Beleidigungen und Aggressionen Angriffe und Drohungen gegen Tierheim-Mitarbeiter nehmen zu

Düsseldorf · Tierheime in Nordrhein-Westfalen haben vermehrt mit Anfeindungen zu kämpfen. Mitarbeiter werden nicht nur beleidigt und bedroht, es kommt auch zu Angriffen. Auch vermeintlich gutbürgerliche Leute werden schnell unverschämt.

 Hunde in einem Gruppengehege im Tierheim. (Symbolbild)

Hunde in einem Gruppengehege im Tierheim. (Symbolbild)

Foto: dpa/Marcus Brandt

Bei Sonnenschein war vor einigen Wochen ein großer Herdenschutzhund in einem Auto in Köln eingesperrt. Passanten bemerkten ihn und holten die Polizei zu Hilfe, die das 60 Kilogramm schwere Tier aus dem Auto befreite. Da der Halter nicht erreichbar war, klemmten die Beamten einen Hinweiszettel hinter die Scheibenwischer und brachten den erschöpften Hund ins Tierheim Dellbrück. Erst am späten Abend kam der Besitzer zu seinem Auto zurück. Wenn die Passanten seinen Hund nicht bemerkt hätten, wäre er vermutlich nun tot gewesen.

„Das sah der Hundebesitzer aber anders“, sagt Bernd Schinzel, der das Tierheim leitet. „Er wurde unseren Mitarbeitern gegenüber aggressiv, drückte sie zur Seite und holte seinen Hund aus dem Zwinger.“ Zuvor habe er bereits die Polizisten am Telefon beschimpft. Der vom Besitzer befreite Hund sei sofort auf einen kleinen Hund losgegangen, es habe eine riesige Unruhe im Tierheim gegeben. Nur mit größtem Aufwand sei es gelungen, den zwei Meter großen und aufgebrachten Mann des Hauses zu verweisen. „Der Hund ist jetzt bei uns, eine Anzeige gegen den Besitzer läuft“, sagt Schinzel.

Die Situation ist kein Einzelfall. Bedrohungen, aber auch Gewalt, nehmen in den Tierheimen zu. Zuletzt schlugen die Heime aus dem Rhein-Kreis Neuss Alarm, in Oekhoven kommt es nach Angaben eines Tierheimleiters in neun von zehn Fällen zu Problemen. „Viele Tierheime in Deutschland haben vermehrt mit Anfeindungen zu kämpfen“, teilte der Deutsche Tierschutzbund schon im Frühjahr mit. „Die Leute denken: Ich rette jetzt ein Tier und wundern sich dann, wenn man ihnen keinen Welpen mitgibt, weil sie zehn Stunden am Tag arbeiten müssen“, sagt Ralf Unna. Der Tierarzt ist Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW und hat bis 2005 das Tierheim Köln-Zollstock geleitet. Dass in einem Tierheim viele persönliche Dinge abgefragt werden und etwa eine Einwilligungserklärung des Vermieters zur Tierhaltung verlangt werde, stoße bei sehr vielen Menschen auf Unverständnis, sagt Unna. „Sie verstehen das als unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre oder als Zweifel an ihrer Vertrauenswürdigkeit.“

Im Leverkusener Tierheim wird ein Hund erst nach drei bis vier Treffen vermittelt und wenn ein Probewochenende im möglichen neuen Zuhause gut verlaufen ist. „Wir vermitteln schließlich Lebewesen“, sagt Tierheimleiter Gerd Kortschlag. „Es geht ja auch darum, dass die Chemie zwischen Mensch und Tier stimmt.“ Wenn er bei großem Interesse an einem Welpen drei von vier Interessenten absagen muss, erntet das Tierheim Kritik in den sozialen Netzwerken. „Da lassen die Leute dann ihren Frust raus“, sagt Kortschlag. Warum es in vermeintlich normalen Situationen in Tierheimen aber auch vermehrt zu Wutausbrüchen oder gar Gewaltandrohungen kommt, ist unklar. „Was aber auffällt ist, dass auch gutbürgerliche Leute schneller laut oder unverschämt werden – in Tierheimen, aber wir erleben das auch in der Tierarztpraxis“, sagt Unna.

Laut des Deutschen Tierschutzbundes kam es in der Pandemie zu einem Haustierboom – aber nicht jeder, der einen Hund aus einem Tierheim haben möchte, bekommt auch einen. Allein bei der Haustier-Registrierung Tasso wurden aber im vergangenen Jahr mehr als zehn Prozent mehr Hunde und Katzen angemeldet als im Jahr zuvor: Waren es 2019 insgesamt deutschlandweit 735.500 Tiere, hat sich die Zahl der Neuregistrierungen 2020 auf 824.600 erhöht. Die tatsächliche Zahl der Haustiere, die angeschafft wurden, liegt noch viel höher. Tiere, die aus illegalen Zuchten oder Privatverkäufen stammen, sind nicht mit Zahlen belegbar.

Norma Puchstein, Vorsitzende des Tierschutzzentrums Duisburg, hat den Eindruck, dass die Tierheimmitarbeiter als „Prellbock“ herhalten müssen, wie sie sagt. Konflikte gebe es vor allem, wenn Tiere von der Polizei oder der Stadt beschlagnahmt worden seien. „Der Zorn der Leute müsste sich ja eigentlich gegen die Behörden richten, die verfügt haben, dass das Tier sichergestellt wird – etwa bei einer Razzia oder wenn ein Tier schlecht gehalten wurde.“ Sie hat schon nächtliche Aktionen von Hundebesitzern erlebt, die ins Tierheim eingebrochen sind auf der Suche nach ihrem Hund. „Die Tierheime sind letztlich ja nur die Verwahrstellen, aber wir bieten natürlich größte Angriffsflächen für sämtliche Emotionen“, sagt Puchstein.

Es kommt in den Heimen auch dann häufig zu Problemen, wenn Leute ihre Katze oder ihren Hund wieder abholen wollen, nachdem das Tier als Fundtier abgegeben wurde. „Wir brauchen natürlich einen Beweis dafür, dass das Tier dem Menschen gehört, einen Impfausweis, Fotos oder einen Kaufnachweis – das sollte letztlich ja auch im Sinne des Besitzers sein“, sagt Tierheimleiter Schinzel. „Aber bei vielen ist die Zündschnur sehr kurz.“ Vor drei Jahren kam ein 15-Jähriger ins Tierheim Dellbrück und forderte seinen Hund zurück. „Der war hochaggressiv“, sagt Schinzel. Die Mutter des Jungen hatte den jungen Husky abgegeben, weil der Junge ihn schlecht behandelt und sich nicht um ihn gekümmert hatte. „Er warf erst eine Blumenvase und bedrohte uns dann mit einem Klappmesser“, erzählt Schinzel. Vor dem Gebäude demolierte der Jugendliche noch mehrere Autos und bedrohte einen Gassigänger.

Schinzel sitzt oft mit seinen Leuten zum Gespräch zusammen, weil sie frustriert sind über die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird. „Sie machen den Job ja alle aus Überzeugung und Liebe zu den Tieren“, sagt er. Nur deshalb würden die meisten trotz allem bleiben.

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