Jetzt testen So schlimm ist Ihr täglicher Stau im NRW-Vergleich

Düsseldorf · Wer in NRW mit dem Auto unterwegs ist, braucht viel Geduld: Nordrhein-Westfalen ist Deutschlands Stau-Bundesland Nummer eins. Doch wo staut es sich am meisten? Wir haben alle 30 Autobahnen ausgewertet.

Nirgendwo standen Autofahrer 2018 länger im Stau als auf den Autobahnen Nordrhein-Westfalens. Das hat der ADAC ermittelt. Auf 485.345 Kilometer Stau summierten sich die Verkehrsstörungen auf den 30 Autobahnen, die durch NRW führen. Der Verkehrsclub bilanziert für NRW demnach rund sieben Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Im bundesweiten Vergleich belegte NRW damit die klare Spitzenposition. In NRW wurde so viel Stau erfasst, wie in Bayern (275.239 km, Platz zwei) und Baden-Württemberg (207.316 km, Platz drei) zusammen.

Mit seiner Auswertung widerspricht der ADAC damit den Stau-Statistiken der schwarz-gelben Landesregierung. Unsere Redaktion hat die monatlichen Werte des Landesbetriebs Straßenbau (Straßen.NRW) analysiert. Demnach staute es sich im vergangenen Jahr auf 103.562 Kilometern, was im Vergleich zu 2017 einen Rückgang um rund vier Prozent bedeutet.

Alle Stauwerte von ADAC und Straßen.NRW in einer interaktiven Karte

Wie unterscheiden sich die Daten von ADAC und Straßen.NRW?

„Unsere Datenquellen sind wesentlich umfangreicher als die von Straßen.NRW“, sagt Roman Suthold, Fachbereichsleiter Verkehr des ADAC Nordrhein. So errechnet der Klub seine Stauwerte unter anderem anhand von anonym übermittelten Positions- und Geschwindigkeitsdaten, von Navigationsgeräten und Smartphone-Apps. „Sobald Fahrzeuge langsamer als 40 km/h fahren, sprechen wir von einem Stau“, sagt Suthold. „Für die Statistik erfassen wir jeden Stau in seiner Maximallänge einmal.“

Straßen.NRW wiederum setzt auf rund 2500 Induktionsschleifen, die an den Ein- und Ausfahrten aller Autobahnen verbaut sind und ebenfalls die Geschwindigkeit aller Verkehrsteilnehmer erfassen. „Durch dieses bewährte System ist eine jährliche Vergleichbarkeit unserer Daten gewährleistet, beim ADAC wissen wir nicht genau, wie die Daten von Jahr zu Jahr zustande kommen“, sagt Hendrik Schulte, Staatssekretär im Verkehrsministerium und damit die rechte Hand von Minister Hendrik Wüst (CDU).

Schulte zweifelt deshalb die Messungen des ADAC an: „Den ADAC-Werten zufolge, gab es im vergangenen Jahr in NRW 1300 Kilometer Stau pro Tag. Alle Feiertage, Ferien und sonstigen verkehrsarmen Tage mit einbezogen. Das erscheint mir wenig plausibel.“ Im März sind die ADAC-Experten nun für ein klärendes Gespräch ins NRW-Verkehrsministerium eingeladen, auch um die Zahlen und ihre Grundlage zur erläutern.

Wo staute es sich in NRW am meisten?

Die Stauschwerpunkte sehen Land und ADAC weiterhin vor allem auf den Hauptstrecken durchs Land: A1, A3 und A4. An dieser Stelle sind sich beide Statistiken einig: die Stau-Belastung auf diesen Strecken ist im vergangenen Jahr nochmal angestiegen. Der ADAC sieht die A1, die in NRW am Kreuz Lotte beginnt und bis Euskirchen reicht, mit einem Jahreswert von insgesamt über 90.000 Staukilometern gar als Spitzenreiter bei den totalen Stauzahlen.

Straßen.NRW hat an dieser Stelle weiterhin die A40 mit rund 18.000 Kilometern erfasst. Die vergleichsweise kurze, rund 230 Kilometer lange Strecke durchs Ruhrgebiet ist laut ADAC wiederum die staureichste Strecke in ganz Deutschland: umgerechnet 841 Kilometern Stau pro Autobahn-Kilometer haben die Verkehrsexperten hier erfasst. Allerdings sind sich beide Statistiken einig, dass Autofahrer auf dem Ruhrschnellweg im vergangenen Jahr rund zwei Prozent weniger Stau ertragen mussten als noch im Vorjahr.

Was sind die Stauursachen?

Als Stauursachen sehen sowohl Ministerium als auch ADAC vor allem Baustellen. „Bauzeit ist Stauzeit“, bringt es ADAC-Experte Suthold auf den Punkt. Staatssekretär Schulte verweist jedoch auch auf ein verbessertes Baustellenmanagement. „Wir lassen verstärkt nachts und an Wochenenden arbeiten, wir bauen schneller und kürzer und ergreifen alle möglichen Maßnahmen, um Baustellen zu beschleunigen.“ Laut Daten des Ministeriums wurden 47 Prozent aller Kurzbauarbeiten nachts durchgeführt (2017: 44 Prozent). Jede zehnte Baustelle konnten am Wochenende bearbeitet werden. „Die von uns bilanzierte Stauabnahme bestätigt, dass diese Maßnahmen wirken“, sagt Schulte.

