Worte, die der Vorsitzende Richter der 3. Kleinen Strafkammer, Thomas Quast, zum Abschluss des Verfahrens wählt: „Ich sitze hier als Vertreter eines Staates, den ich für den bestmöglichen halte. Und ich muss sagen: Ich schäme mich.“

Maik Klühmann, 28 Jahre alt und schmal, wurden Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Beleidigung und falsche Verdächtigung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, er habe sich am 3. Juli 2016 so aggressiv verhalten, dass er von Polizisten unter Anwendung eines sogenannten Blendschlags, also einer kräftigen Ohrfeige, sowie Hand- und Fußfesseln in Gewahrsam genommen werden musste.

Ins Gesicht geschlagen, getreten, homophob beleidigt

An diesem Tag wird in Köln der schwullesbische Christopher Street Day gefeiert, unter anderem mit einer Parade durch die Innenstadt. Auch Klühmann ist dabei, auf einem Wagen des Vereins Aidshilfe NRW. Am Nachmittag wird die Polizei zu einem Routineeinsatz gerufen: In der McDonald‘s-Filiale am Hauptbahnhof soll ein Streit eskaliert sein. Zwei Beamte betreten das Schnellrestaurant, vor den Toiletten sitzt ein junger, schlaksiger Mann, den sie für den Beschuldigten halten: Maik Klühmann. Das, was danach geschieht, beurteilt Richter Quast in seinen Abschlussworten so: „Bestimmte Dinge sollten in dieser Republik nicht sein.“

Die Kammer folgt dabei im Wesentlichen den Angaben des Angeklagten. Klühmann hatte stets alle Vorwürfe bestritten – und seinerseits zwei beteiligten Polizisten Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Er habe in dem Schnellrestaurant zwei Frauen verteidigt, die angepöbelt worden seien, sei dann selbst attackiert worden. Die Polizisten hätte der Verlauf des Streits überhaupt nicht interessiert, stattdessen hätten sie ihn ins Gesicht geschlagen, getreten, immer wieder homophob beleidigt und unrechtmäßig in Gewahrsam genommen.

Dort sei ihm gegen seinen Willen eine Blutprobe entnommen worden, bevor er mitten in der Nacht und nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet aus dem Polizeirevier in Köln-Kalk geworfen worden sei. Hose, Schuhe und Socken seien völlig durchnässt gewesen, so dass er sie nicht habe anziehen wollen. Einen Krankenwagen zu rufen, habe man ihm verweigert. Schließlich habe er seine Eltern, die in der Nähe von Köln wohnen, informiert, die ihn abgeholt hätten. Als Quast, mehr als 20 Jahre im Amt, darüber spricht, ist er sichtlich bewegt.

Noch in der Nacht stellt ein Arzt in der Heimatstadt der Eltern teils schwere Hämatome und Prellungen am ganzen Körper sowie eine Schädelprellung bei Klühmann fest. Bis heute ist er, wie er selbst sagt, schwer traumatisiert. Er sei depressiv, könne oft nicht schlafen und befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung. „Ich habe mein Urvertrauen verloren“, sagt er.

Schon im ersten Verfahren vor dem Kölner Amtsgericht wurde Klühmann im Mai 2018 in allen Punkten freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung, seit Anfang März wurde der Fall deshalb vor dem Kölner Landgericht erneut verhandelt. Vier Verhandlungstage nahm sich die Kammer Zeit, rollte das ganze Geschehen mit mehr als 20 Zeugen noch einmal auf. Richter Quast kommt dabei zu dem Schluss: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“

Gemeint ist damit das Verhalten zweier Polizeibeamter, die, so der Richter, in verschiedenen Situationen am 3. Juli 2016 rechtswidrig gehandelt hätten. Von mehrfacher, teils schwerer Körperverletzung im Amt ist die Rede, Quast spricht zwei Mal sogar von Freiheitsberaubung im Amt. Nicht nur die Ingewahrsamnahme im Schnellrestaurant sei rechtswidrig gewesen, sondern auch das Festhalten Klühmanns im Polizeigewahrsam bis in die Nacht.

