Todestag "Verzeihen können wir dem Mörder nie"

Mönchengladbach · Vor zwölf Jahren wurde die Tochter von Helene und Günter Langen von ihrem Lebensgefährten ermordet. Monika war 23. Der Täter bekam lebenslänglich, könnte aber in drei Jahren frei sein. Für die Eltern ein unerträglicher Gedanke.

 Helene Langen mit dem Foto ihrer ermordeten Tochter Monika. "Lebenslänglich, das gilt für uns, nicht für den Täter", sagt sie.

Helene Langen mit dem Foto ihrer ermordeten Tochter Monika. "Lebenslänglich, das gilt für uns, nicht für den Täter", sagt sie.

Foto: detlef Ilgner

Immer um den Todestag ihrer Tochter Monika herum ist es besonders schlimm. In einem Jahr litt Helene Langen kurz zuvor unter Schwindel, im nächsten machte der Blinddarm Probleme, dann laborierte sie an einer Darmentzündung. Ihr Mann Günter bekommt Panikattacken und traut sich nicht, das Haus zu verlassen. Der 26. Februar 2004 hat das Leben der Langens so nachhaltig, so endgültig, so unumkehrbar aus dem Gleichgewicht gebracht, dass Normalität für die Familie nur noch ein relativer Begriff ist. An diesem Tag wurde ihre Tochter von deren Lebensgefährten ermordet. Der damals 33-Jährige hatte angenommen, sie wolle ihn verlassen, und hatte sie erwürgt. "Lebenslänglich, das gilt für uns, nicht für den Täter", sagt Helene Langen. Denn 2019, nach 15 Jahren verbüßter Haft, kommt der Mann möglicherweise frei. "Ihm zu begegnen, vielleicht sogar an Monikas Grab, ist für uns ein unerträglicher Gedanke", sagt Günter Langen (72).

"Viele Eltern fühlen so"

Allerdings: Die Eltern beteuern, dass sie sich niemals den Tod des Täters gewünscht haben. "Sonst hätte er für sein Verbrechen ja nicht sühnen können", sagt Helene Langen. Ihr komme eher die Vorstellung entgegen, dass ein lebenslänglich Verurteilter auch bis zu seinem Lebensende in Haft bleibe. Dass er wahrscheinlich wieder freikomme, ein neues Leben anfangen könne, eine zweite Chance bekäme, sei nur schwer zu verkraften. "Viele Eltern ermordeter Kinder fühlen so", sagt Marion Waade, Vorsitzende von Anuas, einer bundesweiten Hilfsorganisation für Angehörige von Mord-, Tötungs-, Suizid und Vermisstenfällen. "Sie haben den Eindruck, dass die Täter in unserem Rechtssystem gut versorgt sind, für die Angehörigen der Opfer aber zu wenig getan wird."

So schildern es auch die Langens. Psychologische Hilfe bekamen sie erst, als sie selbst aktiv wurden. "Sonst wäre ich untergegangen", sagt Helene Langen. Sie meldete sich bei der Selbsthilfegruppe "Verwaiste Eltern", absolvierte nach zwei Jahren eine Ausbildung als Trauerbegleiterin und leitete die Gruppe zehn Jahre lang. "So hatte ich wenigstens das Gefühl, meine Tochter sei nicht umsonst gestorben." Die Gespräche mit Leidensgenossen hätten sie gestützt, ihr über die schlimmsten Phasen hinweggeholfen. Nur diese Menschen würden ihren Verlust verstehen. "Mit anderen kann man irgendwann nicht mehr darüber reden, das ist für sie zu lange her", sagt die 65-Jährige. "Für uns aber ist es jeden Tag präsent."

Im Prozess traten die Eltern als Nebenkläger auf. Rund 36.000 Euro wurden ihnen als Schmerzensgeld zugesprochen, davon, so erzählt es Helene Langen, 6500 für das Leben ihrer Tochter. "Weil sie nur zwei, drei Minuten gelitten habe, lautete die Begründung", sagt die 65-Jährige. Der Täter wurde verurteilt, die komplette Summe zu erstatten. Fünf Jahre nach dem Prozess gingen 30 Euro bei den Eltern ein. Helene Langen eröffnete ein Sparbuch. Heute beträgt das Guthaben 30,56 Euro. "Mit Zinsen", sagt die Mönchengladbacherin. Alle drei Jahre darf sie mit anwaltlicher Verfügung einen Gerichtsvollzieher zum Täter ins Gefängnis schicken. Doch bisher gab es dort nichts zu pfänden. Helene Langen will weiter daran festhalten. "Wenn er sich bei uns entschuldigt, höre ich damit auf", sagt sie. Jahrelang habe sie auf einen Brief des Mannes gewartet, der ihre Tochter getötet hat. Darauf, dass er seine Motive für die Tat erklärt, dass er sich bei ihnen dafür entschuldigt. Aber da kam nichts. Nicht nur deshalb könne sie ihm nie verzeihen. Sondern auch dann nicht, wenn er sich entschuldigen würde. Dafür sitze der Schmerz zu tief. Hass aber spüre sie keinen. "Das ist ein zu starkes Gefühl, das möchte ich nicht an ihn verschwenden. Ich empfinde nur Verachtung und Mitleid."

Hassblinde Menschen haben Probleme

Anuas-Vorsitzende Marion Waade weiß sehr gut, was in den Langens vorgeht. Auch ihre Tochter wurde 2007 Opfer eines Verbrechens, mit 26 Jahren. "Es ist gefährlich, wenn Angehörige denken, dass ihnen nicht genug Gerechtigkeit widerfährt", sagt Waade. "Menschen, die hassblind sind, funktionieren nicht mehr, sie verlieren möglicherweise ihre sozialen Kontakte, ihren Arbeitsplatz." Angehörige müssten daher nach dem Opferentschädigungsgesetz genauso behandelt werden wie Opfer. Das sei seit November auch durch eine EU-Richtlinie geregelt, werde aber in Deutschland noch nicht korrekt umgesetzt. Wie groß der Bedarf nach Hilfe sei, zeige die Zahl der Betroffenen, die bei Anuas jeden Monat Rat suchten - rund 200 bis 250 Fälle seien es.

Helene Langen wird die Unterstützung auch wieder annehmen. Spätestens dann, wenn der Mörder ihrer Tochter kurz vor der Entlassung steht. Vor diesem Tag graut es ihr, vor den Gefühlen, die sie dann bedrängen, vor der Angst, ihn möglicherweise von Angesicht zu Angesicht zu sehen. "An diesem Platz hat er immer gesessen", sagt sie fast beiläufig und weist mit dem Kopf auf den freien Platz am Küchentisch. So als ob sie sagen wolle, da könnte er theoretisch auch heute noch sitzen. Und dass der Platz daneben für immer leer bleibt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort