Interview mit „Thilo“ „Buchläden werden gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen!“

Der Sauerländer Thilo Petry-Lassak gehört zu den erfolgreichsten Kinderbuch-Autoren Deutschlands. Jetzt bringt er das „Escape Room“-Rätsel ins heimische Wohnzimmer. Ein Interview über Optimismus und Erfindergeist.

 Thilo Petry-Lassak. (Archiv)

Thilo Petry-Lassak. (Archiv)

Foto: Alexander Sell

Kinderbuchautor Thilo Petry-Lassak hat seinen Vornamen zu seinem Markenzeichen gemacht: „THiLO“. 350 Bücher hat er geschrieben, sie wurden in 25 Sprachen übersetzt. 2019 wurde sein Werk zum Welttag des Buches, „Ich schenk dir eine Geschichte“, 1,2 Millionen Mal gedruckt – eine Rekord-Erstauflage. Der 48-Jährige ist auch Drehbuchautor für Kindersendungen wie Siebenstein, Bibi & Tina oder die Sesamstraße.

Im Interview spricht der in Mainz lebende Autor über Bücher in der Corona-Zeit, die Probleme von Autoren während der Pandemie und sein neuestes Werk, bei dem aus der heimischen Wohnung ein Escape-Room wird.

Ihre Mutter hatte früher einen Buchladen in Brilon. Machen Sie sich sorgen, dass diese mehr und mehr verschwinden werden, weil die Bestellmärkte jetzt nochmal an Wert gewonnen haben?

Thilo Ich wage das Gegenteil vorauszusagen: Nämlich, dass die Leute den Wert der realen Geschäfte wieder kennengelernt haben. Es hat ihnen gefehlt, vor die Tür zu gehen und vielleicht auch mal zu stöbern, in einem Buchladen, in einem Antiquariat. Oder sich über die Bücher zu unterhalten und beraten zu lassen. Sicherlich werden auch Buchläden in Folge der Krise verschwinden, aber generell, das ist meine Vermutung, werden sie gestärkt aus der Zeit hervorgehen. Das gilt nicht nur für Buchläden. Die Kundenbindung wird wieder stärker, weil eben viele Menschen gemerkt haben, dass diese direkte Erfahrung fehlt. Das zeigt ja auch die Solidarität, die es in vielen Städten für die kleinen Läden gab in den vergangenen Wochen.

Es wäre ein positiver Aspekt der Pandemie, wenn man das so sagen kann.

Thilo Ja, das denke ich wirklich. Ich bin mir sicher, dass Sachen, die vielleicht etwas in Vergessenheit geraten waren, wieder in den Fokus rücken. Zum Beispiel auch die Wertschätzung von Künstlern. Die Leute merken, wie sich das Leben anfühlt, wenn nur der absolut nötige Bedarf gedeckt ist. Was aber fehlt, sind die Kontakte mit Freuden, das Ausgehen, in einem schönen Café zu sitzen, zu einer Lesung oder zu einem Konzert zu gehen – das sind die Sachen, die das Leben letztlich ausmachen. Und danach haben viele Sehnsucht. Was noch dazu kommt: Es war doch viel Kreativität in der Krise gefragt. Davon wird ganz sicher etwas hängen bleiben, es wird neue Wege geben, neue Geschäftszweige, neue Netzwerke. Das wird wiederum Leute in die Geschäfte locken. Auf gewisse Weise wurde das Unternehmertum geweckt, der Gründergeist.

Welchen Titel würden Sie einem Kinderroman über die Zeit der Corona-Krise geben?

Thilo In dem Roman würde es jedenfalls darum gehen, wie man es schafft, mit jeder Situation, die man nicht beeinflussen kann, umzugehen und eben nicht verzweifelt, sondern selbstbewusst und mit Vertrauen nach vorn schaut. Und mit dem, was man zur Verfügung hat, das Leben annimmt.

Gerade die Jugendlichen werden das nicht so leicht nehmen. Sie haben wochenlang daheim gesessen und wurden ausgebremst…

Thilo Natürlich ist es für Kinder und Jugendliche schwerer auszuhalten. Man muss bei solchen Themen bei den Emotionen rangehen und ihnen aus ihrer Warte heraus Perspektiven und Lösungswege aufzeigen in den Geschichten. Es ist wichtig, die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu erfassen und sich dort dann literarisch zu bewegen.

Sie haben nun einen anderen Weg gewählt, die Kinder und Jugendlichen aus der Lethargie zu holen. Sozusagen ein reales Erlebnis-Abenteuer, bei dem die eigene Wohnung zum Escape-Room wird. Sie nennen die „Lockdown-Agents“ ein „Wundermittel gegen die Corona-Krise“.

