Noch viele Deutsche in der Ukraine Paar aus Kempen sitzt in Kiew fest

Kempen/Kiew · Die Niederrheiner waren am Flughafen in Kiew und wollten nach Hause fliegen, als der Krieg ausbrach. Ihr Flug wurde gestrichen. Nun wissen die Kempener nicht mehr, wie sie die Ukraine verlassen können. Zugverbindungen sind gekappt, die Fahrt mit dem Auto ist zu gefährlich.

Ukraine in Bildern: Menschen in Kiew suchen Schutz in U-Bahn und Kellern
11 Bilder

Wo die Ukrainer in der Nacht Schutz suchen

11 Bilder
Foto: dpa/Emilio Morenatti

Stefan Derks aus Kempen sitzt am Donnerstagabend mit seiner Frau Melanie (beide Namen aus Sicherheitsgründen geändert) in der Lobby des Radisson-Hotel in Kiew. Das Paar vom Niederrhein versucht seit Donnerstagmorgen vergeblich, das Land zu verlassen. „Wir haben schon alles probiert, aber bislang hat nichts geklappt. Wir stehen in Kontakt mit Freunden zu Hause, mit Politikern und der Botschaft“, sagt der 42-Jährige, der vom Kriegsbeginn völlig überrascht worden ist – wie die meisten Menschen. „Aber wir fühlen uns den Umständen entsprechend noch recht gut. Wir wissen aber nicht, was weiter passiert. Und ich weiß auch nicht, wie und ob überhaupt hier noch Leute rausgeholt werden können“, berichtet er.

Unsere Redaktion hat mit dem Paar am späten Donnerstagabend telefoniert und dann weiter Kontakt mit ihnen mit einem Messenger gehalten. Ein weiteres Paar aus dem Kreis Viersen ist ebenfalls bei ihnen im Hotel. Von den schweren Angriffen auf die ukrainische Hauptstadt durch die russische Armee in der Nacht zu Freitag sind sie verschont geblieben. Ihr Hotel liegt im Osten der Stadt, wo es offenbar noch keine Kämpfe gibt. „Es hat aber Shelter-Warnungen gegeben“, schreibt Derks am Freitagmorgen. Das bedeutet, dass alle Hotelgäste in die unterste Ebene des Hotel-Parkhauses gehen sollen. „Hier unten hat man glücklicherweise nichts gehört“, schreibt er.

Wie viele Deutsche sich noch genau in der Ukraine aufhalten, ist nicht bekannt. Es soll sich aber um eine hohe dreistellige Zahl handeln.  Die Bundesregierung hat deutsche Staatsangehörige angesichts des russischen Angriffs dringend aufgerufen, die Ukraine zu verlassen. Außerdem wurde die deutsche Botschaft in Kiew vorübergehend geschlossen. „In der Ukraine finden Kampfhandlungen und Raketenangriffe statt“, teilte das Auswärtige Amt auf Twitter mit.

Fotos: Ukraine-Krieg - Menschen flüchten aus dem Land
29 Bilder

Menschen flüchten aus der Ukraine

29 Bilder
Foto: AP/Emilio Morenatti

An die deutschen Staatsangehörigen appellierte das Außenministerium, vorläufig an einem geschützten Ort zu bleiben, falls diese das Land nicht auf einem sicheren Weg verlassen könnten. Das Auswärtige Amt änderte auch seine Reisewarnungen für die Ukraine. Vor Reisen in das Land werde gewarnt. Eine Evakuierung deutscher Staatsangehöriger durch deutsche Behörden sei derzeit nicht möglich, hieß es am Donnerstag.

Die Kempener waren am Donnerstagmorgen früh aufgestanden. Um vier Uhr morgens waren die beiden bereits am internationalen Flughafen in Kiew; ihre Maschine in die Heimat nach NRW gehörte zu den ersten, die an diesem 24. Februar starten sollten. Von Krieg war um die Uhrzeit noch nichts zu sehen. „Wir wollten eigentlich um 8.30 Uhr in Dortmund landen, und dann nach Hause fahren“, sagt der 42-Jährige aus Kempen. „Doch dann erschienen plötzlich Soldaten, und alle sind zum Ausgang geströmt“, berichtet er. „Danach kam eine Mitarbeiterin des Flughafens, die Englisch sprach und schrie: Es ist Krieg. Es ist Krieg. Flughäfen sind die ersten Ziele, die angegriffen werden. Alle raus. Wenn hier irgendwas einschlägt, ist hier nichts mehr.“

Daraufhin versuchte das Paar, mit dem Zug das Land zu verlassen. Doch auch das war aussichtslos. „Am Bahnhof herrschte ebenfalls Chaos, die Strecke war gesperrt. Da ging nichts mehr. Es kann auch keiner helfen, weil kaum jemand Englisch spricht. Infotafeln sind alle auf Kyrillisch“, berichtet er. Die beiden Deutschen kamen tagsüber zunächst in einer Wohnung eines befreundeten Paares unter. „Im Osten der Stadt gab es Einschläge.  Das konnte man von der Wohnung aus sehen. Das war aber sehr weit weg“, so der 42-Jährige.

Krieg Ukraine: So läuft der Kampf um Kiew - Fotos
78 Bilder

Kampf um Kiew

78 Bilder
Foto: dpa/-

Das Hotel, in dem die beiden am Abend wieder sind, ist ausgebucht. Für den Notfall gibt es einen Evakuierungsplan. „Die haben hier ein paar Leute aufgestellt, die sofort Alarm schlagen, wenn sie etwas Verdächtiges sehen und hören. Dann sollen alle sofort ins Parkdeck laufen. Wir wissen nicht, wie wir jetzt hier wegkommen sollen. Auch mit dem Auto soll es gefährlich sein. Es gibt Meldungen, dass die Russen auf alles Fahrbare schießen“, sagt er. „Wir hoffen, dass wir und die anderen hier aber schnell rausgeholt werden und nach Hause können.“

 Rauch steigt über der ukrainischen Hauptstadt auf.

Rauch steigt über der ukrainischen Hauptstadt auf.

Foto: dpa/-

Martin Plum, Bundestagsabgeordneter der CDU aus dem Kreis Viersen, setzt sich für die beiden Paare ein. „Ich stehe in Kontakt mit einem der Paare. Den Mann kenne ich schon seit mehr als 20 Jahren. Er hat mich am Donnerstagabend angerufen und mir die Situation geschildert. Ich versuche, sie zu unterstützen in ihrer misslichen Lage“, sagte Plum unserer Redaktion. „Ich habe zum Krisenstab des Auswärtigen Amtes Kontakt aufgenommen und dort noch einmal die Namen und Kontaktdaten beider Paare platziert“, so Plum. Weitergehende Informationen habe er aber noch nicht erhalten. Es sei aber derzeit sehr schwierig. Deutsche aus der Ukraine herauszubekommen. „Es bleibt abzuwarten, ob es dem Auswärtigen Amt gelingt, eine rasche Lösung zu finden. Ich hoffe sehr, dass es Möglichkeiten geben wird, deutsche Staatsbürger kurzfristig ausreisen zu lassen“, so der Christdemokrat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort