Tafeln in NRW in der Coronakrise „Ich schätze, dass der Bedarf erheblich gestiegen ist“

Düsseldorf · Rund 50 Tafeln in NRW haben wegen der Coronakrise noch geschlossen. Dabei scheint die Zahl der Bedürftigen zu wachsen. Besonders alleinerziehende Frauen, die als Aushilfen arbeiteten und nun keinen Job mehr haben, benötigen die Unterstützung.

 Die Tafel an der Ulmenstraße in Düseldorf hat seit Donnerstag wieder eröffnet. Silvia Giesenkirchen freut sich über die Lebensmittel, die sie bekommt.  Foto: Anne Orthen

Die Tafel an der Ulmenstraße in Düseldorf hat seit Donnerstag wieder eröffnet. Silvia Giesenkirchen freut sich über die Lebensmittel, die sie bekommt. Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (ort)

Silvia Giesenkirchen ist die erste, die eine vollbepackte Tüte erhält. Brot, Tee, viele haltbare Lebensmittel und vor allem Süßigkeiten stecken darin. Die 64-Jährige freut sich. „Ich nehme immer das, was ich kriege“, sagt sie. Und das ist an diesem Tag auch ein Schokoladen-Osterhase, der in einem Regal eines Discounters stehen geblieben ist.

Seit Donnerstag hat die Lebensmittelausgabe für Bedürftige in Düsseldorf-Derendorf, die von der Diakonie und der Tafel organisiert wird, wieder geöffnet. Wegen der Corona-Epidemie war die Einrichtung seit dem 13. März geschlossen; die letzte Essensaugabe hatte es am Tag davor gegeben. Es ist die erste Tafel in der Landeshauptstadt, die wieder für ihre Kunden geöffnet hat. Rund 600 Haushalte sind mehr oder weniger auf die Lebensmittel von dort angewiesen. Um den Andrang in Grenzen zu halten, hat man zur Wiedereröffnung nur 110 Kunden vorher angeschrieben und sie informiert, dass die Tafel wieder Ware ausgibt. „Sonst wäre der geforderte Sicherheitsabstand wohl kaum umsetzbar gewesen“, sagt Andrea Weigler von der Diakonie. Die anderen sollen an anderen Tagen kommen.

Schon eine halbe Stunde vor der Eröffnung der Lebensmittelausgabe in Düsseldorf stehen die ersten Bedürftigen am Donnerstagmittag draußen vor dem Eingang. Fast alle tragen Schutzmasken. Es sind vor allem ältere Menschen, die gekommen sind. Viele ziehen einen kleinen Wagen hinter sich her, in dem sie die Tüte verstauen wollen, die sie gleich bekommen werden. Anders als sonst dürfen sie diesmal nicht direkt durch das Haupttor, sondern durch einen Nebeneingang das Gebäude betreten. „Bitte Abstand halten“ steht auf Schildern, die Mitarbeiter der Tafel aufgehängt haben. Eine Mitarbeiterin der Tafel weist die Bedürftigen ein, erklärt ihnen die Sicherheitsregeln. Die Menschen hören zu und warten geduldig im geforderten Abstand zueinander, bis sie an der Reihe sind.

Der Landesvorsitzende der Tafeln in NRW, Wolfgang Weilerswist, vermutet stark, dass die Nachfrage wegen der Epidemie noch einmal größer geworden ist „Ich schätze, dass der Bedarf erheblich gestiegen ist“, sagt der Landeschef. Um wie viel, kann er nicht sagen. Die Zahlen werden erst noch erhoben. „Erst wenn alle Tafeln wieder geöffnet haben, kann man sich ein genaues Bild machen. Aber die Tendenz ist deutlich“, sagt er. Er und seine Kollegen haben beobachtet, dass es in der Krise vor allem junge, alleinerziehende Frauen sind, die es vermehrt zu den Ausgabestellen zieht. „Das sind meist Geringverdiener in der Gastronomie und Aushilfen in Bäckereien, die jetzt kein Einkommen mehr haben“, sagt er.

Rund 70 von 170 Tafeln in NRW hatten ihre Arbeit zwischenzeitlich eingestellt. Etwa 50 seien wegen der Corona-Krise aus Sicherheitsgründen aber immer noch geschlossen, schätzt Tafel-Landeschef Weilerswist. Betroffene, die derzeit zu keiner Tafel gehen können, erhalten dafür meist Lebensmittelgutscheine für Discounter, oder es gibt ähnliche Alternativen. „Die Schließungen sind zum größten Teil präventiv, weil die Ausgabe meist in sehr engen Räumen stattfindet“, erklärt der Landeschef. Die Schließungen gehen für Tafeln auch einher mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen, weil sich die Einrichtungen zum allergrößten Teil über Spenden finanzieren. „Auch wenn sie zu sind, laufen Kosten für Miete und Ausgabestellen und Lager sowie Versicherungen für die Fahrzeuge weiter“, sagt er.

Weigler von der Düsseldorfer Diakonie muss auch an die Gesundheit ihrer Mitarbeiter denken. Rund 40 ehrenamtliche Helfer hat sie vor der Krise gehabt, meist ältere Leute, die jetzt nicht mehr mit anpacken dürfen, weil sie zur Risikogruppe gehören. „Die Gefahr, dass sie sich anstecken könnten, ist einfach zu groß“, sagt sie. Daher hat Weigler kurzfristig neue und vor allem jüngere Kräfte mobilisieren müssen. Rund 20 hat sie bislang gefunden; besonders Studenten und Schüler, die gerne helfen wollen. „Wir sind sehr dankbar, dass sich so schnell junge Menschen gefunden haben, die für die Älteren einspringen, solange das nötig sein wird“, sagt sie.

Dort, wo ansonsten viel über die Nachbarschaft, das eigene Wohlbefinden und aktuelle Tagesthemen gesprochen wird, herrscht jetzt fast immer Schweigen. „Normalerweise wird bei uns viel gequatscht. Das fällt jetzt wegen Corona alles weg“, sagt Weigler von der Düsseldorfer Essensausgabe. Tafeln seien für die meisten Leute weit mehr als Essensausgaben. „Es sind Anlaufstellen und Treffpunkte. Viele haben keine Freunde oder Angehörigen mehr. Für sie ist der Besuch wichtig, um überhaupt noch soziale Kontakte zu haben“, erklärt Weigler.

Für Silvia Giesenkirchen macht Weigler am Donnerstag aber eine kleine Ausnahme, als sie ihr die Tüte mit den Lebensmitteln überreicht. „So ganz kann man das ja dann doch nicht einstellen“, sagt sie.

(csh)
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