Udo Lindenberg zum 75. Geburtstag Alles paletti

Düsseldorf · Auch vor Rebellen macht das Alter nicht halt. Der Panik-Rocker wird am Montag 75 Jahre alt. Zur Ruhe setzen will er sich aber noch nicht. Zum Glück. Ein persönlicher Geburtstagsgruß an einen Künstler und „Öffentlichkeitsjongleur“, der immer sein Ding gemacht hat.

Udo Lindenberg: Der Panikrocker im Porträt
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Das ist Udo Lindenberg

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Foto: dpa/Georg Wendt

Wenn das Telefon klingelt, und Udo Lindenberg dran ist, denkt man sofort an einen Scherzkeks. Dieses Nuscheln, diese verdrehte Diktion, das kann nicht echt, muss Persiflage sein, schlecht imitiert. Von wegen. „Hallöchen“, meldete sich Lindenberg vor ein paar Jahren, früher als vereinbart, zum Telefontermin, den er verschieben wollte, weil er „noch was checken muss“. Später war er dann die Liebenswürdigkeit in Person, aufmerksam, originell, pointiert, und natürlich sofort beim Du. Kurz vor Mitternacht, das Interview war längst geführt, kam noch eine SMS hinterher: „Alles klar, Jörg? In case anymore questions, I’m easy man…von den flexibel-betrieben.“ Das ist so sympathisch verpeilt, so unverkennbar Lindenbergsprech, dass man ihn dafür einfach lieben muss. Udo ist eben Udo. Kunst und Leben, deckungsgleich. Am Montag wird der „Homo panicus“, wie ihn Kulturwissenschaftler Bazon Brock einmal nannte, 75 Jahre alt.

 Mit der deutschen Sprache spielen, experimentieren, jonglieren, das war immer Lindenbergs Sache. Sein Ding, egal was die anderen sagen. Schon allein, um sich abzugrenzen, einen eigenen Raum zu definieren, die Bühne abzustecken. Denn wo Lindenberg erscheint, ist immer Theater, mit ihm in der Hauptrolle. Unverdrossen spielt er bis heute den Altrocker und ewigen Außenseiter, auch wenn ihn das Establishment längst vereinnahmt und geadelt, mit Bambis, Bundesverdienstkreuzen und Sprachpreisen überschüttet hat, vor allem aber mit andauernder Verehrung: Niemals war der Panik-Rocker so en vogue, so jenseits aller Kritik wie in den vergangenen zehn, 15 Jahren. Wenn nicht Rio Reiser schon König von Deutschland wär’, Lindenberg könnte sofort übernehmen.

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 Was gerne vergessen lässt, dass das auch mal anders war. Dass der gebürtige Gronauer, bevor er zum Kräutertee wechselte, vorzugsweise Doppelkorn konsumierte oder Stärkeres, und das nicht gerade in Maßen. Als „Erkenntnis-Trinker“ und „Erleuchtungs-Drogist“ bezeichnete sich Lindenberg selbst einmal, nannte den Alkohol eine „zusätzliche Lampe im Leben“. Erhellung beim Eierlikörchen. Erst mit seinem Herzinfarkt 1989 dimmte er die Lichter etwas herunter. Statt sich „Schubidu“ und „Tralafitti“ zu widmen, arbeitet er seit Jahren an der Kondition, mit nächtlichen Jogging-Ausflügen rund um die Alster oder durch die Innenstädte, in denen er gastiert, wenn er sein Domizil im Hamburger Hotel Atlantic Kempinski für Konzerte oder andere Engagements verlassen muss. Nebenbei, das kann man nicht erfinden: vom Liftboy im Breidenbacher Hof an der Düsseldorfer Kö zum Hotelgast auf Lebenszeit. Wahrscheinlich spukt er später im Atlantic, aus dem ihn bisher nur Corona vertreiben konnte, durch die Gänge, als Hausgeist mit Hut. Nach dem Horizont geht’s bekanntlich weiter.

