Suche nach Stille The Sound of Silence

Düsseldorf/Meschede · Unser Autor hatte Fragen zur Stille hinter Klostermauern. Die besten Antworten fand er aber weder in den strengsten Schweigeklöstern der Welt noch bei einem gestressten deutschen Eremiten in der Schweiz – sondern im Sauerland.

 Abt Aloysius im „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster.

Abt Aloysius im „Haus der Stille“ der Abtei Königsmünster.

Foto: Tobias Jochheim

Im „Haus der Stille“ ist es laut. Halb Fräse, halb Staubsauger. Doch gegen halb fünf beschließt der Schreiner, den Stecker seiner Parkettschleifmaschine zu ziehen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. "Wenn Ihr trockene Schuhe habt, könnt Ihr ruhig durchgehen", sagt er mit einer einladenden Handbewegung in Richtung seines Auftraggebers, Abt Aloysius (52), Hausherr in der Bendiktinerabtei Königsmünster in Meschede. Der Schreiner zeigt keine übertriebene Ehrfurcht, flüstert auch nicht, redet aber deutlich leiser als üblich. Und man versteht ihn problemlos. Abt Aloysius lächelt. Genau so soll es sein. „Stille ist unheimlich wichtig“, sagt er, „aber ein Gespräch kann ebenso wichtig sein.“ Oder auch eine Parkettschleifmaschine, um der Stille den Boden zu bereiten.

Um klösterliches Schweigen soll es in diesem Text gehen. Aber nicht in der ursprünglich angedachten Form einer Reportage über einen Selbstversuch im Schweigekloster. Denn deren Inhalt wäre wenig überraschend gewesen. In Kurzform: „Ganz schön ungewohnt, dieses ständige Schweigen. Man glaubt gar nicht, wie ruhig es sein kann. Und wie schwierig das dann ist. Ein bisschen stolz bin ich schon, dass ich durchgehalten hab. Aber schön ist es irgendwie auch, doch, doch. Man muss sich nur drauf einlassen. Mal gucken, ob ich ein bisschen davon in den Alltag rüber retten kann. Schön wär's ja, ne? Tschüss!“

Stille und Schweigen sind so interessant, weil sie so selten geworden sind zwischen dem ständigen Geplapper sowie der lärmenden Werbung und Musik aus all den allgegenwärtigen Lautsprechern. Schweigen heißt sich dem verweigern, ja widersetzen – vielleicht auch, um Kraft zu sammeln für schwierige Aufgaben. „Alles gackert“, klagte schon Nietzsche im späten 19. Jahrhundert, „aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?“ Damals wie heute lautet die Antwort: Viele Mönche und Nonnen, die sich wortwörtlich in Ruhe auf die Suche begeben nach Gott. Nach dem Vorbild von Jesus selbst und den frühchristlichen „Wüstenvätern“.

Doch Schweigemönche und -nonnen haben zwei Eigenarten, die sie zu suboptimalen Interviewpartnern machen: Erstens sind sie sehr selten und zweitens arg wortkarg.

Als strengste Schweigeorden gelten die Kartäuser und die Trappisten. Beide sind schwer greifbar, obwohl beide lange ein Kloster in NRW betrieben. Die mythenumrankten Kartäuser etwa - laut Eigenwerbung seit ihrer Gründung 1084 "nie reformiert" - bewirtschafteten ein Jahrhundert lang ein Kloster in Düsseldorf-Unterrath. Doch eines Tages musste das vormalige Rittergut dem lautesten und weltlichsten aller denkbaren Bauvorhaben weichen – dem Flughafen. Vor dessen Erweiterung flohen die Mönche 1964 nach Bad Wurzach im Allgäu, wo man das Gras noch wachsen hören kann.

Um rund ein halbes Jahrhundert verpasst also – kirchengeschichtlich nur ein Klacks. Bei den Trappisten war es sogar noch knapper: Die hätte man noch vor einem halben Jahr im Kloster Mariawald in der Eifel besuchen können; doch nach einem massiven internen Streit um den Messritus schloss es nach rund 500 Jahren am 15. September.

Um ein Interview zum Thema "Stille" hätte man theoretisch trotzdem bitten können, praktisch allerdings wären die Erfolgsaussichten gegen null tendiert. Denn das wie ein Überbietungswettbewerb anmutende Streben der Kartäuser und Trappisten um das Maximum an Einkehr bedingt auch eine Abkehr von der Welt. Zurückgezogenheit ist ja nicht bloß ein Nebeneffekt, sondern das ausdrückliche Ziel ihrer Lebensweise.

