Nach Razzia bei Clan in Leverkusen Mit diesen Tricks überlisten Betrüger das deutsche Sozialsystem

Interview | Düsseldorf/Leverkusen · Ein krimineller Clan aus Leverkusen soll über Jahre hinweg zu Unrecht Sozialleistungen bezogen haben – insgesamt rund 400.000 Euro. Ein Rechtsanwalt erklärt, wie es zu so einem Betrug kommen kann.

 Bei Ermittlungen gegen Clankriminalität durchsuchten Spezialkräfte der Polizei eine Villa in Leverkusen.

Bei Ermittlungen gegen Clankriminalität durchsuchten Spezialkräfte der Polizei eine Villa in Leverkusen.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Nach der groß angelegten Razzia gegen einen kriminellen Familienclan in Leverkusen dauern die Ermittlungen an. Eine Frage, die die Ermittler beschäftigt, ist: Wie konnte der Clan wohl über Jahre hinweg Sozialhilfeleistungen in Höhe von rund 400.000 Euro beziehen ohne dass der Betrug aufflog?

Aus Ermittlerkreisen heißt es, dass man dem Jobcenter in Leverkusen keinen großen Vorwurf machen kann. Die Familie habe es gut verstanden, ihre Angaben zu fälschen und ihre wahre Lebenssituation vor den Behörden zu verschleiern. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Ingo Bott von der Kanzlei „Plan A“ kennt sich aus mit dem Thema Sozialhilfebetrug. Er sagt, wo die Schwächen im System liegen und erklärt, dass der Betrug häufig nicht mit bösem Willen beginnt.

Der Clan in Leverkusen hat über Jahre hinweg zu Unrecht Sozialhilfe bezogen; rund 400.000 Euro. Und die Familie hat zeitgleich in einer Villa gelebt. Wie kann das sein?

Ingo Bott Sozial- und Transferleistungen werden von Seiten des Staates nicht blind ausgegeben, sondern abgewogen und kontrolliert. Leider ist das aber nicht immer dauerhaft und flächendeckend möglich. Das liegt einerseits daran, dass zu wenigen Sachbearbeitern zu viele Fälle anvertraut werden.

Wird zu wenig kontrolliert?

Bott Nicht jeder Empfänger von Sozialhilfeleistungen kann und darf unter Generalverdacht gestellt und laufend überprüft werden. Kontrollen erfolgen daher nur stichprobenartig. Erschwerend kommt zudem oft dazu, dass die Täter die Schwächen der Schwerfälligkeit von Behörden bewusst ausnutzen, etwa den Wohnsitz absichtlich verändern und die Nachvollziehbarkeit der Leistung damit erschweren können.

Ist es vielleicht auch zu leicht, die Jobcenter zu betrügen?

Bott Um die deutsche Sozialstaatsbürokratie zu überlisten, muss man jedenfalls kein Raketenforscher sein. Häufig sind die Regularien schwer verständlich, so dass sich Unsauberkeiten aus Versehen ergeben. Der Weg zum systematischen Missbrauch ist dann – leider – oft fließend. Mit der Schwerfälligkeit der Behörden und des Staatsapparates geht hier auch ein drastisches Kommunikationsproblem einher: Den Staat zu hintergehen, wird teilweise als nicht so schlimm angesehen. Wenn das auch andere erfolgreich tun, gilt schnell als „schön blöd“, wer es nicht auch versucht. Dabei wird vergessen, wem Sozialbetrüger wirklich schaden: Nicht dem Staat, sondern der Sozialgemeinschaft als solcher, also allen anderen.

Ist der Staat zu lasch?

Bott Pauschal kann nicht gesagt werden, dass der Staat zu lasch ist. Gerade bei vermeintlich zu Unrecht beantragten Coronasoforthilfen bemerken wir, dass die Behörden einen erheblichen Verfolgungseifer an den Tag legen. Der „klassische“ Sozialbetrug scheint auf der Agenda der Strafverfolger dagegen eher nicht besonders weit oben zu stehen.

Wie läuft ein klassischer Sozialhilfebetrug ab – etwa beim Kindergeld?

Bott Informationen gegenüber Behörden werden entweder von Bürgern nicht mitgeteilt oder Behörden kommunizieren nicht richtig untereinander. Hinter dem Ursprung des Sozialstaatsmissbrauchs muss gerade anfangs nicht immer böser Wille stecken. Die Lücken und Schwächen im System ermöglichen den Missbrauch oft sogar. In anderen Konstellationen legen es die Täter aber auch gerade darauf an, den Staat zu schröpfen.

Wie machen die das?

Bott Bei einem „klassischen Sozialhilfebetrug“ werden dann Anträge für Sachverhalte gestellt, die es so gar nicht gibt. Häufig geht damit ein gewisser Grad der Verschleierung einher. Wird etwa für Kinder, die gar nicht existieren, Kindergeld beantragt, fliegt dieser Schwindel sehr schnell auf. Eine verbreitetere Masche ist dagegen, dass Scheinarbeitsverhältnisse in Deutschland geschlossen werden, um so einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu fingieren und anschließend für Kinder im EU-Ausland Kindergeld zu beantragen. Diesen stünde das Kindergeld zu, wenn die Eltern tatsächlich in Deutschland arbeiten würden. Da der deutsche Staat davon ausgeht, dass das der Fall ist, leistet er die entsprechende Zahlung.

Was drohen Sozialhilfebetrügern für Strafen?

Bott Der Regelstrafrahmen reicht von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Bei schweren Fällen können Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren drohen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Tat gewerbsmäßig begangen wird und man sich dauerhafte illegale Erwerbsquellen erschließt. Was viele oft vergessen: Auch der Versuch ist schon strafbar.

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