Tierschützer schlagen Alarm Tierheimen droht der Kollaps

Köln · Zu viele Tiere, hohe Kosten und ein Rückgang der Spenden: Die Tierheime in Nordrhein-Westalen sind in großer Not. Der Tierschutzbund warnt nun vor einem Zusammensturz des karitativen Tierschutzes in Deutschland.

Tierheim Leverkusen: Urlaubs-Abgabewelle und hohe Energiekosten
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Abgabewelle und hohe Energiekosten bereiten Tierheimen in NRW Probleme

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Bärbelchen hängt zufrieden im Arm von Bernd Schinzel. Ab und zu leckt der Schäferhund-Welpe dem Leiter des Kölner Tierheims über die Hand. Die kleine Hündin ist eines der Sorgenkinder der Tierschützer in Köln-Dellbrück, Nordrhein-Westfalens größtem Tierheim. Sie stammt vermutlich aus einer illegalen Welpenzucht aus Osteuropa und sollte mit ihren acht Geschwistern in Köln verkauft werden. Als das Veterinäramt die Welpen sicherstellte, waren alle schwer krank. Fünf sind in der Tierklinik gestorben, sie alle hatten die Viruserkrankung Parvovirose. Bärbelchen und ihrem Bruder Poldi geht es besser. Zwei Geschwister sind nach wie vor in der Klinik. „Danke von uns allen für das Mitgefühl und die Spenden“, sagt Schinzel in einem Video, das das Heim auf Instagram veröffentlicht hat.

Ohne Spenden für Futter und Tierarztkosten geht es nicht in den Tierheimen. Gerade jetzt, wo sie mit einer regelrechten Abgabewelle zurechtkommen müssen. „Viele haben sich in der Homeoffice-Zeit einen Hund oder eine Katze zugelegt und wollen die Tiere jetzt wieder loswerden“, sagt Sylvia Hemmerling vom Dellbrücker Tierheim. Es gibt aber auch immer noch Menschen, denen das Tier schlicht zu lästig wird, weil sie in den Urlaub fahren wollen – so wurde kürzlich eine Katze auf Ebay angeboten, „abzuholen bis 14 Uhr wegen Reise“. In den vergangenen beiden Jahren wurde weniger gereist. „Jetzt merken die Leute beim Kofferpacken: ‚Was machen wir mit der Minka?‘“, wie Timo Franzen, Leiter des Tierheims Düsseldorf, es beschreibt.

Der Deutsche Tierschutzbund schlägt Alarm. Viele Tierheime seien komplett überfüllt, einige hätten bereits Aufnahmestopps verhängt. „Die Tierarztkosten werden explodieren, die Energiekosten durch die Decke gehen“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Hinzu kommen die Kostensteigerungen durch den Mindestlohn und die Inflation. „Die vielen Tiere bringen das Personal an seine Grenzen“, sagt er. „Da aufgrund der Inflation und der angespannten wirtschaftlichen Situation infolge des Ukraine-Krieges auch die Spendenbereitschaft spürbar sinkt, droht dem praktischen Tierschutz in Deutschland der härteste jemals erlebte Herbst und Winter.“ Deshalb hat Schröder in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gefordert, dass die Tierheime an den Einnahmen aus der Hundesteuer beteiligt werden müssten. Pro Jahr würden die Kommunen mehrere hundert Millionen Euro über die Hundesteuer einnehmen.

Betreuungsintensive Welpen, die wie die Schäferhunde auf der Isolierstation rund um die Uhr betreut werden müssen, nehmen besonders viel Zeit in Anspruch. Und der illegale Welpenhandel boomt. „Wir haben nicht genug Mitarbeiter und das Haus platzt aus allen Nähten“, sagt Hemmerling. „Wir haben in jedem Büro einen Hund sitzen und Hasenställe auf den Fluren stehen.“ Vor einigen Tagen wurde ein Mops im Tierheim Bergheim abgegeben, angeblich ein Fundtier, schwer krank, wie sich schnell herausstellte. Er musste notoperiert werden. „Das waren schnell 3000 Euro Kosten“, sagt Hemmerling. Ab Oktober werden die Tierarztbesuche noch teurer, der Bundesrat hat am 8. Juli einer Änderung der Gebührenordnung zugestimmt. Und die Preise für Tierfutter sind auch gestiegen. „Ich weiß gar nicht, wie das werden soll“, sagt Hemmerling.

