Nach Fall aus Essen Warum Kliniken in NRW kranke Kinder abweisen müssen

Düsseldorf · Eine Familie aus Essen musste vor kurzem bis nach Neuss fahren, um ihr krankes Baby in einer Klinik behandeln zu lassen. Ein Problem, vor dem künftig immer mehr Eltern stehen können, da vielen Kinderstationen Personal fehlt. Offen zugeben tut das aber niemand gerne.

 Mehrere Babys liegen auf der Kinderstation eines Krankenhauses. (Symbolfoto)

Mehrere Babys liegen auf der Kinderstation eines Krankenhauses. (Symbolfoto)

Foto: Shutter/sukanya sitthikongsak

Der Fall sorgt für Empörung bei Eltern und Ärzten: Ein zwei Monate altes Baby aus Essen wurde vom Kinderarzt mit der Diagnose einer schweren Virusinfektion ins Krankenhaus eingewiesen. Allerdings hatte kein Krankenhaus in der Umgebung ausreichend Kapazität, um das kranke Mädchen stationär aufzunehmen. Dabei brauchte das Mädchen keine intensivmedizinische Betreuung, sondern lediglich ein Einzelzimmer, um eine Ansteckung anderer Kinder zu vermeiden. Erst ein Krankenhaus im rund 60 Kilometer entfernten Neuss gab das Signal, dass man das Kind bei sich im Haus versorgen könne. So wurde die Familie also endlich in Neuss aufgenommen und behandelt. Dem Kind geht es inzwischen besser.

Der Fall wirft aber die Frage nach der Verantwortlichkeit für die medizinische Versorgung von kranken Kindern auf. Hätte der Kinderarzt das Kind als Notfall eingestuft, hätte ein Rettungsdienst die Koordination der Krankenhausfrage übernommen. Da dies aber nicht der Fall war, waren die Eltern mit der Suche nach einem freien Krankenhausbett zunächst auf sich selbst gestellt. Denn grundsätzlich haben Patienten in Deutschland freie Arzt- und Krankenhauswahl. Wenn man also vorab beispielsweise in einem Krankenhaus anruft und wegen Überfüllung abgewiesen wird, steht man als Patient mit leeren Händen da. Erst wenn man tatsächlich - wie auch im Fall der Essener Familie - persönlich in einem Krankenhaus oder einer Notaufnahme erscheint, muss die Klinik ihrem regionalen Versorgungsauftrag nachkommen. Das heißt, bei Abweisung eines Patienten Kontakt zu anderen Kliniken aufnehmen und eine Verlegung organisieren.

Dass an dem Tag, als die Familie aus Essen dringend ein Bett für ihre Tochter benötigte, wirklich alle Kliniken in der näheren Umgebung belegt waren, war einfach großes Pech. „Es muss entweder ein extrem hohes Patientenaufkommen oder massive Personalknappheit gegeben haben“, sagt auch Edwin Ackermann vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in NRW mit Blick auf den Fall. Dabei weist die Situation auf ein grundlegendes Problem hin: die knappen Ressourcen in Kinderkliniken. „Wir rechnen damit, dass sich der Pflegemangel in der Kinderheilkunde in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird und immer mehr Kinderintensivbetten aber auch normale Stationen geschlossen werden müssen“, sagt Ackermann. So eine Notsituation, wie sie die Essener Familie erlebt hat, könnte also in Zukunft gehäuft auftreten. „Wenn in der Politik von Pflegenotstand die Rede ist, sind damit oft die Alten- und Krankenpflege gemeint. Die Kindermedizin wird oft vergessen“, so der Kinderarzt. Dabei handle es sich weniger um ein räumliches als um ein personelles Problem: Betten auf Kinderstationen blieben oft ungenutzt, weil die Klinik vor allen Dingen am Wochenende den nötigen Personalschlüssel nicht erfüllen kann. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sehen vor, dass auf einer normalen Station eine Pflegekraft für maximal vier Patienten zuständig sein darf, auf Intensivstationen sogar nur für zwei.

Vom selben Problem berichtet auch die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW), in der alle 344 Kliniken in NRW organisiert sind. „Wir hören immer wieder von Krankenhausbetreibern, dass sie ihre Kinderstationen am Wochenende bei der Leitstelle der Rettungsdienste abmelden, weil sie keine Kapazitäten mehr haben“, sagt Lothar Kratz, Sprecher der KGNW. Offen kommunizieren würde diesen Personalmangel aber fast kein Krankenhaus – aus Angst vor einem schlechten Image und Nachteilen den Mitbewerbern gegenüber. „Gerade die pädiatrischen Stationen stehen zusätzlich unter einem hohen Prüfungsdruck, da fast keine Station in NRW kostendeckend arbeitet“, erklärt Kratz. Wenn der medizinische Dienst der Krankenkassen also beispielsweise im Nachhinein feststellt, dass ein Patient überbehandelt wurde, kann es sein, dass das Krankenhaus eine Strafe an die Krankenkasse zahlen muss oder aber auf Teilkosten für die Behandlung des Kindes sitzen bleibt.

Dieser wirtschaftliche Druck kann die Versorgung kranker Kinderpatienten dauerhaft gefährden. In einer Petition hat die Akademie der Kinder- und Jugendmedizin den Bundestag daher dazu aufgefordert, sich mit den Rahmenbedingungen in der Kinderpflege zu beschäftigen. Die Petition hat ausreichend viele Unterschriften bekommen und wurde in der vergangenen Woche eingereicht.

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