Alternative zur „Babyklappe“ Mehr als 90 vertrauliche Geburten in NRW seit 2014

Düsseldorf · Frauen, die ihr Kind sicher zur Welt bringen wollen, ohne ihren Namen zu nennen, können sich in Deutschland seit 2014 zu einer vertraulichen Geburt entscheiden. Die Bielefelder Schwangerschaftsberaterin Christiane Detering wünscht sich allerdings, dass diese Möglichkeit noch bekannter wird.

 Eine Hebamme tastet den Bauch einer schwangeren Frau ab.

Eine Hebamme tastet den Bauch einer schwangeren Frau ab.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Als Christiane Detering zum ersten Mal eine Frau zur Möglichkeit der vertraulichen Geburt beraten sollte, musste alles ganz schnell gehen. Die Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonfliktberatung der Diakonie in Bielefeld wurde erst gerufen, als die Entbindung unmittelbar bevorstand. Ein Extremfall, aber tendenziell nicht unüblich bei dieser Form der Geburt, weil Frauen in der Lage sind, eine ungewollte Schwangerschaft monatelang zu verdrängen.

Seit dem 1. Mai 2014 gibt es in Deutschland für Frauen die gesetzlich verankerte Möglichkeit, ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt zu bringen, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Das Kind wird dann zur Adoption freigegeben. Mehr als 570 Frauen haben dies bundesweit getan, wie das Familienministerium am Dienstag mitteilte. In NRW waren es von 2014 bis 2017 laut NRW-Familienministerium 90 Fälle, die Jahreszahlen schwanken ohne eindeutigen Trend. Die Zahlen für 2018 liegen noch nicht vor.

Das Besondere einer vertraulichen Geburt: Die Frau nennt ihren Namen nur einmal einer Mitarbeiterin einer Beratungsstelle wie Diakonie oder Caritas, danach taucht sie nur noch unter einem Pseudonym in den Akten auf. Ihre Identität wird sicher in einem Umschlag verwahrt, damit das Kind frühestens mit dem 16. Lebensjahr erfahren kann, wer seine Mutter ist. In begründeten Ausnahmefällen gilt der Schutz der Mutter allerdings noch darüber hinaus. Mit dem Gesetz sollte unter anderem die Zahl der Frauen gesenkt werden, die ihre Neugeborenen in eine Babyklappe legen. Denn das bedeutet in den meisten Fällen, dass das Kind nicht in einem Krankenhaus zur Welt kommt – was mit einem größeren Risiko verbunden ist. Außerdem haben die Kinder später nicht die Möglichkeit, die Identität der Mutter zu erfahren.

Christiane Detering berät seit 1977 Schwangere. Beratungen zur vertraulichen Geburt sind immer noch Einzelfälle, rund 6500 Frauen wenden sich bundesweit pro Jahr an eine Beraterin. Das liegt laut Detering auch daran, dass vielen diese Möglichkeit noch gar nicht bekannt ist. Sie plädiert dafür, das Thema noch stärker in die Öffentlichkeit zu holen.

„Bei der Beratung gibt es drei Stufen“, erklärt sie. Erstens: Gibt es Wege, wie die Frau mit dem Kind leben kann? Zweitens: Wie sieht der Weg der regulären Adoption aus? Und wenn beides nicht in Frage kommt, die dritte Möglichkeit: Das Verfahren der vertraulichen Geburt. Die Gründe, warum sich eine Frau dafür entscheidet, sind sehr unterschiedlich, aber, so berichtet Detering, häufig gehe es darum, dass die Familie nichts von dem (unehelichen) Baby wissen dürfe, bei einem Migrationshintergrund könne dieser Konflikt noch schärfer sein. Andere Frauen sind bereits Mütter und haben Sorge, dass sie mit der Erziehung eines weiteren Kindes so überfordert sind, dass ihnen die Kinder weggenommen werden.

Die Hoffnung, dass weniger Frauen ihr Kind in eine Babyklappe legen, hat sich nur bedingt erfüllt. Bundesweit sind die Zahlen zwar nicht gesunken, teilte das Bundesfamilienministerium mit, seien aber dank der Möglichkeit der vertraulichen Geburt weniger stark gestiegen. Detering hält es für schwierig, jene Frauen zu erreichen, die in einer solchen Notsituation sind, dass sie ihr Kind in die Babyklappe legen.

Für genauso wichtig wie gute Beratung für Schwangere hält sie guten Sexualkundeunterricht, der über die Möglichkeiten der Verhütung aufklärt. Da hätten Jugendliche aus sehr gläubigen Familien häufig Berührungsängste. Außerdem plädiert sie dafür, den Adoptionsgedanken viel stärker zu achten. „Mütter, die ihre Kinder abgeben, gelten als Rabenmütter.“ Doch erstens seien Raben sehr soziale Tiere und zweitens gehöre zur Entscheidung, sein eigenes Kind abzugeben, sehr viel Selbstkritik. „Das ist unglaublich.“

Weitere Informationen zur vertraulichen Geburt gibt es auf der Webseite www.geburt-vertraulich.de vom Bundesfamilienministerium.

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