Vor dem Brexit Auf einen Tee mit zwei Briten im Rheinland

Düsseldorf · Zwei Engländer, die im Rheinland leben, sprechen über den Brexit und das Gefühl von Heimat – und sind dabei oft nicht einer Meinung.

Les und Kirsty begrüßen sich – sie sind sofort per Du. „Wir Engländer machen da so. In England ,youzt‘ man sich“, sagt Les. Die beiden Briten sitzen nebeneinander, jeder hat eine Tasse Tee vor sich. Sie grün, er schwarz.

Les Searle ist 81 Jahre alt, wohnt seit Mitte der 1960er Jahre in Wermelskirchen. Der Jazz-Musiker kam mit der Royal Air Force nach Deutschland. Kirsty Aretz, geborene Ward, kommt ursprünglich aus York; eine wunderschöne Universitätsstadt, sagt sie. Seit 1994 lebt die heute 47-Jährige in Grevenbroich. „Die Stadt ist auch ganz schön. Aber ich habe in Deutschland noch nichts gefunden, das wie die Heimat ist.“

Was ist denn Heimat für euch?

Kirsty England bleibt natürlich meine Heimat. Aber Heimat ist auch da, wo ich bin. Auch Grevenbroich ist ein Stück Heimat.

Les Sehe ich auch so. Ich habe über die Hälfte meines Lebens in Deutschland gelebt. Beides ist für mich Heimat.

Seid ihr Briten oder Deutsche?

Kirsty Ich bin als Engländerin geboren und werde als Engländerin sterben.
Les Ich sehe mich auch als Brite. Meine beiden Töchter sind das allerdings nicht mehr so ganz. Die haben letzten Sommer die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt. Aus Angst vor dem Brexit.

Habt ihr beim Referendum über den Austritt mitgewählt?

Les Nein, durften wir nicht. Weil wir seit mehr als 15 Jahren außerhalb von Großbritannien leben. Aber ich finde, dass wir gerade in der Brexit-Frage hätten teilnehmen müssen, weil auch wir betroffen sind.

Kirsty Ich gebe dir Recht. Wir hätten wählen dürfen müssen.

Kirsty stockt kurz: doch der Satz stimmt. „Ein schöner deutscher Satz, den mag ich.” Sie wiederholt ihn mehrfach, Sie und Les sprechen das „r” so schön aus, wie es nur die Briten können.

Les Ich finde es auf jeden Fall richtig, dass Großbritannien über den Brexit abstimmen durfte.

Kirsty Ja, es ist die reinste Form von Demokratie, wenn das Volk entscheidet. Deswegen bin ich für die Wahl gewesen.

Les Ich hätte aber nicht gedacht, dass die Briten sich für den Austritt entscheiden. Ich muss sagen, dass ich ganz schön enttäuscht war. Ich hätte dagegen gestimmt.

Kirsty Ich bin für den Brexit. Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass die Entscheidung richtig war. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass Europa wachgerüttelt wird. Und man kann jetzt nicht hingehen und sagen, wir wählen einfach nochmal.

Les Aber es war schon knapp. Bei vielen Volksentscheiden muss es eine Zwei-Drittel-Mehrheit geben. Das hätte ich gut gefunden.

Kirsty Dann wäre es vom Tisch gewesen, das stimmt. Aber die Welt geht auch nach dem Brexit weiter. Zum Beispiel haben Deutsche schon in England studiert lange bevor es die EU gegeben hat. Es ist heute ohne Zweifel einfacher, aber jetzt wird es eben wieder ein bisschen anders. Wir werden ein Visum brauchen.

Kirsty greift zu den Scones, ein englisches Gebäck, das zu jeder Tea Time gehört. “Lecker”, sagt sie, “aber ich kann die besser.” Auch Les findet sie ein bisschen zu knusprig. Ihn beschäftigt aber immer noch der Brexit.

Les Meine Frau und ich sagen uns: Wir sind so lange hier. Die werden uns schon nicht rausschmeißen.

Kirsty Das denke ich auch. Ich habe es aber irgendwie schon ein bisschen gehofft. Ich würde gerne nicht mehr hier wohnen.

Les Kannst du nicht einfach gehen?

Kirsty Leider nicht, meine beiden Kinder haben einen deutschen Papa. Wenn das nicht so wäre, wäre ich nicht mehr hier. Es ist nicht so, dass ich unbedingt nach England zurückziehen würde. Ich würde gerne in Kanada wohnen.

Les Aber da bist du näher an Trump.

Kirsty Der macht mir keine Angst.

Von Amerika zurück nach Europa: Was ist die EU für euch?

Les Gut ist, dass man nicht an jeder Grenze warten muss. Man kommt einfach nach Holland und natürlich nach England. Und ich finde den Euro gut. Im Großen und Ganzen sehe ich die EU als Vorteil.

Kirsty Ich bin nicht so pro EU. Das Problem ist, es gibt zu viele Entscheidungen, die die kleinen Leute im normalen Alltag nicht gut finden. Zum Beispiel darf mein Staubsauger nur noch 700 Watt anstatt 1800 Watt haben. Der saugt jetzt schlechter.

Les Oder die Sache mit den krummen und geraden Gurken und Bananen. Und es gibt wegen der EU auch manche Apfelsorten nicht mehr in England, die wir da früher hatten.

Kirsty Dass überhaupt jemand über unser Essen in so einer Art entscheidet. Ich bin nicht komplett anti EU. Aber ich finde, dass die Leute vor allem diese kleinen Dinge mitbekommen und dann sagen: Die EU ist nicht sinnvoll.

Der Fotograf will das letzte Tageslicht nutzen, um ein paar Fotos draußen zu machen. Ob ihnen das nicht zu frisch ist? „Zu frisch? Wir sind Engländer“, sagt Kirsty lachend. Sie lassen die Jacken über den Stühlen hängen. Zurück am Tisch, nehmen beide dann doch einen Schluck warmen Tee.

Gibt es bei euch eigentlich jeden Tag um 16 Uhr Tee?

Kirsty Das habe ich schon in England nicht gemacht.

Les Doch, ich schon. Ich trinke viel Tee. Nicht nur nachmittags, auch vormittags und abends.

Kirsty Mir ist der britische Humor wichtiger. Alle Leute, die mich kennen, finden mich ein bisschen verrückt. Das ist die Engländerin in mir. Das merke ich auch bei Les: Der kommt hier an und ist witzig, macht lustige Sprüche. Die meisten Deutschen würden das nicht tun, wenn sie jemanden erst zwei Minuten kennen.

Les Es ist im Blut, ob wir wollen oder nicht.

Kirsty Genau wie die Royals: Die kosten zwar viel Geld, aber wir Briten mögen sie einfach.

Les Der Brite ist sowieso sehr, sehr patriotisch. Mehr als in Deutschland.

Kirsty Vielleicht kommt auch der Brexit daher. Bei manchen ist der Patriotismus aber fast schon zu übertriebenem Nationalismus geworden.

Les Stimmt. Viele haben für den Brexit gestimmt, weil es in ihren Augen zu viele Einwanderer gibt. Aber die haben nicht richtig überlegt, denn die meisten dieser Leute sind gelernte Fachkräfte. Und Großbritannien hat eine lange Einwanderungs-Tradition.

Der Tee ist leer, draußen ist es dunkel. Und während in Großbritannien Politiker immer noch über den Brexit diskutieren, fahren die beiden deutschen Briten zurück in ihre zweite Heimat.

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