Dem widerspricht auch Suthold nicht: „Man muss anerkennen, dass Zug in die Koordination der Baumaßnahmen reingekommen ist.“ Dass die Verkehrsprobleme laut der Klub-Zahlen dennoch ein neues Rekordhoch erreichten, hänge vor allem mit der guten Wirtschaftslage im Land zusammen: „Wenn die Wirtschaft wächst, wächst auch die Verkehrsbelastung. NRW ist als bevölkerungs- und exportstarkes Land besonders betroffen.“

Schulte zufolge gibt es darüber hinaus zwei Einflussfaktoren, auf die auch das Ministerium keinen Einfluss hätte: „Unfälle und Wetter stehen nicht in unserer Macht. Wenn es im Februar schneit und sich LKW querstellen oder im Herbststurm Bäume umstürzen, dann führt das zu Verkehrsproblemen, auf die wir nicht einwirken können.“

Wann gab es die meisten Staus?

Vor allem in den dunklen Monaten ohne urlaubsstarke Ferien erfassten die Stauzähler in NRW Rekordzahlen. So sind in der Straßen.NRW-Statistik der Oktober (11.066 km) und November (11.124 km) die beiden staureichsten Monate. Auch der ADAC hat den November als störungsreichsten Monat errechnet (57.000 Kilometer). Bundesweit habe darüber hinaus der Mittwoch den Donnerstag als staureichsten Tag abgelöst, die größte Belastung im Tagesverlauf gibt es laut Verkehrsclub am Morgen zwischen 7 und 9 Uhr sowie am Nachmittag zwischen 15 und 18 Uhr.

Wie geht es 2019 weiter?

Für 2019 prognostiziert Suthold kaum Verbesserungen für Autofahrer: „Die Zahl der Baustellen bleibt oder nimmt sogar noch zu, die Wirtschaft ist stabil, das belastet den Verkehr.“ Straßen.NRW hat bereits Anfang Januar eine Liste der potenziellen Stau-Strecken für das neue Jahr veröffentlicht. Betroffen sind demnach vor allem die durch Großbaustellen belasteten Autobahnen 1, 40 und 52.

Staatssekretär Schulte hofft jedoch, durch die Etaterhöhung im Landeshaushalt für Verkehrsmaßnahmen von zuletzt 2,77 auf 2,86 Milliarden Euro noch häufiger in den verkehrsarmen Zeiten bauen lassen zu können. Mit dem zusätzlichen Geld wolle man unter anderem zusätzliches Planungspersonal einstellen. „Es gibt einen zunehmenden Druck am Baumarkt. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Kapazitäten, die wir für unsere Baustellen brauchen, auch bekommen.“ Für die Umsetzung wird letztlich der Bund zur Kasse gebeten, vergangenes Jahr flossen rund 1,35 Milliarden Euro.

Was sagen andere politische Verkehrsexperten?

Aus der politischen Opposition werden die positiven Zahlen des Verkehrsministeriums zurückhaltend eingeordnet. „Daraus lässt sich kein Trend zum Besseren ablesen, eine Reduzierung von vier Prozent kann auch allein weniger Regentagen geschuldet sein“, sagt Carsten Löcker, Verkehrspolitischer Sprecher der SPD im NRW-Landtag. Dass aktuell viele Baumaßnahmen umgesetzt werden können, sieht Löcker auch als Verdienst der SPD-geführten Vorgängerregierung: „Die gegenwärtige Landesregierung sitzt an einem reich gedeckten Tisch. Der Bundes- und Fernstraßenbau wird aus Bundesmitteln finanziert. Hier hat der ehemalige Verkehrsminister Michael Groschek in Berlin sehr gut verhandelt.“

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Arndt Klocke, weist darauf hin, dass ein stetiger Ausbau der Autobahnen auf lange Sicht nicht ausreichen wird: „. Damit NRW weg kommt vom Stillstand brauchen wir einen massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs sowie der Radverkehrsinfrastruktur. Das würde dann auch die Autobahnen entlasten.“ Zumal die aktuell gute finanzielle Situation im Bundeshaushalt der Landesregierung in die Karten spiele: „Die eigentliche Nagelprobe kommt, wenn weniger Geld in die Kassen fließt. Dann muss sich die Landesregierung entscheiden, ob sie weiter Politik für die Chefetagen der Autokonzerne machen will oder das Geld in ökologische Mobilität für alle investiert“, sagt Klocke.

Naturgemäß positiver sieht die FDP, Koalitionspartner der CDU im Land, die aktuelle Entwicklung. Deren Landtagsabgeordneter Thomas Nückel ist Vorsitzender des Verkehrsausschuss und sagt: „Es ist sehr erfreulich, dass die Staus insgesamt zurückgegangen sind. Und dies trotz steigender Güterverkehre und zahlreicher Baustellen. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Ein Anhalten dieser Entwicklung wolle er jedoch nicht versprechen: „Zur Beseitigung der Engpässe und Stauquellen werden auch mehr baustellenbedingte Staus unvermeidlich sein.“

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