Das Klischee von den anders tickenden Uhren traf selten besser zu: Die Drehgenehmigung zum einzigen Film über die Kartäuser gewährten diese dem Düsseldorfer Regisseur Philip Gröning 1999. Die Anfrage im Mutterhaus im französischen Chartreuse-Gebirge hatte er 1984 gestellt.

Die Auflagen waren streng: Keine Interviews, kein Sprechertext, keine Musik, kein künstliches Licht. 200 Stunden Material brachte er mit, nach zweieinhalb Jahren Schnitt stand ein zweieinhalbstündiger Film. Trotzdem oder gerade deshalb gewann „Die große Stille“ diverse Preise. Mehr als 20 Jahre nach Projektbeginn.

So weit die praktischen Herausforderungen für eine Presseanfrage. Vor allem aber stellte sich die Frage, welche Erkenntnisse aus einer so speziellen und extremen „Jagd“ auf die Stille überhaupt zu ziehen wären. Was wäre in den Alltag übertragbar von diesem menschenunmöglich scheinenden Verzicht auf praktisch jedes Wort jenseits von Gebetsformeln und gregorianischen Chorälen? Wohl herzlich wenig, um nicht zu sagen: nichts.

Sinnvoller erschien es dem Autor, Kirchenvertreter aufzusuchen, die Stille zwar suchen, finden und genießen – aber zugleich im Gespräch bleiben mit Laien, nicht zuletzt über ebendiese Stille, nach der sich der moderne Mensch häufig so sehnt.

Die erste Anfrage ging deshalb in die Schweizer Einsiedelei Sankt Verena. In einer urigen Hütte nebst zwei Kapellen lebt seit zwei Jahren Michael Daum, spirituell interessierter Ex-Polizist mit weißgrauem Rauschebart, geschieden, Vater von vier erwachsenen Kindern, früher unter anderem Traumatherapeut und Sterbebegleiter. Er füllt eine kuriose Doppelrolle aus, ist einerseits Eremit und andererseits Gesprächspartner für die Pilger, die es in Scharen zu "seiner" Kapelle zieht.

Doch die Gemeinde Solothurn, als Betreiber der Einsiedelei Daums Arbeitgeber, blockt alle Medienanfragen ab. Das hat gute Gründe: Daums Vorvorgängerin war der Rummel um ihre Person nach fünf Jahren zu viel geworden; ihre unter weltweitem Medienecho gesuchte Nachfolgerin hielt gar nur anderthalb Jahre durch. Mit wem also sprechen, wenn selbst Eremiten zu gestresst sind für ein Interview?

Abt Aloysius, Hausherr der Abtei Königsmünster im Sauerland, empfängt gern. Über sein Kloster drängen sich keine Schlagzeilen auf, von der überraschend modernen Architektur vielleicht abgesehen. Punkrocker Campino („Die Toten Hosen“) hat hier einmal vor 500 Jugendlichen aus der Feldpost seines Vaters von der Ostfront gelesen, aber das ist zehn Jahre her. Die „unglaubliche Offenheit“ jedoch, von der Campino so beeindruckt war und ist, pflegen die Benediktiner von Königsmünster noch heute.

Als Abt des kontemplativen Benediktinerordens spielt Stille für Aloysius eine zentrale Rolle. Als Manager des mittelständischen Unternehmens Abtei samt Gaststätte, angeschlossenem Gymnasium und gleich zwei Gästehäusern weiß er um die Nachfrage danach.

Die Wichtigkeit von Gesprächen wiederum kennt er nicht zuletzt aus seinem früheren Berufsleben als Krankenpfleger. Ein Vierteljahrhundert lang kümmerte er sich um die alten und pflegebedürftigen Brüder der Abtei. Mit einem dementen Pater, der allein nicht mehr zurechtkam, schlief er in einem Zimmer.

Zum Mönchsleben berufen fühlte er sich bereits als Vierzehnjähriger. Seine Eltern, die einen Friseursalon im 800-Seelen-Dorf Wemlinghausen betreiben, sind gespalten: Sein Vater unterstützt ihn, seine Mutter ist eher skeptisch. Sein Bruder hat mit der Kirche bis heute nichts am Hut. Er selbst beginnt, verschiedene Klostergemeinschaften zu besuchen.

„Auch die Trappisten oder Kartäuser haben mich interessiert“, sagt er heute – aber zu Besuchen dort kam es nicht mehr. 1985 begann er seine Ausbildung zum Krankenpfleger im Krankenhaus Meschede, nach deren Ende 1988 trat er in die Abtei Königsmünster direkt gegenüber ein. Nicht zuletzt, weil ihm gefällt, welchen Stellenwert man dort der Suche nach Stille beimisst. „Zeiten der Stille, der Ruhe, der Meditation haben hier einen zentralen Platz“, sagt er. In allen offiziellen Räumen der Abtei soll geschwiegen werden, auch gegessen wird schweigend, anstelle von Gesprächen gibt es Tischlesungen, an hohen Festtagen auch Tischmusik.

