Viele Infektionen in Problemvierteln „Ich traue dem Staat nicht“

Wuppertal · Angesichts hoher Inzidenzen will das Land in sozialen Brennpunkten gezielter über Corona und das Impfen informieren. Auch die Stadt Wuppertal möchte eine solche Kampagne starten. Vor Ort reagieren vor allem jüngere Menschen skeptisch bis ablehnend auf die Pläne.

 Die Wuppertalerin Chaymae (19, r.) will sich nicht impfen lassen, ihr Freund David (20) nur, wenn Ungeimpfte benachteiligt werden.

Die Wuppertalerin Chaymae (19, r.) will sich nicht impfen lassen, ihr Freund David (20) nur, wenn Ungeimpfte benachteiligt werden.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Vor dem Eiscafé Barocco am Berliner Platz in Wuppertal stehen ein paar Kunden und trinken Kaffee aus Pappbechern. Die Stimmung ist gut, trotz Kälte und Corona. Denn einige der Anwesenden sind bereits geimpft, manche sogar zweimal. Café-Betreiberin Isabell Hanisch hat demnächst einen Termin, obwohl sie erst 53 Jahre alt ist. Ihre schwangere Tochter durfte sie als Kontaktperson angeben. Alle hier sind froh, vor Covid geschützt zu sein. Selbstverständlich sei das im Viertel aber ganz und gar nicht, sagt Hanisch. „Auf der Straße wird viel dummes Zeug geredet“, sagt sie, viele Menschen wollten sich nicht impfen lassen, aus unterschiedlichsten Gründen. Die Bürger direkt vor Ort zu informieren und zu impfen, hält sie daher für eine gute Idee. „Dann wäre die Bereitschaft für eine Immunisierung größer, vor allem bei den Jüngeren“, sagt Hanisch.

 Am Mittwoch hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) angesichts einer hohen Zahl von Corona-Infektionen in einigen Kölner Stadtteilen Schwerpunktaktionen für soziale Brennpunkte angekündigt. Dort, wo Menschen in beengteren Wohnverhältnissen lebten, sei die Gefahr sich anzustecken größer als in Gegenden mit Einfamilienhäusern. Laschet sprach unter anderem von Informationskampagnen und mobilen Teams. Die Stadt Wuppertal will eine solche Info- und Impfaktion in sozialen Brennpunkten starten. Allerdings habe man im Gegensatz zu Köln keine Inzidenzen einzelner Stadtteile vorliegen, sagte ein Stadtsprecher, man wisse aber, um welche Viertel man sich intensiver kümmern müsse. Dazu gehört unter anderem das dicht bebaute Quartier Oberbarmen-Schwarzbach nahe des als Kriminalitätsschwerpunkt verrufenen Berliner Platzes. Wie die Stadt dort agieren will, ob nun mit einem Impfzelt vor Ort, mit einem Impfmobil oder auf andere Weise, sei noch unklar.

 Für Talina würde das ohnehin keinen Unterschied machen. Für die 24-Jährige, die in der Nähe des Berliner Platzes lebt, kommt eine Impfung nicht in Frage. Sie sei zwar keine Corona-Leugnerin, sagt sie, „aber ich traue dem Staat nicht“. Daran würde auch eine Infokampagne nichts ändern. In einem Barbershop auf der anderen Seite des Platzes sieht Tarek das ähnlich. Aus Sorge vor den Nebenwirkungen lehnt der 18-Jährige eine Impfung rigoros ab, genauso, erzählt er, wie die meisten Personen in seinem persönlichen Umfeld. „Alle haben Angst vor dem Impfstoff“, sagt er. Diese Menschen zu erreichen und vor allem zu überzeugen, selbst vor Ort, würde laut Tarek schwer. Aber genau darauf setzt die Verwaltung. Die Wuppertaler Ausländerbehörde plant einen Corona-Newsletter in zehn Sprachen, der auf der Internetseite der Stadt stehen und an Vereine verteilt werden soll. Außerdem soll es einen mehrsprachigen Podcast geben. Vor weiteren Aktionen aber wolle man warten, wie das Land „Brennpunkte“ definiere.

