„Lehnen unser Staatswesen grundlegend ab“ Neue Gruppierung bedroht Demokratie

Exklusiv | Düsseldorf · Eine neue demokratiefeindliche Bewegung breitet sich in NRW aus – mit Schnittmengen zu Rechtsextremen und Reichsbürgern. Der Verfassungsschutz nennt die Gruppierung „Demokratiefeinde“. Was sie so gefährlich macht und woraus sie entstanden sind.

 Die „Demokratiefeinde“ haben unter anderem auch Journalisten zu ihrem Feindbild erklärt.

Die „Demokratiefeinde“ haben unter anderem auch Journalisten zu ihrem Feindbild erklärt.

Foto: dpa/Markus Scholz

Nach Aufhebung fast aller Covid-Schutzmaßnahmen haben sich auch die sogenannten Corona-Leugner der neuen Situation angepasst und sich in einer neuen Bewegung formiert. „Aus der Corona-Protestlerszene haben sich Demokratiefeinde entwickelt, denen es um die Delegitimierung des Staates geht. Es handelt sich vor allem um den radikalisierten Teil der Protestszene gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, der das Feindbild ,Die Eliten im Staat‘ entwickelt hat“, heißt es in einer Auswertung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes für unsere Redaktion. Diesem Feindbild gehörten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten an: „Die ,Demokratiefeinde‘ lehnen unser demokratisches Staatswesen grundlegend ab und streben einen Systemwechsel an.“

Die Sicherheitsbehörden beobachten die Entwicklung mit Sorge. „Unser Verfassungsschutz blickt mit wachem Auge auf die Szene der sogenannten Delegitimierer. Corona leugnen ist das Eine. Etwas anderes ist es, wenn Teile der Bewegung die Axt an die Grundfesten unserer Demokratie legen wollen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. „Das ist wahnwitzig und entbehrt jeder Logik. Denn bei uns kann jeder seine Meinung frei äußern und friedlich demonstrieren, wofür oder wogegen er will“, betonte Reul.

Der Fokus des Verfassungsschutzes liegt besonders bei den Strippenziehern, deren Ziel es sei, legitime Proteste für ihre systemfeindliche Agenda zu missbrauchen. „Der harte Kern ist ungefähr auf 50 bis 70 Personen zu beziffern. Das Umfeld ist aber wesentlich größer“, so der Verfassungsschutz. Der Wandel von den Corona-Leugnern zu den „Demokratiefeinden“ schlage sich auch organisatorisch nieder: Gruppen werden umbenannt, schließen sich zusammen und lösen sich auf. Der Großteil des harten Kerns der Corona-Leugner sei in den neuen Strukturen weiterhin aktiv.

Statt der Pandemie werden seit Sommer 2022 etwa Energiepreise, Waffenlieferungen an die Ukraine und die Russland-Sanktionen aufgegriffen. Dabei werden laut Verfassungsschutz insbesondere antiamerikanische Narrative verbreitet: „Zum Teil macht sich die Szene zum Sprachrohr der russischen Regierung.“ Der Verfassungsschutz hat zudem beobachtet, dass die Radikalisierung zunehme. „Dies zeigt sich im gesprochenen Wort bei Versammlungen oder im geschriebenen Wort in den betreffenden Telegram-Kanälen.“

Ebenso hat die Duldung und sogar Beteiligung von Rechtsextremisten und „Reichsbürgern“ zugenommen. So nahmen demnach etwa Vertreter der „Reichsbürger“-Gruppierung „Verfassungsgebende Versammlung“ (VV) mehrfach mit ihrem Banner an Protestkundgebungen in Oberhausen und Essen teil. Am 29. Juni 2022 in Oberhausen durfte ein Vertreter der „VV“ eine Rede halten, in der er laut Verfassungsschutz Verschwörungsmythen aus der Reichsbürgerszene mit Antisemitismus vermischt habe. „Er sagte: ,Die BRD ist nicht Deutschland. Die BRD ist ein Konsortium aus weiteren 40.000 Firmen, die alle angemeldet sind in Amerika. Die BRD gehört den Machtjuden, dem Deep-State’“, so der Verfassungsschutz.

Das Feindbild werde mit Verschwörungsmythen gestützt; den Eliten würden pauschal schlechte Absichten unterstellt. Mit der fortwährenden Delegitimierung des Staates und seiner demokratischen Prozesse und Strukturen gehe es der Gruppe nicht darum, einen demokratischen Wechsel der Regierung herbeizuführen, indem man Einfluss auf die Diskurse nehme und durch Wahlen versuche, eine Regierung mit einer anderen politischen Agenda durchzusetzen. „Vielmehr ist die Delegitimierung Ausdruck der Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, so der Verfassungsschutzbericht.

Auch bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf beobachtet man diese Entwicklung. „Wir müssen leider erkennen, dass es zunehmend Menschen gibt, die unser System und unser Gemeinwesen fundamental ablehnen. Die staatliche Gemeinschaft im Sinne der wehrhaften Demokratie muss sich klar gegen diese Kräfte positionieren. Diesen Leuten muss auch strafrechtlich konsequent entgegengetreten werden“, sagte der dort leitende Oberstaatsanwalt Axel Stahl. „Im Rahmen ihrer Zuständigkeit leistet die bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf angesiedelte Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein – Westfalen (ZenTer NRW) dazu ihren Beitrag“, so Stahl weiter. Bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf ist unter anderem die Zentralstelle Terrorismusverfolgung Nordrhein-Westfalen angesiedelt, in deren Zuständigkeit auch Taten von Tätern verfolgt werden, die einer nicht eindeutig zuzuordnenden Ideologie anhängen.

(csh)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort