Essay Stellt die Kuh unter Denkmalschutz

Meerbusch/Haffen · Unser Autor wurde in einem Dorf groß, wo es Kühe an jeder Ecke gab. Jetzt arbeitet er in Meerbusch, wo es bald keine einzige Kuh auf der Wiese mehr geben könnte. Ein Appell an die Denkmalschützer.

 Ein Bild, das man nach Meinung unseres Autors Sebastian Peters immer seltener am Niederrhein zu sehen bekommt: Kühe auf einer Weide.

Ein Bild, das man nach Meinung unseres Autors Sebastian Peters immer seltener am Niederrhein zu sehen bekommt: Kühe auf einer Weide.

Foto: Stephan Martens

Ich weiß, dass es alles nicht so einfach ist, wie ich es mir ausdenke. Auch ich habe von Milchquoten und Butterbergen gehört. Die simple Regel von Angebot und Nachfrage leuchtet mir ein. Ich habe auch die Fernsehbilder gesehen, wie Landwirte Milch vor Regierungsgebäuden ausschütten oder darin baden. Dass also immer mehr Bauern am Niederrhein ihre Höfe schließen oder ihre Tiere aus wirtschaftlicher Notwendigkeit in den Stall stellen, will mir einleuchten. In einer Welt aber, in der man keine Kühe auf der Wiese sehen kann, will ich nicht leben.

Kühe statt Mais!

Stellt die Kuh unter Denkmalschutz! Ich fordere das nicht aus Tierschutzgründen, sondern aus reiner Freude an der Ästhetik: Sonst sind wir bald nur noch von Maisstangen umzingelt.

Ich komme vom nördlichen rechten Niederrhein, einem Dorf südlich von Rees namens Haffen. Es gab dort in meiner Kindheit keinen Supermarkt, keinen Kiosk. An manchen Tagen wünschten sich dort nicht mal Fuchs und Hase eine gute Nacht. Dafür gab es Kühe, viele Kühe. Als ich jung war, gehörte die schwarz-weiße Kuh, meist die der milchstarken Gattung Holstein-Rind, zum Landschaftsbild. Sie stand auf dem Weg zum Fußballplatz, sie stand am Deich, sie stand auf dem Hof des Ortslandwirtes. Und wenn wir für die sechsköpfige Familie auf dem Hof nebenan die Milch mit der Kanne holten, dann machten die Kühe immer diesen schön dämlichen Sound, den nur eine Kuh machen kann: "Muuuuh". Im Grunde gab es nur drei Geräusche in unserem Dorf. Das Tuckern der Schiffe vom Rhein, samstags die Rasenmäher und stetig dieses beruhigende "Muuuuh" - der Soundtrack meiner Heimat.

Mein Faible für die Niederrheinkuh ist auch familiär bedingt: Mein Vater kommt von einem Bauernhof, hatte zehn Geschwister, die die Bauerntradition fortführten. Meine Mutter kommt von einem kleinen Hof, auf dem immer drei Kühe standen. Dass es auf Familienfeiern immer ganz leicht nach Kuh roch, hat mich nie gestört. Wenn wir uns jetzt einmal jährlich mit allen 45 Cousinen und Cousins treffen, dann riecht es kaum noch nach Kuh. Das macht mir Sorge. Mir fehlen die Kühe im niederrheinischen Landschaftsbild. Als wir unlängst mit dem Auto in die Heimat fuhren, stellte ich den Kindern zum Zeitvertreib die Aufgabe, Tiere zu zählen. Eine Stunde dauert die Fahrt, wir haben in dieser Zeit bis zur Ankunft im Dorf nur zehn Kühe gesehen. Drei standen hinter Rheinberg, sieben vor unserem Dorf. Wir zählten fast dreimal so viele Pferde.

Keine einzige Kuh in Meerbusch?

Es gibt weitere Warnhinweise auf das Verschwinden der Niederrheinkuh: In Meerbusch, meinen Einsatzgebiet als Zeitungsredakteur, droht es bald keine einzige Kuh auf der Wiese mehr zu geben. Vor 20 Jahren gab es dort noch 20 Milchbauern. Zuletzt waren es noch vier: Einer hat den Hof aufgegeben, ein zweiter steht kurz davor. Ein dritter prophezeit, dass er mit der gegenwärtigen Milchkrise die Kuhhaltung aufgeben müsse. Und dann ist da noch der Bauer, der 25 Milchkühe hat, dessen Sohn aber den Betrieb nicht fortführen will.

Es gibt natürlich Gründe dafür, dass die Kühe nicht mehr draußen stehen. Die Landwirte sind gezwungen, immer produktiver zu werden. Neue Statistiken des deutschen Bauernverbandes liefern Aufschluss: Mit der Menge an erzeugten Nahrungsmitteln konnte ein Landwirt im Jahr 1900 vier Personen ernähren, 1950 waren es schon zehn Personen, aktuell sind es 145 Personen. 4,3 Millionen Milchkühe gibt es in Deutschland, ein Großteil verlässt den Stall nicht mehr. Der Konkurrenz des Landwirts ist heute nicht mehr der Nachbarbetrieb, sondern der Chinese. Kühe müssen effizienter werden. Deshalb stehen sie im Stall. Andernfalls müsste der Bauer sie jeden Morgen auf die Wiese schicken und zum Melken wieder hereinholen. Die Wiese müsste umzäunt werden. Das kostet.

Keine Kuh mehr auf der Wiese - wer will das? Irgendwann werden die Kinder rund um Düsseldorf nicht mehr wissen, woher die Milka kommt. Es ist also höchste Zeit, die Denkmalschützer auf den Plan zu rufen. Jeder Plattenbau wird heute unter Schutz gestellt, aber wenn es wirklich mal was zu schützen gilt, den Niederrhein in seiner schönsten Form - Schwarz-Weiß auf Grün - dann schweigt ihr Experten! Dabei gäbe es Ideen: Wie wäre es mit einem Milchtütenetikett: "Milch von sichtbaren Kühen"? Wie wäre es mit einem Solidaritätsfonds?

Von unserem Wohnzimmerfenster schauen wir auf ein großes Maisfeld. Bald werden dort die Pflanzen wieder eine grüne Wand gebildet haben. Ich bin in mich gegangen, habe nachgedacht und meine es ernst: Ich würde 50 Euro pro Jahr dafür geben, dass auf dem Feld hinter unseren Haus Kühe stehen statt tausende Maispflanzen.

(RP)
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