Rechtsanwältin im Interview "Je kleiner das Erbe, umso heftiger wird gestritten"

Düsseldorf/Würselen · In kaum einem Bundesland wird so oft ums Erbe gestritten wie in NRW. Oft geht es dabei um große Summen, Immobilien oder Firmen. Manchmal hänge ein Kompromiss aber nur von einer Kleinigkeit ab – wie der Frage, wer den Fotoapparat des Vaters bekommt, berichtet die Rechtsanwältin Stephanie Herzog aus Würselen.

 Jeder Zweite in NRW geht davon aus, dass er etwas vererben wird. Das ergab eine repräsentative Umfrage.

Jeder Zweite in NRW geht davon aus, dass er etwas vererben wird. Das ergab eine repräsentative Umfrage.

Foto: dpa

In kaum einem Bundesland wird so oft ums Erbe gestritten wie in NRW. Oft geht es dabei um große Summen, Immobilien oder Firmen. Manchmal hänge ein Kompromiss aber nur von einer Kleinigkeit ab — wie der Frage, wer den Fotoapparat des Vaters bekommt, berichtet die Rechtsanwältin Stephanie Herzog aus Würselen.

Frau Dr. Herzog, als Rechtsanwältin für Erbrecht dürften Sie gut zu tun haben. Laut einer Umfrage wird in kaum einem Bundesland so oft ums Erbe gestritten wie in NRW.

Stephanie Herzog Gestritten wird viel, das stimmt. Ich habe auch das Gefühl, dass es zunimmt. Kollegen berichten das ebenfalls. Ob allerdings in Nordrhein-Westfalen mehr gestritten wird als anderswo — das weiß ich nicht.

Hängt es von der Höhe eines Erbes ab, ob unter den Erben Streit ausbricht?

Stephanie Herzog Ich habe manchmal das Gefühl: Je kleiner das Erbe, um so heftiger wird gestritten. Wenn Sie über einen Pflichtteil von 10.000 Euro sprechen, dann ist es aber eben auch ein Unterschied, ob Sie 9500 Euro bekommen oder 11.000 Euro. Wenn es dagegen um ein Erbe von zwei Millionen Euro geht, dann ist es oft leichter, über runde Summen zu sprechen.

Wird immer darüber gestritten, wer wie viel bekommt?

 Stephanie Herzog ist Rechtsanwältin für Erbrecht und Partnerin einer Kanzlei in Würselen. Die promovierte Juristin hat mehrere Bücher zum Thema verfasst und arbeitet dazu auch in mehreren Arbeitsgruppen im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Stephanie Herzog ist Rechtsanwältin für Erbrecht und Partnerin einer Kanzlei in Würselen. Die promovierte Juristin hat mehrere Bücher zum Thema verfasst und arbeitet dazu auch in mehreren Arbeitsgruppen im Deutschen Anwaltverein (DAV).

Foto: Stephanie Herzog

Stephanie Herzog Nicht nur. Manchmal geht es darum, ob das Testament überhaupt wirksam ist, weil es vom Verstorbenen erst kurz vor seinem Tod geschrieben wurde und die Frage im Raum steht, ob er noch testierfähig war. Oder es geht um die Frage, welches der vier Testamente gilt, die er hinterlassen hat. Ich habe auch schon erlebt, dass die Erben darüber streiten, wer den Werkzeugkoffer oder die Auto-Sammmlung bekommt, weil Erinnerungen daran hängen — und dass der gesamte Fall von dieser einen Frage abhängt.

Wundern Sie sich manchmal, um was sich Erben streiten?

Stephanie Herzog Eigentlich schon lange nicht mehr. Im Erbrecht erleben Sie viel. Aber wenn es in einem Fall eigentlich um große Dinge geht, um Unternehmen oder Immobilien, die aufgeteilt werden müssen, und die Erben können sich dann nicht einigen, wer die Fotokamera des Vaters bekommen soll — dann staune ich schon. Aber vielleicht hat der Vater mit dem Fotoapparat gezeigt, wie man fotografiert. Wenn dann noch eines der Geschwister schon immer das Gefühl hatte, dass der andere vom Vater besser behandelt wurde — dann ist es psychologisch schon nachvollziehbar, dass erbittert um den Fotoapparat gestritten wird.

Warum brechen diese alten Streitigkeiten wieder auf, wenn es ums Erbe geht?

Stephanie Herzog Ich bin kein Psychologe, aber ich habe das Gefühl, dass diese Streitigkeiten beim Tod wieder aufkommen, weil man dann realisiert, dass man keine Chance mehr hat, die Angelegenheit zum Beispiel mit dem Vater noch einmal zu besprechen. Deshalb klammert man sich dann an so etwas wie einen Fotoapparat. Das macht einen Kompromiss natürlich furchtbar schwierig. Und wenn Sie den Fall nur juristisch betrachten, dann kommen Sie auch nicht weiter.

Was machen Sie stattdessen?

Stephanie Herzog Ich suche das Gespräch mit der Gegenseite und versuche, alle Parteien an einen Tisch zu bringen, bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Ein Gerichtssaal ist der falsche Ort, um ein Erbe aufzuteilen. So etwas müssen die Erben vorher klären. Dann bekommen Sie auch eine Lösung, mit der alle gut leben können.

Allerdings müssen dazu auch alle Seiten zu einem Kompromiss bereit sein.

Stephanie Herzog Natürlich. Alle müssen etwas nachgeben, das ist das Wesen eines Vergleichs. Aber wenn man die Dinge sortiert und klar darlegt, stellt sich oft heraus, dass man gar nicht so weit voneinander entfernt ist. Die letzten Knackpunkte lassen sich dann oft auch noch auflösen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich dränge niemanden in einen Vergleich. Es ist die Entscheidung der Mandanten. Aber man muss auch sehen, dass ein Gerichtsprozess Zeit, Geld und Nerven kostet. Wer dagegen etwas nachgibt, kommt oft schneller zu einer guten Lösung.

Wie oft gelingt Ihnen das?

Stephanie Herzog In 90 Prozent der Fälle. Ich gehe sehr selten zu Gericht.

Woran scheitern die übrigen zehn Prozent der Fälle?

Stephanie Herzog Häufig daran, dass die Gegenseite gar nicht zu Gesprächen bereit ist oder dass Zusagen nicht eingehalten werden — das beobachte ich immer öfter. Wenn das passiert, dann geht es nur noch mit einem Gerichtsprozess.

Wenn man nicht möchte, dass es so weit kommt: Wie kann ich verhindern, dass später unter meinen Erben ein Streit ausbricht?

Stephanie Herzog Setzen Sie ein Testament auf und lassen Sie sich dabei von einem Anwalt oder einem Notar beraten. Zwar werden nicht alle Erben mit Ihrem letzten Willen glücklich sein — aber sie müssen sich fügen. Das funktioniert meistens auch.

Das Gespräch führte Markus Werning.

(wer)
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