Kerpen Polizei räumt Camp von Tagebaugegnern

Kerpen · Mit einem Großaufgebot ist die Polizei gegen Umweltaktivisten vorgegangen, die einen Wald bei Kerpen monatelang besetzt hielten. Die Demonstranten hatten gegen den dort geplanten Braunkohleabbau protestiert, für den der Forst abgeholzt werden muss.

Die Polizisten kommen von oben. Von einem Steiger seilen sich sechs Spezialkräfte und eine Ärztin auf das Dach des Baumhauses ab, in dem sich zwei Braunkohlegegner gut 20 Meter über dem Boden verschanzt halten. Sie haben sich mit Ketten an den Baumstamm gebunden und die aus Spanplatten und Paletten zusammengenagelte Bretterbude verbarrikadiert. Die Kletterstaffel der Bereitschaftspolizei, die eigens für solche Einsätze ausgebildet ist, reißt das Baumhaus nach und nach in Stücke. Nach Stunden geben die beiden Demonstranten schließlich auf, nachdem von ihrem Domizil nicht mehr viel übrig geblieben ist. Die Polizei sägt ihre Ketten durch, seilt sie zu Boden und nimmt sie dann in Gewahrsam. Ein Polizist sagt seufzend: "Wir haben den Baum befreit."

Im Morgengrauen war es gestern mit der Stille im Hambacher Forst an der Tageabbruchkante bei Kerpen-Buir vorbei. Mit fünf Hundertschaften aus NRW und Niedersachsen rückte die Polizei um kurz nach 7 Uhr in dem Wäldchen an, um ein illegales Camp von rund 20 Umweltaktivisten zu räumen, die dort seit April in Baumhäusern und Zelten lebten, um damit gegen den weiteren Braunkohletagebau des Energiekonzerns RWE Power zu protestieren. Die Räumung, für die auch der nahe gelegene Bahnhof Kerpen-Buir aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde, verlief nach Polizeiangaben bis gestern Abend friedlich und ohne Zwischenfälle. Zwölf Demonstranten wurden vorläufig in Gewahrsam genommen.

RWE hatte die Besetzung monatelang geduldet. "Nun aber wollen wir dort abbauen und müssen das Gelände dafür schnellstmöglich herrichten", sagte Konzernsprecher Manfred Lang, der den Polizeieinsatz mit einem Becher Kaffee aus nächster Nähe mitverfolgte. "Aus Naturschutzgründen dürfen wir nur in den Wintermonaten roden – deswegen ist auch die Eile geboten." Für die Kohlegewinnung im Hambacher Forst müssen 3900 Hektar abgeholzt werden, lediglich 300 Hektar sollen stehenbleiben. Das Gelände befindet sich im Rheinischen Braunkohlerevier südöstlich des Tageabbaugebiets Hambach, das als größtes in Europa gilt. Etwas weiter nördlich liegt der Großtagebau Garzweiler.

Die Bewohner der umliegenden Ortschaften wehren sich seit Jahrzehnten gegen die immer näher heranrückende Abbruchkante. "Es wird von Tag zu Tag schlimmer", klagt Kurt Klassen, der seit vielen Jahren vergeblich, aber unermüdlich gegen die Ausdehnung des Abbaugebiets kämpft. "Zum Lärm kommen auch noch die hohe Feinstaubbelastung und die Angst um unsere Häuser." Erst vor zwei Jahren gab es ganz in der Nähe des Hambacher Forstes einen gewaltigen Erdrutsch – ausgelöst durch den oberirdischen Kohleabbau. "Alle hier haben Angst", sagt Klassen. Die Initiative "Bürger für Buir", die die Aktivisten mit Trinkwasser und Lebensmitteln versorgte und gestern eine spontane Mahnwache abhielt, bedauerte die Räumung: "Die Besetzer hatten uns im Kampf gegen den Abbau den Rücken gestärkt."

Die von Umweltverbänden initiierte Kampagne für den sofortigen Braunkohleausstieg "ausgeco2hlt" kündigte Protestaktionen in Köln, Essen, Hamburg und Berlin an. Die Vorsitzende der Grünen Jugend im Rhein-Erft-Kreis, Anna Sterz (23), forderte die Landesregierung auf, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen. "Die Politik muss endlich aufwachen und den Versprechungen endlich Taten folgen lassen." Kritik an der Abholzung kommt auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Der 12 000 Jahre alte Hambacher Forst dürfe nicht gerodet werden, er sei unter anderem wegen der großen Bestände von Eichen und Hainbuchen eine botanische "Spezialität" von europäischer Bedeutung. "In dem Wald leben auch Tiere, die unter Naturschutz stehen – etwa die Bechsteinfledermaus, der Springfrosch und die Haselmaus", sagte ein Sprecher.

Die Polizei setzte mit der Räumung einen Beschluss des Landgerichts Köln durch, nachdem sich die Demonstranten nach einer schriftlichen Aufforderung seit Oktober geweigert hatten, das Gelände freiwillig zu verlassen. Zudem gab es einen Durchsuchungsbescheid: Die Besetzer stünden in Verdacht, rund 100 Straftaten begangen zu haben. Laut Polizei handelt es sich dabei um Sachbeschädigungen, Hausfriedensbrüche, Beleidigungen sowie Raub- und Nötigungsdelikte. Die Beamten haben im Camp nach Material gesucht, das diese Taten beweise.

Auch wenn die Räumung bisher friedlich verlief, gestaltete sie sich für die Polizisten wegen des unwegsamen Geländes und der vielen Baumhäuser, in die sich die Aktivisten flüchteten, als äußerst schwierig. "Wir mussten auch Bäume fällen und die Seile der Hängebrücken kappen", sagte die Sprecherin. Die Einsatzleitung rechnete gestern Abend damit, dass die Räumungsaktion noch bis heute Morgen andauern werde, weil sich nach wie vor Aktivisten im Wald versteckt hielten. "Wir werden die ganze Nacht durcharbeiten."

(RP)
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