Jeden Tag beginnt er mit einer ausführlichen Meditation um 4.30 Uhr, zwei Stunden vor dem ersten Gottesdienst. „Und auch danach verweile ich noch in der Stille, bevor das Tagewerk beginnt.“ Die sogenannte Benediktsregel legt vieles davon nahe – dem Ideal der Schweigsamkeit ist ein ganzes Kapitel des Regelwerks gewidmet. Abt Aloysius betont aber, dass Dialog, Gelächter und auch das Feiern dennoch nicht zu kurz kämen. Überhaupt seien Mönche und Nonnen „offener, fröhlicher und an der Außenwelt interessierter, als viele vermuten“. Er selbst sehe kaum fern, viele seiner Mitbrüder aber verfolgten begeistert den „Tatort“ oder die Fußball-Bundesliga.

Die Stille hinter den Klostermauern sei kein Selbstzweck. „Schweigen ist eine Haltung, in der ich mich selbst und auch mein Gegenüber bewusster und intensiver wahrnehme.“ Selbst gewählte Stille sei somit nicht das Gegenteil von Kommunikation, sondern geradezu deren Fundament.

„Wen die Stille innerlich ausfüllt, der wird ein Hörender, Sehender, Empfindsamer“, sagt Aloysius. „Woran es den Menschen um ihn herum mangelt, bekommt er auch ohne große Worte mit.“ Dieses Zusammenspiel von Schweigen und Reden, die Dynamik von Stille und Dialog ist sein Lebensthema. Er wehrt sich gegen jeden Versuch, sie gegeneinander auszuspielen.

Das Interview führen wir in aller Ruhe – und doch wird schon dabei wie auch bei der folgenden Führung durchs Kloster deutlich, dass er sich das Beste für den Schluss aufhebt: Das „Haus der Stille“ eben, ein zweistöckiger, spektakulärer Bau, der Blicke nach draußen eröffnet, auf den Obstgarten und die sauerländische Metropole Meschede im Tal. Graue Wolken, graue Straßen, Regen, trotzdem schön. Im Haus viel Glas, etwas Holz und sehr viel Sichtbeton.

"Wir übertünchen nichts", sagt der Abt und streicht mit seinen Fingern über eine Innenwand. "Keine Unebenheiten, keine Löcher. Fugen sowieso nicht, was doppelt schön ist, weil so überall kleine Kreuze entstehen." 15.000 Gäste pro Jahr kehren im Kloster Königsmünster ein auf der Flucht vor dem Lärm des Alltags, entweder in der „Oase“ oder dem neueren, in Architekturkreisen hochgelobten „Haus der Stille“.

Das besteht aus zwei mit gläsernen Gängen verbundenen Rechtecken. Der kleinere Teil dient zur Ankunft, zur Vorbereitung auf den größeren, in dem die Stille gewahrt bleiben soll. „Hier poltern die Rollkoffer“, sagt Abt Aloysius fröhlich. Er versteht den Lärm als Lebenszeichen. Und auch im Hauptteil des Hauses wird keine Grabesstille herrschen, wenn der Schreiner verschwunden ist. Neben der Kapelle und den kargen „Zellen“ - Bett, Schrank, Tisch, Stuhl, Nasszelle - gibt es auch einen großen Seminarraum sowie Zimmer für Gespräche unter vier Augen. Aber eben keinen Gemeinschaftsraum.

Deshalb tragen die Gäste, wenn ihnen danach ist, miteinander zu sprechen, ihre Stühle hinaus auf den Flur und erzählen.

Ohne, dass jemand böse wird?

Abt Aloysius versteht die Frage kaum. „Wir wollen jeden Gast empfangen wie Christus.“ Und vor Gott müsse man erst recht keine Bedingungen erfüllen, kein Mindestmaß an Schweigsamkeit oder sonstwas. „Ich darf sein, wie ich bin.“

Auch das innerklösterliche Schweigen ist wohl viel weniger dogmatisch als gedacht. In einen nur scheinbar widersprüchlichen Satz fasst das Schwester Maria Magdalena (57), eine Steyler Anbetungsschwester. Die Angehörigen des vom Gocher Missionar Arnold Janssen gegründeten Ordens leben äußerlich abgekehrt von der Welt. Umso inbrünstiger beten sie für die Menschen, die ihnen ihre Sorgen anvertrauen, persönlich, telefonisch oder per E-Mail. Buchstäblich im Schichtdienst beten sie, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. In tiefer Stille, die aber eben nicht absolut ist. „Ein freundliches Wort“, sagt die Nonne, stört das Schweigen nicht.“

(tojo)
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