Die Tierheime müssten nun ausbaden, was Kommunen, Bund und Länder versäumt hätten, so der Tierschutzbund: „Die Tierheime finanziell kostendeckend auszustatten, den Handel und die Haltung von Heimtieren zu regulieren, den Onlinehandel mit Tieren zu verbieten und einen verpflichtenden Sachkundenachweis für Tierhalter einzuführen.“

Im Leverkusener Tierheim sind die monatlichen Energiekosten von 2000 auf 5000 Euro gestiegen. „Fürs vergangene Halbjahr mussten wir eine fünftstellige Summe nachzahlen“, sagt Leiter Gerd Kortschlag. Der Tierschutzbund sieht vor allem die Kommunen in der Pflicht. „Sie kommen nicht kostendeckend für diese kommunale Pflichtaufgabe auf, die sie an die örtlichen Tierheime ausgelagert haben“, sagt Schröder. „Die Zahlungen stehen oft in keiner Relation zu den tatsächlichen Kosten für die Fundtierbetreuung.“

Die Stadt Mönchengladbach hat 2018 das städtische Entgelt an den örtlichen Tierschutzverein von rund 100.000 auf 150.000 Euro pro Jahr angehoben. Damit kann das Tierheim aber inzwischen nicht mehr kostendeckend betrieben werden. „Die Stadtverwaltung wird sich in den nächsten Wochen mit dem Verein zusammensetzen, um die nächste Entgeltanpassung auf Grundlage des begründeten Mehrbedarfs festzulegen“, teilt ein Stadtsprecher auf Anfrage mit. Er betont: „Mit der Unterbringung und Betreuung von Fundtieren und beschlagnahmten Tieren erfüllt der Tierschutzverein eine kommunale Pflichtaufgabe, die ansonsten von der Stadt selbst organisiert werden müsste.“ Allein deshalb seien Stadt und Verein im regelmäßigen Austausch über die Finanzlage und die Kostenentwicklung. Die Stadt Düsseldorf unterstützt das Tierheim in Rath mit einem Betrag von 700.000 Euro pro Jahr, wie ein Sprecher mitteilte. Aus Köln heißt es von der Stadtverwaltung: „Die beiden Kölner Tierheime sind bislang noch nicht wegen der konkreten Gefahr der Überfüllung an uns herangetreten.“ Dass man dies befürchte, sei natürlich ein Thema. „Die finanzielle Situation der Kölner Tierheime hat sich aber seit 2016 deutlich verbessert: Die Stadt Köln erstattet den Tierheimen rückwirkend ab Januar 2016 jährlich rund 800.000 Euro für die Wahrnehmung der städtischen Aufgaben.“

Die Tierschutzbeauftragte des Landes NRW, Gerlinde von Dehn, sagt, die Landesregierung wertschätze und fördere die wichtige Arbeit der Tierheime, die eine sehr wichtige Aufgabe für den Tierschutz erfüllten. Seit 2013 gibt es ein Förderprogramm des Landes für bauliche Maßnahmen an Tierheimen, außerdem Zuwendungen an Tierschutzvereine für die Kastration von Katzen. Das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz teilt außerdem mit, ab 2023 zusätzliche Fördermöglichkeiten zu planen. „Eine entsprechende Richtlinie wird aktuell erarbeitet“, heißt es.

In den Tierheimen ist die Not aber jetzt schon groß. Der Tierschutzbund fordert deshalb eine zeitnahe konzertierte Aktion. Schröder sagt: „Bund, Länder und Kommunen müssen schnellstens mit dem Tierschutz an einen Tisch und mit einem gemeinsamen Rettungsplan verhindern, dass der praktische Tierschutz in Deutschland zusammenbricht.“

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