Vergiftete Pausenbrote Mutter von Opfer nennt Angeklagten einen „Irren“

Bielefeld · Im Prozess um vergiftete Pausenbrote in einem ostwestfälischen Betrieb haben die Eltern eines der mutmaßlichen Opfer den körperlichen Verfall ihres Sohnes geschildert. Eine Mutter richtete persönliche Worte an den Angeklagten.

Der Angeklagte Klaus O.

Der Angeklagte Klaus O.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Anfangs habe er über Taubheit in den Fingern und Schlappheit geklagt. Wenig später habe er nicht mehr alleine laufen können und sei die Uniklinik Münster gekommen, berichteten Mutter (51) und Vater (52) am Mittwoch in dem Verfahren am Landgericht Bielefeld. In der Klinik stellten Ärzte schließlich die Diagnose Quecksilbervergiftung. Ihr Sohn Nick liegt heute im Wachkoma und wird als Pflegefall mit schweren Hirnschäden zu Hause gepflegt. Eine Aussicht auf Besserung gibt es nicht.

Angeklagt ist Klaus O. (57) wegen versuchten Mordes in drei Fällen. Der Deutsche soll in den vergangenen Jahren mehrere seiner Arbeitskollegen mit gefährlichen Substanzen auf deren Pausenbroten vergiftet haben. Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft schweigt der Angeklagte bislang. Aufgeflogen war der Fall, weil ein Kollege Substanzen auf seinem Pausenbrot gefunden und die Firmenleitung daraufhin eine geheime Videoüberwachung installiert hatte.

Ihr Sohn war bis zu seiner plötzlichen und zunächst rätselhaften schweren Erkrankung ein sportlicher junger Mann, schilderte die Eltern des inzwischen 26-Jährigen. Er arbeitete als Aushilfe während seines Studiums in seinem Ausbildungsbetrieb in Schloß Holte-Stukenbrock. Sein Vater: „Zwei Jahre nach der Lehre hat Nick ein Studium in Bielefeld angefangen. Er hatte Ziele, es fluppte. Ich war überrascht, dass er studieren wollte.“ Sein Sohn sei als Realschüler kein Überflieger gewesen.

Die Verkäuferin beschrieb unter Tränen, wie sie anfangs ihren Sohn in Verbindung mit Drogen brachte. „Mein erster Gedanke war, dass er mit seinen Kumpels etwas angestellt hatte“, sagte die Mutter von drei Söhnen. In einer persönlichen Stellungnahme zum Abschluss ihrer Zeugenaussage bezeichnete sie den Angeklagten als „Irren“. „Für seine Tat gibt es keine gerechte Strafe.“

Der Vorsitzender Richter Georg Zimmermann hatte vor der Zeugenaussage der Angehörigen angeregt, die Öffentlichkeit zum Schutz der Familie auszuschließen. Ausdrücklich lehnte die Mutter dies ab.

Das Paar schilderte übereinstimmend in getrennten Zeugenaussagen, welche schwere Belastung die lange Ungewissheit bei der Ursachensuche und die jetzige Pflegesituation für die Familie bedeuten. „Wir haben nach der Diagnose Quecksilber rumgesponnen, wir hatten Zuhause die Leitungen in Verdacht. Wir haben alles untersucht. Mann spinnt sich etwas zusammen“, schilderte die Mutter.

Während der ältere Bruder des mutmaßlichen Vergiftungsopfers nach Angaben der Eltern mit der Situation inzwischen klarkomme, habe der jüngere große Probleme. Der 22-Jährige arbeite in dem Betrieb, in dem sein schwer kranker Bruder zuvor tätig war. „Er ist dort immer der Bruder von Nick“.

Zuletzt hatte die Familie wieder Hoffnung geschöpft, dann aber die Diagnose: Die Schäden am Gehirn sind noch schlimmer geworden. „Das war für uns ein großer Schock“, sagte die Eltern aus. Die Ärzte wagten keine Prognose: „Ein Arzt in Münster hat zu mir gesagt, eine Prognose? Das wäre Wahrsagerei, das mache er nicht.“

Nur wenige Meter vom Zeugenstuhl entfernt sitzt Klaus O. auf der Anklagebank. Flankiert von seinen zwei Verteidigern zeigt er äußerlich kaum eine Regung, während die Mutter schluchzend aussagt. Nur wer genau hinschaut, sieht, dass der 57-Jährige mehrmals schwer schlucken muss.

Der Vater beschreibt seine Gefühlslage: „Leben will ich nicht, sterben will ich nicht. Aber ich kann mich ja nicht aus dem Staub machen. Ich muss mich doch um meine Frau und meine Söhne kümmern.“ Richter Zimmermann beendet die Zeugenaussage mit einer persönlichen Bemerkung: „Als Vater spreche Ihnen meinen Respekt aus.“

(dpa/seda)
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