Gegen Polizisten wird selten ermittelt

Dass überhaupt vor Gericht über rechtswidriges Verhalten von Polizeibeamten gesprochen wird, ist äußerst selten. Zahlen des NRW-Justizministeriums zufolge mündeten von 674 Strafanzeigen gegen Polizisten wegen Gewalttaten 2018 lediglich elf in Anklagen und Strafbefehle. Das entspricht einer Quote von 1,6 Prozent. Auch die Vorermittlung gegen einen der beiden Beamten, die nach einer Presseanfrage kurz nach dem Vorfall eingeleitet wurde, wurde – so heißt es von der Staatsanwaltschaft – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Klühmanns Anwalt, Strafverteidiger Jürgen Sauren, sagt: „Zeugenschaftliche Aussagen von Polizisten gelten bei der Justiz regelmäßig als zuverlässiger als vom Normalbürger.“

Entsprechend selten komme es zur Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Polizisten oder gar zur Anklage. Das sei auch ein politisches Problem, sagt Sauren: „Wo Macht im Spiel ist, gibt es auch deren Überschreitung, die mit derselben Nachhaltigkeit und Kompromisslosigkeit verfolgt werden müsste. Formulare zur Erfassung von Gewalt gegen Polizisten gibt es, um Statistiken zu fertigen, Formulare für Polizeigewalt nicht.“

Sauren geht davon aus, dass gegen die Beamten jetzt noch einmal ermittelt wird: „Die Staatsanwaltschaft wird sich nicht (weiter) dem Vorwurf aussetzen wollen, die Vorwürfe nicht mit Ernsthaftigkeit verfolgt zu haben.“ Sollte es zu einem Verfahren kommen, will Klühmann als Nebenkläger Schmerzensgeldansprüche einbringen. Von der Kölner Polizei heißt es auf Anfrage nur, man respektiere das Urteil und warte das weitere Vorgehen der Staatsanwaltschaft ab.

Wie gravierend die Vorwürfe sind, die die Kammer gegen die Polizei erhebt, wird noch einmal deutlich, als es bei der Urteilsverkündung um die Blutprobe geht, die Klühmann entnommen wurde. Anders als in der Strafprozessordnung und auch intern vom Amtsgericht Köln vorgegeben, hatte kein Beamter einen Bereitschaftsstaatsanwalt oder -richter kontaktiert, um die Probe anordnen zu lassen. Dazu befragt, hatte eine als Zeugin geladene Vorgesetzte der Beamten ausgesagt, das sei nichts Ungewöhnliches. Quast schüttelt beinahe ungläubig den Kopf, als er diesen Vorgang rekapituliert: „Da wurde der Richtervorbehalt mit Füßen getreten.“

Ganz am Ende wendet sich Quast dann noch einmal an den eigentlich Angeklagten Maik Klühmann – und wieder wählt er Worte, die man so wohl selten im Gerichtssaal hört: „Ich bitte Sie um Entschuldigung für diesen Staat, und ich wünsche Ihnen, dass Sie wieder festen Boden unter die Füße kriegen.“

Diese Worte und überhaupt die Bereitschaft Quasts, das Geschehen noch einmal komplett aufzurollen, nötigen Klühmann Respekt ab. „Ich habe mich gerecht und fair behandelt gefühlt, gehört und auch menschlich verstanden“, sagt er. Das sieht auch Verteidiger Sauren so: „Formal reicht ein Freispruch, eine Entschuldigung kann versöhnen.“ Gleichzeitig würde Klühmann sich wünschen, dass sein Fall und die klaren Worte Quasts zu einer gesellschaftlichen Debatte über Gewalt durch Polizisten beitragen. Zudem spricht er sich dafür aus, dass wie in anderen Ländern üblich eine unabhängige Kontaktstelle für Betroffene eingerichtet wird.

Jetzt möchte der 28-Jährige aber erst einmal Abstand gewinnen und in den Urlaub fahren. Irgendwohin, wo es ruhig ist, sagt er, an die Nordsee vielleicht. „Durch dieses Urteil“, sagt er, „habe ich wieder Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewonnen.“

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