 Lindenberg zu packen, sein Wesen, sein Schaffen in ein paar Zeilen zu skizzieren, wird ihm, dem Zampano und Tausendsassa, kaum gerecht.  Für seinen Freund, den Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, ist er schlicht der größte deutsche Nachkriegslyriker. Einer, der seine literarischen Einflüsse bei Hermann Hesse, Goethe und Wondratschek verortet. Seine Textzeilen („Alles klar auf der Andrea Doria“, „Keine Panik auf der Titanic“) und Figuren (Johnny Controlletti, Bodo Ballermann, Rudi Ratlos) gehören längst zum allgemeinen Sprachfundus. Wobei zwischen gesprochen und geschrieben unterschieden werden muss. Tatsächlich nuschelt wohl niemand so genialen Quatsch wie Lindenberg, dessen Sprachzentrum anders verdrahtet scheint, so konsequent anders ist seine Phantasiesprache, sein Lindenbergisch, verquer und doch auf den Punkt. Erich Honecker nannte er ein „klemmiges Steifftier“; bei ihrer historischen Begegnung 1987 in Wuppertal überreichte er dem SED-Chef eine Gitarre mit den Worten: „Gitarren statt Knarren!“

 Was vom „homo panicus“ zum „homo politicus“ führt. Oder zum „Öffentlichkeitsjongleur“, wie er sich selber nennt. Lindenberg hat in seiner Lyrik stets gesellschaftlichen und politischen Zeitgeist gespiegelt, bundesrepublikanische Geschichte, von Kriegstraumata über die deutsche Teilung bis zur Aufrüstung, er hat Haltung gezeigt, Themen wie Rassismus, Homophobie und Rechtspopulismus angepackt. Nie abgehoben in der Diktion, sondern heruntergebrochen für jedermann, durch seine Wortwaschmaschine gedreht, bis jeder weiß, was gemeint ist, aber noch Luft bleibt zwischen den Zeilen, um die eigene Befindlichkeit hineinzudeuteln. Klar, dass er in den vier neuen Songs auf seinem Geburtstagsoeuvre „Udopium“ auch über Corona singt. „Wir starten wieder durch, das war genug Entbehrung“, heißt es in „Mittendrin“, und: „Selbst die dunkelste Stunde hat nur 60 Minuten.“

 Natürlich wird jetzt auch das Alter ein Thema. Äußerlich scheint Lindenberg seit Jahrzehnten unverändert, trägt zu Hut und Sonnenbrille selbstverständlich Lederjacke und schwarze Slim Jeans, ohne dass es peinlich wirkt. Weil solche Kategorien für ihn nicht zählen, weil er längst jenseits von Peinlichkeit agiert, jenseits von Konventionen, von bürgerlichen Maßstäben, weil er das ist, was man gemeinhin und in Ermangelung treffenderer Begriffe als Gesamtkunstwerk bezeichnet. Dennoch scheint ihn die Zahl 75 umzutreiben. „Keine Zeit zum Älterwerden, wir bleiben einfach nie stehen“, hält er in „Mittendrin“ dagegen. Alles paletti, alles easy. Noch will er sich nicht ergeben.

 Aber auch Rocker und Rebellen müssen irgendwann gehen, das lässt die Zweifel blühen.„Ich habe letzte Nacht geträumt. Es wär vorbei und der Tod stand vor der Tür/Ich ließ ihn rein“, singt er in einem anderen neuen Song, „Wieder genauso“. Der Tod und Udo  schnacken eine Weile über das Leben, über das, was man hätte anders machen können, und natürlich lautet Lindenbergs Antwort, dass er alles genauso tun würde, und es genauso gut wäre. Was auch sonst bei dieser Bilanz? Denn es zählt ja nicht nur der messbare Erfolg, die vielen Alben, Filme, Preise, sondern die Zahl der eroberten Herzen, der Legenden-Faktor, der Sympathie-Bonus. Da liegt Lindenberg ganz weit vorne, und das weiß er natürlich. Im Song handelt er denn auch mit dem Tod einen Deal aus. „Er gibt mir noch 'n paar Jahre, bis wir uns wieder seh’n, Bis dahin hab' ich noch 'n paar mehr Storys zu erzählen.“ Na hoffentlich. Alles Gute, Udo. Und mach noch lange dein Ding.

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