NRW-Praxen beklagen Überlastung Kinderärzte wollen vor Ferien keine Atteste mehr ausstellen

Düsseldorf · Wer vor den Ferien fehlt, muss der Schule oft ein Attest vorlegen. Ärzte fordern nun, die Kontrolle dem Gesundheits- oder Ordnungsamt zu übertragen. Lehrer sind alarmiert. Was dies nun bedeutet.

Das Schwänzen vor den Ferien soll anders verhindert werden. Kinderärzte fordern eine Reform.

Das Schwänzen vor den Ferien soll anders verhindert werden. Kinderärzte fordern eine Reform.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Sommerferien nahen. Schon erkundigen sich Eltern, ob sie ihr Kind früher aus der Schule nehmen können, wie Lehrer entsetzt berichten. Daher verlangen viele Schulen seit langem ein ärztliches Attest für das Fehlen an diesen Tagen. Nun begehren die Kinderärzte auf: „Wir können und wollen nicht die Kontrolleure für die Schulen spielen“, sagt die Vorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Nordrhein, Christiane Thiele. Viele Praxen seien überlastet. „Oft ist es uns nicht einmal möglich, alle Neugeborenen oder Zugezogenen pädiatrisch zu betreuen. Unsere begrenzten Ressourcen können nicht für nicht-ärztliche Tätigkeiten verschwendet werden“, ergänzt Verbandssprecher Axel Gerschlauer, der selbst Kinderarzt in Bonn ist.

Nun fordern die Ärzte, dass das Land die Kontrolle an andere Institutionen überträgt. Der Gesetzgeber könnte über die Gesundheitsämter Attestmöglichkeiten schaffen oder die Kontrollfunktion an das Ordnungsamt delegieren, schlägt Gerschlauer vor. Oder er könnte Entschuldigungen durch die Eltern erlauben. „Besonders pragmatisch wäre natürlich ein kurzer Besuch im Schulsekretariat, um so die grundsätzliche Anwesenheit der Schülerinnen und Schüler zu beweisen.“

Auch der Chef des BVKJ Westfalen, Marcus Heidemann, sieht das Land in der Pflicht: „Wir wehren uns dagegen, dass der Staat unser Vertrauensverhältnis zu unseren Patientinnen und Patienten zerstört, indem er uns zu Überwachern macht. Eine zeitnahe Regelung ist dringend notwendig – die Ferien in NRW stehen vor der Tür.“ Sie beginnen am 22. Juni.

Das Schulministerium betont zwar, dass es (außer bei Abschluss- und Nachprüfungen) keine Attestpflicht gebe: „Eine generelle Attestpflicht für das krankheitsbedingte Fehlen vor und nach den Ferien gibt es nicht. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend“, so das Ministerium. Der „Erlass zur Teilnahme am Unterricht“ stelle unverändert klar, dass Versäumnisse aus Krankheitsgründen grundsätzlich durch Eltern schriftlich zu entschuldigen seien. „Ein ärztliches Attest sollen die Schulen ausdrücklich nur dann einfordern, wenn begründete Zweifel bestehen, dass der Schüler oder die Schülerin tatsächlich erkrankt ist“, sagt der Sprecher.

Doch das führt in der Praxis eben doch dazu, dass die Schulen ein Attest sehen wollen. Denn das Ministerium betonte auch: „Es ist für die Tage vor und nach den Ferien geregelt, dass Schüler nicht beurlaubt werden können, wenn die Beurlaubung ersichtlich dem Zweck dienen soll, die Ferien zu verlängern, preisgünstigere Urlaubstarife zu nutzen oder möglichen Verkehrsspitzen zu entgehen.“ Um das zu überprüfen, bleibt den Schulen oft nichts übrig, als ein Attest zu verlangen.

Das unterstreicht auch der NRW-Lehrerverband. „Ein ärztliches Attest wird für das Fehlen bei Abiturprüfungen, zentralen Prüfungen und am letzten Schultag vor den Ferien verlangt. Darauf müssen wir weiter bestehen“, sagte Verbands-Präsident Andreas Bartsch. „Schon jetzt berichten Schulleiter von Elternanfragen, die ihr Kind befreien möchten, um früher oder günstiger in die Sommerferien zu kommen. Das ist nicht akzeptabel.“ Es bestehe auch am letzten Schultag Schulpflicht. „Wenn wir die Entschuldigung an diesen Tagen den Eltern überlassen, ist die Gefahr groß, dass die Schulpflicht nicht eingehalten wird“, warnte Bartsch. „Die Idee, die Kontrolle den Gesundheits- oder Ordnungsämtern zu überlassen, ist zu aufwendig und nicht praktikabel.“

Das Ministerium weist die Eltern auf die Konsequenz des Schwänzens hin: „Eine Verletzung der Schulpflicht ist eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einer Geldbuße geahndet werden.“

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein betont, dass es nicht zum Versorgungsauftrag der Kinderärzte gehöre, solche Schulatteste auszustellen. „Bescheinigungen für die Schule“ wären eine freiwillige ärztliche Leistung, so der KV-Sprecher. Wenn Kinderärzte sie nun nicht mehr ausstellen wollen, könnten sie die Kassenpatienten zur Kasse bitten. „Die Vergütung würde im Rahmen der Privatliquidation durch den Versicherten oder dessen Erziehungsberechtigten zu tragen sein“, so der KV-Sprecher.

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