Tausende ohne Schulabschluss in NRW „Wir sagen ihnen, dass sie sich nicht schämen sollen“

Düsseldorf · Tausende Jugendliche verlassen die Schule in NRW ohne Abschluss. Sie könnten nicht jedem helfen, sagt eine Schulleiterin. „Das ist aber nicht das Ende“, sagen Berufsberater.

 Auszubildende in einem Schulzentrum (Symbolbild).

Auszubildende in einem Schulzentrum (Symbolbild).

Foto: dpa/Daniel Bockwoldt

Mehr als 5000 Jugendliche haben 2017 in NRW die Schule ohne jeglichen Abschluss beendet. Das war zwar nur ein kleiner Teil der mehr als 197.000 Schulabgänger in Nordrhein-Westfalen, wie aus Zahlen des Statistischen Landesamtes hervorgeht. Aber damit stehen 5077 junge Menschen vor einer ungewissen Zukunft. Denn ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind miserabel.

Wenn jemand die Schule ohne Abschluss verlässt, sei meistens Schwänzen das Problem, sagt Maria Karrenbrock, Leiterin der Fritz-Henkel-Schule in Düsseldorf-Garath. “Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Jugendliche zu Schulverweigerern werden: Schulangst, eine Traumatisierung oder das häusliche Umfeld.“ Oft hätten die Probleme schon in der Grundschulzeit begonnen. „Für uns ist es dann schwer, an die Schüler noch heranzukommen.“ Außerdem landeten auf den Hauptschulen diejenigen, die es auf dem Gymnasium oder der Realschule nicht geschafft haben. „Wir schaffen es nicht, jeden aufzufangen.”

In Düsseldorf waren es im vergangenen Jahr 161 junge Menschen, die ohne jeglichen Abschluss die Schule verlassen haben. Dass es nicht mehr waren, liege auch am “Rather Modell”, sagt Karrenbrock. Der Verein - benannt nach dem Stadtteil, in dem die Initiative im Jahr 1995 startete - unterstützt Schulverweigerer in Düsseldorf und arbeitet mit freien Trägern der Jugendhilfe zusammen. In ihm engagieren sich Mitarbeiter aus Schulamt, Jugendamt und den Schulen. Karrenbrock würde aber gerne auch in ihrer Schule noch mehr leisten können, um die Jugendlichen zu unterstützen. “Wir benötigen einen noch früheren Einsatz in der Schulsozialarbeit. Aber dafür brauchen wir mehr Ressourcen, mehr Personal. Und das müssten ja nicht einmal Lehrer sein.”

„Ohne Schulabschluss ist ein Praktikum Gold wert“

Aber was wird aus denjenigen, die ohne jeglichen Abschluss die Schule verlassen? Berufsberater wie Christopher Nitsche von der Arbeitsagentur Düsseldorf versuchen erst einmal, ihnen Mut zu machen. “Wir sagen ihnen, dass sie sich nicht schämen sollen und dass es nicht das Ende ist.“ Die Jugendlichen hätten es zwar deutlich schwerer auf dem Arbeitsmarkt als ihre ehemaligen Mitschüler. Nur selten würden Bewerber ohne Schulabschluss eine Lehrstelle finden, sagt auch Hubert Kathage, Sprecher der Arbeitsagentur Duisburg. Unmöglich sei es aber nicht - jedoch hätten sich die Jugendlichen dann meistens in einem Praktikum bewiesen.

„Wenn im Lebenslauf die schulischen Leistungen fehlen, sind es praktische Erfahrungen, mit denen die Jugendlichen zeigen können, was sie drauf haben“, sagt Nitsche. „Ohne Schulabschluss ist ein Praktikum Gold wert.“ Auch Kathage sagt, dass ein Praktikum der Türöffner in ein Unternehmen sein könne, weil sich daran oft eine Ausbildung anschließe - er spricht vom Klebeeffekt. Die Arbeitsagenturen könnten den Jugendlichen dabei helfen, ein passendes Praktikum zu finden, ergänzt Berufsberater Nitsche. „Arbeitgeber melden uns freie Plätze.“

„Manche ziehen sich erst einmal zurück“

Darüber hinaus können die Arbeitsagenturen die Betroffenen mit Förderprogrammen unterstützen, damit sie ihren Hauptschulabschluss doch noch nachholen. „Es ist wichtig, einen Schulabschluss zu machen“, sagt Kathage. Und wer erst einmal praktisch arbeite, erlebe, dass er Mathematik zum Beispiel nicht für das Zeugnis lerne, sondern für den Beruf. Die Motivation, den Abschluss dann doch noch zu machen, sei deshalb später meistens größer als während der Schulzeit.

Allerdings müssten sich die Betroffenen selbst bei der Arbeitsagentur melden. Einen Kontakt gebe es zwar meistens schon. Ab der achten Klasse sprächen die Berufsberater mit den Schülern über ihre Berufsaussichten. „Aber unser Angebot ist freiwillig.“ Niemand werde dazu gezwungen. „Manche ziehen sich erst einmal zurück, wenn sie die Schule ohne Abschluss verlassen haben“, sagt Nitsche. Die einen kämen später doch noch zu ihnen. Andere versuchten es mit Aushilfsjobs. Kurzfristig würden sie dadurch vielleicht sogar mehr Geld verdienen als mit einer Lehre. Aber langfristig biete eine Ausbildung bessere Perspektiven, auch finanziell. „Das merken die Jugendlichen spätestens, wenn sie aus dem Elternhaus ausziehen wollen.“

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