Streit um Schützenkönig in Werl Tradition und Realität - Das Dilemma der Schützenvereine

Traditionspflege in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft wird schnell zum Spagat. Das bekommen auch die Schützenvereine zu spüren, die es mit muslimischen und schwulen Schützenkönigen zu tun haben.

Wenn Tradition und Moderne mit einem lauten Knall aufeinandertreffen: Auf der einen Seite die im Mittelalter entstandenen Schützenvereine- und -gilden, die mehr oder weniger penibel ihre Wurzeln pflegen. Auf der anderen Seite eine Gesellschaft, in der Grenzen verschwimmen, Integration allgemein gefordert und Ausgrenzung vom Grundgesetz verboten ist. Kurz: Wenn ein Muslim oder ein Homosexueller Schützenkönig und manche Satzung Makulatur wird.

Streit um muslimischen Schützenkönig in Werl

Im westfälischen Werl versteht ein muslimischer Schützenkönig die Welt nicht mehr. Der 33-jährige türkischstämmige Mithat Gedik ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hatte katholische Religion als Abiturfach und ist erfolgreich als Kaufmann. In Werl-Sönnern lebt er mit seiner katholischen Frau Melanie und vier getauften Kindern. Und er ist in der freiwilligen Feuerwehr und im Schützenverein aktiv.

Am 18. Juli schoss er den Vogel ab und war fortan König der Schützenbruderschaft St. Georg Sönnern-Pröbsting. Diese katholische Bruderschaft ist allerdings Mitglied im Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) - Leitwort: "Für Glaube - Sitte - Heimat". Und die verweist auf die Satzung, wonach nur Christen Mitglied sein können.

Schon vor sieben Jahren war Emin Özel ("Emin, der Ideenreiche") in Paderborn einer der ersten muslimischen Schützenkönige in Deutschland. Der Paderborner Bürger-Schützenverein von 1831 war kurz zuvor nach jahrelangen Querelen aus dem BHDS ausgetreten, sagt Özel.
"Das heißt, ich war ein ganz regulärer Schützenkönig." Die Reaktionen seien durchweg positiv gewesen. "In dem Jahr als Schützenkönig habe ich 280 Termine wahrgenommen, auch im Hohen Dom." Er sei akzeptiert worden. "Statt Bier gab es für mich eben Cola, Fisch statt Schlachtplatte."

Schützenvereine sind nicht homophob

2011 war dann Dirk Winter Schützenkönig in Münster-Kinderhaus und auch dieser Verein war im BHDS. Winter hatte seinen Partner Oliver zur Schützenkönigin ernannt. Damals ging es dann eher um protokollarische Fragen, etwa ob das Paar gemeinsam beim Umzug mitmarschieren dürfe. Der BHDS hatte dann durchgesetzt, dass die Königin eine Reihe hinter dem König gehen müsse. Als eine Reaktion darauf gründete sich 2012 der wohl erste schwul- lesbische Schützenverein Deutschlands. Die "St. Sebastianus und Afra Schützenbruderschaft Köln 2012" betonte damals ausdrücklich, die Schützenwelt sei bei weitem nicht so homophob, wie der Beschluss des BHDS vermuten lasse.

Nordrhein-Westfalen gilt als eine der Hochburgen des Schützenwesens. Diese Tradition zu bewahren, damit tat sich auch die rot-grüne Landesregierung schwer. Einen Antrag zur Anerkennung des Schützenwesens als immaterielles Weltkulturerbe reichte die Regierung an eine Jury weiter, die dann eine "kleine Lösung" fand.

Neben anderen Traditionen wie dem rheinischen Karneval wurde das Schützenwesen zum "Landesinventar für das immaterielle Kulturerbe" von NRW erklärt. Außer dem Hinweis auf die lange Geschichte und die soziale Bedeutung gab es den dezenten Hinweis an die Schützenbruderschaften: "Die Jury versteht ihre Empfehlung als Ermutigung für die Schützen, auf dem Weg der gleichberechtigten Einbeziehung von Frauen und von gesellschaftlichen Minderheiten in ihre Gemeinschaften weiter voranzuschreiten."

Am Dienstag schaltete sich auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) in den Streit um den Werler Schützenkönig ein. In einem Brief an den BHDS verweist die ADS-Leiterin Christine Lüders auf den Vereinszweck, den die Schützen in Werl selbst formuliert haben, nämlich: "Ausgleich sozialer und konfessioneller Spannungen im Geiste echter Brüderlichkeit". Diese Steilvorlage nutzt Lüders und fragt: "Was könnte besser dem Vereinszweck dienen als ein muslimischer Schützenkönig?"

(lnw)
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