 Doghkan Tarhan arbeitet in einem Kiosk und sagt: „Die meisten hier glauben nicht an Corona.“

Doghkan Tarhan arbeitet in einem Kiosk und sagt: „Die meisten hier glauben nicht an Corona.“

Foto: Bretz, Andreas (abr)

 Laut NRW-Gesundheitsministerium zeigt sich grundsätzlich in mehreren Städten eine Verbindung zwischen Sozialräumen und Inzidenzzahlen. Der Zusammenhang von sozioökonomischem Status und Gesundheit sei seit langem bekannt. Menschen mit niedrigem beziehungsweise geringerem sozialen Status litten in der Regel häufiger unter Vorerkrankungen, die mit einem besonderen Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion verbunden seien. Gleichzeitig seien die Lebensbedingungen der Menschen ein wesentlicher Faktor. „Der Einfluss des Faktors ,Migrationshintergrund’ kann jedenfalls nicht verallgemeinert werden“, heißt es in der Stellungnahme.

 Isabell Hanisch betreibt das Eiscafé Barocco am Berliner Platz. Eine Info- und Impfkampagne vor Ort hält sie für eine gute Idee, um junge Menschen zu erreichen.

Isabell Hanisch betreibt das Eiscafé Barocco am Berliner Platz. Eine Info- und Impfkampagne vor Ort hält sie für eine gute Idee, um junge Menschen zu erreichen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund und Intensivmediziner unterstützen die Anstrengungen, sozial Benachteiligte besser zu informieren und möglicherweise vor Ort zu impfen beziehungsweise bei der Wahrnehmung ihrer Impftermine zu unterstützen. Köln will nach eigenen Angaben in Stadtteilen mit hoher Inzidenz bevorzugt und so schnell wie möglich impfen – möglicherweise schon ab Montag. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) erklärte, sie sehe dieses Vorgehen vom Land gedeckt, außerdem habe ihr die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Unterstützung zugesagt. Allerdings müsse ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen. Ähnliche Pläne gibt es in anderen Städten, etwa in Essen. In Wuppertal will man erst loslegen, wenn genug Vakzine vorhanden sind. Es dürfe kein Sozialneid entstehen, sagt der Stadtsprecher. Um die Aktion aber neben der regulären Impfpriorisierung stattfinden zu lassen, sei sehr viel Impfstoff notwendig.

 Doghkan Tarhan interessiert das nur am Rande. Er arbeitet in einem Kiosk auf dem Berliner Platz, einer Anlaufstelle für die Menschen im Viertel. „Die meisten hier glauben nicht an Corona“, sagt der 20-Jährige. Er selbst hat auch keine Angst vor der Krankheit, würde sich aber impfen lassen, weil er nicht benachteiligt werden möchte. Bei seinen Freunden, Verwandten und Bekannten beobachte er viel Unsicherheit, was das Prozedere rund um die Impfung betrifft. Aufklärung vor Ort hält er daher für richtig. Genauso wie Sabine Brasdat (48) und Volker Depler (65). Direkt im Viertel zu impfen, sei effektiv, weil man Menschen erreiche, die den Gang ins Impfzentrum scheuen würden, sagen beide. Eine Garantie aber wäre das wohl nicht, wie das spontane Stimmungsbild vor Ort zeigt: Aus Sicht der 19-jährigen Chaymae etwa kamen die Vakzine zu schnell auf den Markt, sie verweigert sich einer Impfung. Und den 46-jährigen Friseur Ahmed hat nicht einmal die eigene Covid-Erkrankung überzeugt, sich immunisieren zu lassen. Seine Angst vor Nebenwirkungen, sagt er, sei größer als seine Angst vor Corona.

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