Thilo Die Idee kam von drei Seiten. Ich war unterwegs und wollte ein Spiel für unsere Familie besorgen – aber es war alles zu. Also warum sollte es nicht ein Spiel geben, das man sich komplett zu Hause ausdrucken und spielen kann? Das Excape-Room-Thema passt natürlich in die Zeit, denn genau das ist ja die Situation: Man ist irgendwo drin und kommt nicht raus, es wird nach einem Ausweg gesucht. All das bekommen die Kids ja auch mit. Der dritte Punkt ist, dass man die Kinder und Jugendlichen so auch mal vom Bildschirm wegkriegt und nebenbei ein Gemeinschaftsgefühl in der Familie erzeugt.

Wie läuft das Spiel ab?

Thilo Im Escape-Room geht es ja grundsätzlich darum, in einem Team Rätsel zu lösen und über die Rätsel dann schließlich den Ausgang zu finden. Das gab es schon für zu Hause, aber nur als Brettspiel oder Buch. Ich habe mir gedacht, wir holen den Escape-Room nach Hause. Die Eltern dekorieren die Wohnung mit den Requisiten, die zum Spiel gehören, und die Kinder werden zu Agenten, die dann die Rätsel lösen müssen, Lockdown-Agenten eben.

Es ist also nicht nur für die Kinder eine Abwechslung, sondern auch für die Eltern?

Thilo Genau. Sie sind mit im Team. Es ist Teambuilding für die ganze Familie. Die Lösungen der Rätsel bleiben den Eltern auch verborgen, wenn sie alles arrangieren, so ist das Spiel angelegt. Es werden also alle, die dabei sind, überrascht. In dem PDF, das man sich herunterladen kann, ist alles dabei: Die Spielanleitung, die Requisiten wie zum Beispiel ein Totenkopf, der an den Kühlschrank geklebt wird, die Rätsel – und Hinweise für den Fall, dass man gar nicht weiterkommt. Natürlich sind auch die Lösungen dabei, aber man liest ein Buch ja auch nicht von hinten. Auf dem Weg zur Lösung müssen die Kids auch mal rechnen oder lesen üben oder ganz einfach logisch denken. Ein bisschen ist es auch Homeschooling, aber eben total spielerisch.

Foto: Foto: Lina Petry

Sie haben für das Spiel sozusagen Ihre direkte Erlebenswelt der vergangenen Wochen des #WirbleibenzuHause als Setting gewählt. Wie schwer fällt Kreativität, wenn man so reduziert ist auf ein bestimmtes Umfeld?

Thilo Auf dieses Umfeld ist man sehr fokussiert. Es gibt natürlich Einflüsse von außen durch das Zeitunglesen, durch das Fernsehen oder Filme. Aber man schaut eben auch auf die eigenen Kinder und sieht, was sie bewegt in dieser Zeit. Inspiration kann grundsätzlich alles sein. Man muss auch im nächsten Umfeld die Augen und Ohren aufsperren.

Für Sie selbst als freier Autor ist die das Thema Homeoffice aber nicht so neu wie für viele andere in dieser Zeit.

Thilo Das ist richtig, ich mache das jetzt seit 20 Jahren, darum bin ich daran gewöhnt, dass die Kinder um mich herumspringen, wenn ich arbeite. Und die Familie kennt die Situation, dass ich daheim bin und trotzdem auch mal nicht an einer Mahlzeit teilnehme, weil ich im gerade im Schaffensprozess bin. Von daher konnte mich die Situation nicht so sehr schocken. Aber der Kontakt nach außen, der fehlt. Zum Beispiel wurden 80 Lesungen von Mitte März bis September abgesagt, die für diese Zeit geplant waren. Den direkten Kontakt zu meinen Lesern habe ich im Moment also nicht.

Wie wichtig ist dieser direkte Kontakt?

Thilo Sehr wichtig, damit ich sehe, wie die Sachen ankommen und merke, ob funktioniert, was ich mir im stillen Kämmerchen ausgedacht habe. Und da ist natürlich die Abwechslung, mal raus zu kommen, etwas anderes zu sehen – das war zuletzt für viele Menschen ein Thema. Abgesehen davon ist da auch der ökonomische Aspekt. Mit den Lesungen verdiene ich Geld, das nun wegfällt. Das geht den meisten Kollegen so.

Die Corona-Krise hat für Autoren also schwerwiegende Auswirkungen?

