Umbenennung der Uni Münster Tschüss Kaiser Wilhelm!
Meinung | Düsseldorf · Die ehrwürdige Universität Münster legt den Wilhelm in ihrem Namen ab. Zu Recht, denn der letzte deutsche Kaiser war Kriegstreiber und fanatischer Antisemit. Trotzdem ist die Umbenennung aus anderen Gründen kleinmütig und ängstlich.
„Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben“, so skandieren manchmal unbelehrbare Monarchisten, auch wenn es einige nicht ganz ernst meinen. Völlig verfehlt ist der einstige Gassenhauer, wenn damit explizit Kaiser Wilhelm II. gemeint ist, den die Briten zu Recht „Silly Willy“ („Dummdreister Willi“) nannten. Immerhin gab es noch den etwas klügeren Vorgänger und Großvater Wilhelm I. Der zweite dieses Namens war indes sprunghaft im Wesen, erznationalistisch und überheblich in der Gesinnung, antisemitisch bis ins Mark. Er war – alles in allem – ein Unglück für Deutschland und zumindest teilweise mitschuldig am Ersten Weltkrieg.
Dass die Westfälische Wilhelms-Universität in Münster nun ihrem Namensgeber den Laufpass gibt, ist also nachzuvollziehen. Ganz wie es sich für eine so hohe Bildungsanstalt gehört, hat der Senat der Hochschule eine Historikerkommission eingesetzt. Und die kam 2020 zum Ergebnis, dass der letzte Kaiser des Deutschen Reichs als ideeller Schirmherr der Universität nicht tragbar ist. Auch wenn sich die dafür Verantwortlichen hüten sollten, dem Zeitgeist allzu eifrig nachzulaufen, der derzeit alles, was nicht 100-prozentig politisch korrekt ist, tilgen möchte.
Im Endeffekt kommt es darauf an, eine historische Persönlichkeit in ihrem Kontext zu sehen und zwischen den Verdiensten und augenscheinlichen Schwächen oder verwerflichen Handlungen abzuwägen. Selbst wenn man Kaiser Wilhelm in seiner Zeit sieht, die vom europäischen Imperialismus geprägt war, und auch zugestehen muss, dass sich der letzte deutsche Monarch durchaus um technischen Fortschritt und soziale Reformen gekümmert hat, ist seine kriegerisch-aggressive und andere Länder und Völker ausgrenzende Politik die Dominante in seinem Handeln. Sie kann nicht durch seine sonst eher fortschrittliche Einstellung in vielen Bereichen ausgeglichen werden.
Interessant ist, dass noch 1997 die im 18. Jahrhundert gegründete Universität Münster eine Umbenennung ablehnte. Das mag man bedauern, es steht aber auch für eine Haltung, die nicht ein allgemeines Scherbengericht über die Vergangenheit halten will – aus einer allzu moralisch aufgeladenen und sich für unfehlbar haltenden Gegenwart heraus. Vielleicht werden auch die Männer und Frauen, die wir heute verehren, von späteren Generationen völlig anders bewertet. Ein bisschen Demut tut hier also gut.
Denn schon schwärmen Historiker aus, um an anderen Namensgebern zu mäkeln. War etwa der Virologe Robert Koch in Menschenexperimente in Afrika verwickelt? Oder Martin Luther ein fanatischer Antisemit? Oder Kolumbus ein Sklavenhändler? Die Fragen sind berechtigt. Die Bewertung historischer Figuren, vor allem wenn sie schon längere Zeit tot sind, ist aber äußerst problematisch anhand unserer heutigen Maßstäbe. Die Gründerväter der ersten Demokratie in den Vereinigten Staaten hielten Sklaven für etwas völlig Normales, die Magna Charta, das erste Zeugnis rechtsstaatlicher und den König bindender Normen strotzte nur so vor antisemitischen Bestimmungen. Also Vorsicht bei schnellen Bewertungen.
Und es ist schon merkwürdig, dass selbst zu demokratischen Zeiten etwa die Benennung der Düsseldorfer Universität mit dem berühmtesten Sohn der Stadt, dem Dichter und Schriftsteller Heinrich Heine, so lange gedauert hatte. War der Spötter der deutschen Seele und des Idealismus hierzulande nicht geheuer, vielleicht sogar, weil er Jude war? Auch hier spielt immer sehr viel Zeitgeist mit.
Jetzt heißt die Hochschule – um ähnliche Probleme in Zukunft zu vermeiden – etwas defensiv und ängstlich nur noch „Universität Münster“. Sogar der Heimatbezug des „Westfälischen“ ist verschwunden. Das dürfte bei den 46.000 Studierenden und dem umfangreichen Lehr- und Forschungskörper nicht unbedingt zu einer großen Identifikation mit ihrer Hochschule führen. Aber auch in der Wissenschaft sind Emotionen und Leidenschaft wichtig. Und mit der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff oder der Philosophin Edith Stein hätten auch lokale Persönlichkeiten als Namensgeberinnen bereit gestanden. Schade, dass der Senat hier so kleinmütig war.