Trauer in Solingen „Wie verzweifelt muss man sein?“

Solingen · Am Tag nach dem Tod von fünf Kindern in Solingen sind viele Fragen noch offen. Nachbarn trauern am Tatort. Das elfjährige Geschwisterkind ist in Obhut seiner Großmutter in Mönchengladbach.

Gedenkveranstaltung auf dem Neumarkt in der Solinger Innenstadt
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Gedenkveranstaltung auf dem Neumarkt in der Solinger Innenstand

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Foto: Christoph Reichwein (crei)

Polizisten stehen am Freitagmorgen an den Treppenaufgängen zu dem Haus an der Hasselstraße in Solingen, in dem am Tag zuvor fünf tote Kinder entdeckt worden waren. Die Zugänge sind mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, es regnet, immer wieder kommen Anwohner vorbei, um eine Kerze oder ein paar Blumen abzulegen. Ein kleiner Junge geht irritiert an den Erwachsenen vorbei, die alle fassungslos wirken. „Ich verstehe nicht, wie so etwas passieren kann“, sagt eine Frau. „Ich meine, wie verzweifelt muss man sein, um seine eigenen Kinder umzubringen?“

Ein Mädchen kommt an der Hand seiner Mutter zu der kleinen Gedenkstätte. In der anderen Hand hat das Kind eine Engelsfigur. Als die Mutter die Figur zu den Stofftieren und den Kerzen stellen will, protestiert das Mädchen. „Ich will sie doch behalten“, sagt es. Die Mutter spricht nochmal mit ihrer Tochter, die den Engel schließlich aus der Hand gibt.

Fünf Geschwister sind tot, drei Mädchen und zwei Jungen, sie waren zwischen 18 Monaten und acht Jahre alt. Tatverdächtig ist die 27 Jahre alte Mutter der Kinder, die nach einem Suizidversuch schwer verletzt in einer Klinik liegt. Nur der älteste Bruder lebt noch, der Elfjährige ist in Obhut seiner Großmutter in Mönchengladbach, wie die Jugenddezernentin der Stadt, Dörte Schall, auf Anfrage unserer Redaktion bestätigte. Die Jugendämter von Mönchengladbach und Solingen seien in engem Kontakt, auch mit dem Jungen und seiner Großmutter, ebenso die Opferschutzbeauftragte der Polizei. „Die erste Priorität ist, wie wir dem Kind jetzt alle gemeinsam helfen können“, betont Schall. Die Frage sei, was er mitbekommen habe. „Das ist ein Fall, der jegliche Vorstellungskraft übersteigt“, sagt sie. Der Junge war am Donnerstag mit seiner Mutter nach Düsseldorf gefahren - es ist unklar, was er zuvor mitbekommen hat. Vom Düsseldorfer Hauptbahnhof ist er alleine weiter gefahren nach Mönchengladbach zu seiner Oma. Die Mutter der Kinder, die sich in Düsseldorf vor einen Zug geworfen hatte, soll aus Mönchengladbach stammen, ist dort wohl auch aufgewachsen. Wann und warum sie nach Solingen gezogen ist, konnte die Sozialdezernentin nicht sagen.

Noch ist unklar, was zu der Familientragödie geführt hat. Eine Obduktion soll nun die Todesursache der Kinder klären. Polizei und Staatsanwaltschaft wollen um 16.45 Uhr in Solingen über ihre Ermittlungen informieren.

Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach hat zum Innehalten aufgerufen und eine Aussetzung des Kommunalwahlkampfes in der Stadt angekündigt. „Mitten unter uns hat sich etwas ereignet, das unbegreiflich ist. Es sind Stunden und Tage der tiefen Anteilnahme, des Innehaltens und für mich als Christen auch des Gebets“, sagte er. Seine Gedanken und sein Mitgefühl sei bei den Kindern, deren Leben so tragisch so früh geendet habe und bei den Menschen, die den jungen Menschen und ihrer Familie nahestünden, erklärte er.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bekannte, dass das Ereignis von Solingen „viele Menschen in Nordrhein-Westfalen sehr bewegt“ habe. Die „Gedanken sehr, sehr vieler Menschen“ seien jetzt bei der Familie und den Angehörigen.

Solingen: Fünf tote Kinder in Wohnung gefunden - Fotos vom Tatort
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Fünf tote Kinder in Wohnung in Solingen gefunden

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Foto: dpa/Oliver Berg

Auch die Bundesregierung bekundete ihre Anteilnahme. „Was in Solingen geschehen ist, erschüttert unsere Herzen, macht uns traurig, wütend und fassungslos zugleich: Fünf kleine Leben sind gestern ausgelöscht worden - das übersteigt unsere Vorstellungskraft von dem, was Menschen imstande sind zu tun“, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Sie spreche den Angehörigen der fünf getöteten Kinder ihr „tief empfundenes Mitgefühl“ aus. Nun gelte es, die Ermittlungen der Polizei abzuwarten und zu prüfen, ob es Hinweise auf Probleme innerhalb der Familie gegeben hat.

(mit Agenturmaterial)
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