Thilo Absolut. Es sind ja nicht nur die Lesungen, die ausfallen. Die Buchmessen wurden abgesagt, Veröffentlichungs-Starts von Büchern verschoben und Autoren-Workshops sind ausgefallen. Die Messen sind ja auch wichtige Kontaktbörsen, um mit den Verlagen neue Ideen auszubaldowern oder sich mit Kollegen auszutauschen. Verschobene Buchstarts lassen immer die Frage offen, wann es dann weitergeht. Es entsteht bei den Verlagen ja ein Stau irgendwann. Alles in allem ist die Corona-Krise für viele Autoren katastrophal. Viele wissen einfach gar nicht, wie sie klar kommen sollen. Das Problem ist ja auch, dass sich die Dinge nicht aufholen lassen.

Sie selbst haben in den vergangenen Jahren immer vor den großen Fußball-Turnieren Kinderbüchen zum Thema Fußball herausgebracht. Wegen Corona ist die Europameisterschaft in diesem Jahr verschoben worden – fällt das Thema damit weg für den Sommer?

Thilo Es gibt tatsächlich wieder eine Fußball-Reihe in diesem Sommer. „Die Fußball-Tornados“ heißt sie. Ich habe da mit meinem Zeichner etwas Neues ausprobiert. Es gibt nicht nur einen reinen Text mit Illustrationen, sondern ganze Comic-Anteile in den Büchern. Die sind nicht ein schmückendes Beiwerk, sondern führen die Geschichte weiter an der Stelle als ein anderes erzählerisches Element. Die Reihe kommt dennoch raus, allerdings nicht wie geplant im April, sondern im Juli. Das Thema Fußball ist immer da bei den Kindern, darum glaube ich nicht, dass das in Leere läuft. Ein Ereignis wie eine EM trägt sicherlich, aber ist nicht entscheidend.

Inwieweit wird die Corona-Situation künftige Kinder- und Jugendbücher beeinflussen?

Thilo Ich denke, dass es in der nächsten Zeit viele Corona-Romane geben wird. Aber das Thema wird sich auch schnell erschöpfen. Ich glaube, dass die Leute und speziell die Kinder dann gar nicht mehr so viel darüber lesen wollen. Abgesehen davon ist das Thema Dystopie, die ja gerade stattfindet, sowieso ein Trend in der Kinder- und Jugendliteratur. Die Weltkatastrophe, die Welt unter extremen, düsteren Umständen – denken wir an die „Tribute von Panem“ zum Beispiel. Aber wenn das jetzt alles so real war, kann es auch zu einer Trendwende führen, die Leser werden vielleicht sagen: Jetzt reicht es mit der Schwarzmalerei. Gerade bei den Kindern. Außerdem haben die Kids ja auch Lösungswege, ich glaube nicht, dass die Pandemie so etwas wie „Fridays for Future“ abwürgen wird, sondern eher ein Motor dafür sein kann. Es werden in so einer Zeit eben doch viele Denkprozesse in Gang gesetzt.

Es kann also sein, dass jetzt genau das Gegenteil zum Thema wird, Reiseliteratur zum Beispiel, weil damit Sehnsüchte aufgefangen werden?

Thilo Das kann sehr gut sein. Aber es ist schwer abzuschätzen, wie der Markt reagiert.

Wie sieht Ihr persönlicher Themen-Plan aus?

Thilo Es wird sicherlich einen zweiten Teil der Lockdown-Agents. Ansonsten schreibe ich für den Coppenrath-Verlag in Münster gerade an einer Abenteuerreihe für Kinder. Da arbeite ich auch zusammen mit dem Europapark in Rust, die Reihe bezieht sich auf eine neue Attraktion dort, die Piratenwelt. Das war aber schon vor der Pandemie beschlossen. Jetzt merkt man schon, dass die Verlage abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Ideen gibt es bei mir und bei den Verlagen viele. Ich habe zum Glück noch genug zu tun. Aber ab September kann es dann schwierig werden.

Dennoch: Wird diese Zeit das Buch als Medium wieder aufwerten?

Thilo Es gibt tatsächlich eine Statistik, die besagt, dass Kinder- und Jugendbücher im März zugelegt haben. Das hat auch damit zu tun, dass die Bibliotheken geschlossen waren in der Zeit. Und es sind sicherlich auch viele Lernbücher dabei. Generell denke ich, dass der Wert des Buches im Alltag wieder mehr geschätzt wird.

Das PDF für das Spiel „Lockdown-Agents: Im Labor des Virologen“ kann unter diesem Link heruntergeladen werden, in zwei Varianten (für 8- bis 11-Jährige sowie ältere Kinder). Zum Spiel gibt es auch einen Film bei You Tube.

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