Serie Der Schwierige Umgang Mit Demenz Pflegefamilien für Demenzkranke gesucht

Die Düsseldorfer Diakonie will ein Modellprojekt starten. Um Angehörige zu entlasten, könnten Gastfamilien für kürzere Zeiträume einen Demenzkranken bei sich zu Hause aufnehmen. Die Pflegefamilien sollen besonders geschult werden.

düsseldorf Als sich Klaus Niel vor einigen Jahren entscheiden musste, wie seine demenzkranke Mutter gepflegt werden sollte, brachte er sie in einem Pflegeheim unter. "Meine Mutter hat sich dort wohlgefühlt", sagt der Düsseldorfer. Er selbst – voll berufstätig – hätte sich nicht um sie kümmern können und auch nicht wollen. "Aber ich war froh, diese Entscheidung mit meiner Berufstätigkeit begründen zu können", sagt der Demenzkoordinator der Düsseldorfer Diakonie. "Denn die gesellschaftlichen Erwartungen, die vor allem an Töchter und Schwiegertöchter gestellt werden, sind extrem groß. Es wird vorausgesetzt, dass man sich kümmert." 73 Prozent der pflegenden Angehörigen sind laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums Frauen.

Auf den Angehörigen von Demenzkranken lastet erheblicher Druck. Um Familien zumindest kurzzeitig zu entlasten, will die Düsseldorfer Diakonie ein deutschlandweit einzigartiges Projekt starten. Nach strengen Kriterien ausgewählte Gastfamilien sollen künftig einen dementen Menschen in ihrem Zuhause aufnehmen. Die Pflegefamilien sollen für diese anspruchsvolle Aufgabe besonders geschult werden. "Wir suchen vor allem Familien, aber auch Einzelpersonen, die Zeit haben, sich intensiv um einen Demenzkranken zu kümmern", erklärt Niel, der das Modellprojekt in der Großstadt umsetzen will. Dabei gehe es nicht um die Pflege – das würde ein ambulanter Pflegedienst übernehmen –, sondern um die Betreuung eines Demenzkranken etwa für mehrere Wochen, wenn die Angehörigen ausfallen. Oftmals können Angehörige leichter einen Menschen zeitweise in ein anderes Zuhause geben als in ein Heim. 66 Prozent der Menschen mit Demenz werden zu Hause meist durch die Angehörigen gepflegt, aber nur elf Prozent der pflegenden Angehörigen lassen sich von freiwilligen Helfern unterstützen. "Auch der Wunsch von Erkrankten ist es meist, in einer Familie zu leben."

Als Gastgeber kommen Menschen infrage, die selbst stabil und sehr zuverlässig sind. Außerdem braucht man viel Zeit, man darf also nicht voll berufstätig sein, sowie ein eigenes Zimmer für den Erkrankten. Schön, aber nicht zwingend wäre es, wenn die Person bereits Erfahrung mit Pflege und Betreuung hätte. Auch von Kindern profitieren Demenzkranke, sie haben häufig einen unbefangeneren Umgang und können Aktivitäten wie Malen oder Singen miteinander teilen. "Es ist immer gut, wenn die Aufgabe auf mehrere Schultern verteilt ist", sagt Niel.

Auch bei der Auswahl der Menschen, die in einer Gastfamilie untergebracht werden, soll sorgsam vorgegangen werden. "Wir werden keine Menschen mit herausforderndem Verhalten in eine Gastfamilie geben", betont Niel. Der Verlauf der Krankheit gestaltet sich unterschiedlich. "Meine Mutter zum Beispiel wurde sehr liebenswürdig – viel liebenswürdiger, als sie vor der Erkrankung war", sagt er und lächelt.

Angehörige tun sich mit der Pflege zu Hause teils auch schwer, weil sie natürlich den Menschen wie sie ihn als Erkrankten erleben, mit der Person, die er früher war, vergleichen. Niel weiß, wie sich das anfühlt: "Sie empfinden es als kränkend, dass er bestimmte Sachen vergessen hat oder sich nicht mehr an seine Kinder erinnert." Eine Gastfamilie hat diese Vergleichsmöglichkeit nicht, sie lernt die Person so kennen, wie sie ist.

Das Modell könnte sich zur Alternative zwischen privater Pflege der Angehörigen und einem Pflegeheim entwickeln, sollte es sich auch als Möglichkeit der längerfristigen Unterbringung etablieren. Die Zahl der Demenzkranken wird in den kommenden Jahren weiter steigen. In Düsseldorf ist bereits fast jeder Zehnte der über 65-Jährigen und jeder zweite der über 85-Jährigen dement. " Wir werden nicht alle in Pflegeheimen unterbringen können", meint der Demenzkoordinator der Düsseldorfer Diakonie. Gerade wenn sich der Trend der Singlehaushalte fortsetze und es in einigen Jahren weniger Kinder gebe, die sich um die Betreuung kümmern könnten. Weltweit leiden etwa 35 Millionen Menschen an Demenz. Man rechnet bis 2030 mit 65,7 Millionen und bis 2050 mit 115,4 Millionen Fällen weltweit.

In Ländern wie Frankreich oder Schottland ist das Modell der Gastfamilie für ältere Menschen bereits etablierter. "In Deutschland gibt es nur Einzelfälle, bei denen Fremde oder Nachbarn bei der Betreuung einspringen", meint Niel. Neben dem finanziellen Anreiz (monatlich könnte die Vergütung bei etwa 1000 Euro liegen) kann eine Pflegefamilie auch menschlich profitieren. "Natürlich kann es auch schwierige Momente geben, aber nicht nur. Demenz erinnert uns daran, mit welchem Tempo wir durchs Leben schreiten. Durch die gemeinsame Zeit mit einem Erkrankten wird auch das eigene Leben entschleunigt. Man wird sich wieder darüber bewusst, was wesentlich ist."

(RP)
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