Loop-Gründer Dirk Richter im Porträt Ein Starthelfer für vernachlässigte Kinder

Düsseldorf · Schon früh war für Dirk Richter klar: Soziale Arbeit ist sein Ding. Ein Motiv war die traumatische Kindheit seines Vaters. Richters Verein Loop betreut 250 Kinder und Jugendliche, die nicht in ihren Familien aufwachsen können.

 Dirk Richter wünscht sich mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit, die er und seine Kollegen leisten.

Dirk Richter wünscht sich mehr gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit, die er und seine Kollegen leisten.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Eigentlich begann alles mit einem gebrochenen Fuß. Das war 1989, und Dirk Richter hatte sich gerade für ein BWL-Studium an der Uni Wuppertal eingeschrieben. Doch dann wurde er zum Wehrdienst eingezogen – und entschloss sich, Zivildienst in einem Seniorenheim zu machen. „Und da war klar: Soziale Arbeit ist mein Ding, das will ich machen“, sagt er heute.

Richter, der im September 50 wird, sieht ein bisschen so aus, wie man sich Sozialarbeiter vorstellt: Jeans, Kapuzenpulli, breites Lächeln. Dabei ist er mittlerweile Geschäftsführer: Vor zehn Jahren gründete er den Kinder- und Jugendhilfeverein Loop, seit 2012 ist der Verein eine gemeinnützige GmbH. Das Ziel: ein guter Start ins Leben auch für die, denen die Eltern diesen nicht geben können. „Die Kindheit ist der Grundstein für das spätere Leben, persönlich wie gesellschaftlich“, sagt Richter.

Drei verschiedene Tätigkeitsbereiche gibt es bei Loop: Mitarbeiter betreuen Familien in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die Kinder aufnehmen, die vom Jugendamt in Obhut genommen wurden. Zudem gibt es betreutes Wohnen für Jugendliche und drei stationäre Einrichtungen. Zwei davon stehen in Schleswig-Holstein, in Mönchengladbach eröffnet in dieser Woche die Villa Humboldt.

In einem extra umgebauten Altbau in der Stadt sollen im Projekt „Urban MönchenGardening“ sieben Jugendliche ab zwölf Jahren einen Zufluchtsort finden. Dabei sollen Jugendhilfe und urbanes Gärtnern verknüpft werden. Betreut werden sie von sieben Mitarbeitern im 24-Stunden-Dienst. Die Jugendlichen sollen Beziehungen aufbauen und sich wohlfühlen. „Auf die familiäre Atmosphäre kommt es an“, sagt Richter.

Das weiß er auch aus eigener Erfahrung. Er ist in Hückeswagen aufgewachsen, „typisches Kleinstadtmilieu“: eine ältere Schwester, Vater berufstätig, Mutter Hausfrau. Nachmittags ging es mit Freunden zum Bolzen, „eine glückliche Kindheit“. Nicht so viel Glück hatte Richters Vater Hugo. Geboren 1936 in Bessarabien, dem heutigen Moldawien, kam er Ende der 40er Jahre als Flüchtlingskind nach Deutschland.

Auf der Flucht wurde er von den Eltern getrennt, sah sie erst Jahre später. Zeitlebens war er schwer traumatisiert, konnte kaum über das Erlebte reden. „Seine Sprachlosigkeit und Trauer haben mich geprägt“, sagt Richter. Und muss kurz innehalten. 2003 starb der Vater an Krebs, gesprochen hat er über seine Geschichte bis zum Schluss nur wenig. „Damals war es als Jugendlicher kaum möglich, sich Hilfe zu holen – das ist heute zum Glück anders.“

Die Gründe, warum Kinder aus ihren Familien genommen werden, sind so vielfältig wie schrecklich: Vernachlässigung, seelische und körperliche Misshandlungen, sexuelle Ausbeutung. Das Jugendamt entscheidet darüber, knapp 16.000 solcher Inobhutnahmen gab es 2017 in NRW. Richter kennt auch diese Perspektive. Nach dem Sozialpädagogik-Studium arbeitete er erst in der Gerontopsychiatrie, dann in der Suchthilfe und schließlich beim Jugendamt. Nach fünf Monaten hatte er genug, sagt er, „ich wollte mehr“. Eine auf die Bedürfnisse des Kindes zugeschnittene Betreuung, mehr Nähe zwischen Mitarbeitern und Familien.

Richter beschloss, Loop zu gründen – mit privatem Vermögen. „Ich habe alles zusammengekratzt, das Haus beliehen, das Erbe meines Vaters eingesetzt“, sagt er. Zu der Zeit war Richters Frau gerade mit dem vierten von sechs Kindern schwanger. Doch das Vorhaben glückte, inzwischen betreuen Richters Mitarbeiter rund 250 Kinder und Jugendliche, die zwischen sechs Monaten und 21 Jahre alt sind. Der Verein finanziert sich durch Pauschalen des Jugendamtes, die pro betreutem Kind ausgezahlt werden, und Spenden. Die Rolle als Geschäftsführer bedeutet für Richter aber auch: keine praktische soziale Arbeit mehr. „Klar, das fehlt mir schon“, sagt er, „aber ich versuche, auch als Chef ein bisschen Sozialarbeiter zu sein.“

Das heißt für ihn: ansprechbar für die Mitarbeiter sein, psychologische Betreuung zu organisieren, wenn ein besonders schwerer Fall auf die Psyche schlägt, übertarifliche Bezahlung. Diese Wertschätzung fehle zu oft, bei staatlichen genauso wie bei privaten Trägern. „Wir sind genau wie Altenpfleger Säulen der Gesellschaft“, sagt Richter und wird ein bisschen laut. „Diese Berufe brauchen mehr Anerkennung, gesellschaftlich wie finanziell.“

Dass sich die Anstrengung lohnt, merkt Richter immer wieder, zum Beispiel, wenn sich wie neulich eine junge Frau meldet, die als Jugendliche von Loop betreut wurde, nachdem sie ihr Elternhaus verlassen musste. Ein Jahr nach Ende dieser Betreuung berichtete sie, sie habe eine eigene Wohnung, einen Freund und einen Ausbildungsplatz. So schließt sich für ihn ein Kreis: „Früher habe ich den Übergang am Lebensende betreut, heute helfe ich jungen Menschen auf dem Weg in ein selbstständiges Leben.“

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