Aachen Telenotarzt behandelt per Video

Aachen · Notärzte können in Aachen per Videosystem mit den Rettungswagen verbunden werden und aus der Ferne Diagnosen erstellen. Damit soll die Zeit überbrückt werden, bis ein Arzt vor Ort ist – oft lebenswichtige Minuten.

Notärzte können in Aachen per Videosystem mit den Rettungswagen verbunden werden und aus der Ferne Diagnosen erstellen. Damit soll die Zeit überbrückt werden, bis ein Arzt vor Ort ist — oft lebenswichtige Minuten.

Es klingt im ersten Moment futuristisch: Ein über Video zugeschalteter Arzt weist Rettungssanitäter aus der Leitstelle an, einen Patienten zu versorgen. Alle Daten des Kranken werden verschlüsselt übermittelt. Oft geht es um Sekunden, bei Herzinfarkten und Schlaganfällen zum Beispiel. Diese Patienten müssen schnell versorgt werden, um das Risiko bleibender Schäden zu minimieren. In acht bis zwölf Minuten soll laut Hilfsfrist in NRW ein Rettungswagen vor Ort sein, der Notarzt braucht gerade auf dem Land oft länger. Diese Lücke soll offiziell ab 1. April in Aachen das Telemedizinische Rettungsassistenzsystem (TemRas) schließen. "Der Telenotarzt soll den Notarzt aber nicht ersetzen", sagt Jörg Brokmann von der Uniklinik Aachen. "Das primäre Ziel ist es, schnell zu helfen."

Seit Jahren hat ein Team unter der Koordination des Lehrstuhls für Informationsmanagement im Maschinenbau (IMA) der RWTH (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule) Aachen an dem vom Land geförderten TemRas-Projekt gearbeitet. An der Testphase beteiligt waren Rettungswachen Köln, Düren, Heinsberg, Euskirchen und eben in Aachen. Dort sind die Wagen mit dem Schriftzug "Telenotarzt" daher bekannt. Insgesamt sechs Rettungswagen wurden technisch umgerüstet, davon drei in Aachen. Bis zu elf sollen es im Laufe des Jahres werden. Den 24-Stunden-Dienst an allen sieben Wochentagen werden fünf Notärzte erfüllen, die besondere Schulungen durchlaufen haben.

Notarzt wird live zugeschaltet

Und so funktioniert TemRas: Die telemedizinisch ausgestatteten Rettungswagen sind an die Telenotarzt-Zentrale angeschlossen. Der Notarzt kann live zugeschaltet werden und die Sanitäter mittels Bild- und Videomaterial anleiten. Der Monitor des Telenotarztes zeigt Vitalparameter des Patienten an: Herzschlag, Puls, Atmung. Auf dieser Basis entscheidet der Telenotarzt. Oft seien vor Ort nicht die manuellen Fertigkeiten des Notarztes, sondern dessen Fachwissen beziehungsweise seine Entscheidungsbefugnis gefordert, erklärt Christian Büscher von der RWTH Aachen.

Um die Sanitäter nicht in Situationen zu bringen, die juristisch problematisch für sie werden könnten, dürfen sie auch Eingriffe ablehnen. Büscher: "Der Telenotarzt darf Kompetenzen übertragen — etwa eine Venenkanüle zu legen oder ein Medikament zu spritzen —, andere nicht. Rechtlich sind die Assistenten entlastet." Wenn der Notarzt vor Ort eintrifft, übernimmt dieser den Patienten. Mit Patienten habe es noch keine Probleme gegeben, sagt Stefan Beckers, Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Aachen. Auch wenn etwas aufgezeichnet werde, dann nur als Videostream, also kurzfristig. Um das Telenotarzt-System weiterhin zu optimieren, gibt es einen neuen Beruf: "Wir schulen die Rettungsassistenten zu Notfallsanitätern, die dann mit dem Arzt in Kontakt stehen", berichtet Lothar Barth, Leiter des Dezernats für Personal, Organisation und Zivilschutz bei der Stadt Aachen.

"Das geht bis zur Beatmung"

Bei der Problematik einer schnellen medizinischen Erstversorgung gibt es auch andere Lösungswege. Im Kreis Lippe werden zum Beispiel die Angehörigen über das Telefon angeleitet, erste Hilfe zu leisten, bis der Rettungswagen da ist. "Das geht bis zu Wiederbelebungsmaßnahmen, also Beatmung und Herzmassagen", erklärt Achim Reinecke von der Rettungsdienstleitstelle in Detmold. Die speziell geschulten Mitarbeiter stellen dabei die Ferndiagnose und geben die Anweisungen. Im vergangenen Jahr wurde 41 Patienten so geholfen. Die Erfahrungen sind durchweg positiv. "Wir haben definitiv mehr Leben gerettet."

In Mönchengladbach dagegen ist es für eine Bilanz noch zu früh. Dort sind seit Jahresbeginn in fast allen Rettungswagen neue EKG-Geräte im Einsatz. Diese Apparate senden die Ergebnisse sofort an einen Kardiologen in der Klinik. Sollte es medizinisch erforderlich sein, kann der Spezialist sofort ein Team zusammenstellen und eine Behandlung vorbereiten, noch bevor der Kranke die Klinik erreicht hat. "Durch diese erweiterte Diagnostik vor Ort spart der Patient lebenswichtige Zeit", sagt Stefan Nießen, Leiter des Rettungsdienstes Mönchengladbach. Um 30 bis 45 Minuten ließe sich die Behandlung beschleunigen, schätzt Nießen. Die Notärzte seien sehr angetan von den neuen Geräten. Das Aachener TemRas-Modell sei in Mönchengladbach noch nicht diskutiert worden.

Christian Büscher von der RWTH Aachen kann sich aber vorstellen, dass das System irgendwann in ganz NRW und auch deutschlandweit eingesetzt werden kann. Interessierten Städte und Krankenkassen seien jetzt gefragt. Sie müssten die Technik finanzieren. "Es gibt Bestrebungen, das System auch in anderen Kommunen einzusetzen", bestätigt Brokmann. Die Spekulation, dass durch das Telenotarzt-Projekt bei den Notärzten gespart würde, weist er zurück: "Die Zahl der Notärzte soll beibehalten werden."

(RP)
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