Sommertour: Geheimnisvolle Orte (4) Teufel im Chorgestühl

Sommertour: Geheimnisvolle Orte (4) · Während der Ferienwochen berichten unsere Reporter täglich von uralten Legenden und geheimnisvollen Orten in Nordrhein-Westfalen. Heute: Das Chorgestühl in der Kempener Propsteikirche.

 Propst Thomas Eicker zeigt im Chorgestühl einen Grimassen schneidenden Mann. Die Schnitzfigur ist an der Stützleiste unter einem der Klappsitze angebracht.

Propst Thomas Eicker zeigt im Chorgestühl einen Grimassen schneidenden Mann. Die Schnitzfigur ist an der Stützleiste unter einem der Klappsitze angebracht.

Foto: RP, Wolfgang Kaiser

Im Mittelalter, als die meisten Gläubigen und selbst manche Geistliche nicht lesen konnten, erzählten in den Kirchen geschnitzte Figuren Fabeln und Lebensweisheiten. Ein Esel betet auf Knien den Rosenkranz, ein Bauer wirft Rosen vor die Säue, zwei Hunde streiten um einen Knochen.

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Foto: KLXM.de

Solche Szenen wiesen augenzwinkernd auf Allzumenschliches hin, nahmen Schwächen auch der Geistlichkeit aufs Korn und griffen die Angst vor Hunger, Seuchen, Krieg auf. Die 800 Jahre alte Propsteikirche St. Mariae Geburt in Kempen birgt einen besonders reichen Schatz solcher Schnitzereien. Sie sind am Chorgestühl im Altarraum zu sehen und dürfen gern aus der Nähe betrachtet werden, wie Propst Dr. Thomas Eicker versichert.

Johannes Gruter aus Wesel fertigte das Chorgestühl 1493 für 220 Gulden an. Auf den 22 Klappsitzen nahmen die Chorherren Platz, das waren Pfarrer, Kapläne und Vikare. Weil die Gottesdienste oft Stunden dauerten, waren an der Unterseite der Klappsitze schmale Leisten angebracht. Auf diesen Miserikordien (lateinisch "Barmherzigkeit") konnten sich die Herren halb stehend abstützen. Wenn einer wegnickte, schlug schon mal der Holzsitz knallend zu — der Ausspruch "Halt die Klappe" könnte laut Eicker vielleicht daher rühren.

Zahlreiche spätgotische Holzfiguren schmücken diese Miserikordien, die Armstützen und die Stirn- und Wangenseiten des Chorgestühls. Die Tier- und Fabelwesen und Alltagsmenschen wie Fischer, Spinnerin oder Mönch machen die mittelalterliche Weltsicht lebendig.

Ein wütender Bauer zerschlägt Eier, was auf den Phrasendrescher anspielen könnte: Prediger reden oft viel, aber sagen wenig. Ein Fuchs als Sinnbild des Teufels predigt in Mönchskutte den Gänsen. Die Szene warnt vor satanischen Versuchungen, rät aber auch zur Vorsicht bei geistlichen Herrn und ihren Worten. Als boshaftes Tier galt der Affe: Zwei solcher "denkenden" Tiere parodieren das Gelehrtentum. Ein Adler schaut in den Spiegel und nimmt die Eitelkeit aufs Korn.

Das Chorgestühl in der Kempener Propsteikirche gilt als eines der bedeutendsten in Deutschland, so Eicker. Es erzählt bis heute viele Geschichten von Gut und Böse.

(RP)
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