Erfahrungsbericht Zwischen Strudel und Strömung - so gefährlich ist Schwimmen im Rhein

Leverkusen · Immer wieder ertrinken Menschen beim Baden im Rhein, vergangenes Wochenende waren es zwei. Warum unterschätzen so viele die Strömung des Flusses? Unsere Reporterin hat unter Aufsicht der DLRG den Selbstversuch gewagt.

Das Wasser geht mir noch nicht mal bis zum Bauchnabel, da zieht mich die Strömung schon nach draußen. Es fühlt sich an, als würden die Wellen mich regelrecht in die Flussmitte schubsen. Noch dazu versinken meine Füße mehrere Zentimeter tief im Schlick. Mit so viel Sog von unten und von vorne hatte ich nicht gerechnet, als ich nahe dem Hitdorfer Hafen bei Leverkusen im Rhein stehe. Ich ziehe meine Füße aus dem Schlamm und schwimme los - mit einem mulmigen Gefühl. Das rote DLRG-Boot "Ingeborg" folgt mir wie ein treibender Schatten.

Unsere Reporterin wurde bei ihrem Selbstversuch mit der (Unterwasser-)Kamera begleitet. Den Film sehen Sie hier.

Fotos: So fühlt sich Schwimmen im Rhein an - Selbstversuch bei Leverkusen
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Selbstversuch: Schwimmen im Rhein bei Leverkusen

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Immer wieder ertrinken Menschen beim Baden im Rhein. Allein am vergangenen Wochenende sind wieder zwei Männer in Nordrhein-Westfalen ums Leben gekommen, einer in Köln und einer Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) rät grundsätzlich davon ab, im Rhein schwimmen zu gehen. "Der Rhein ist die am meisten befahrene Wasserstraße Europas. Dort zu schwimmen ist wie Fußballspielen auf einer sechsspurigen Autobahn", sagt Karsten Janiszewski (23) vom Ortsverband Monheim. Offiziell verboten ist das Baden aber nur im Bereich von Hafenmündungen, Fähranlegern, Werften und unter Brücken. Aber warum ist Schwimmen im Rhein so gefährlich? Wie kommt es, dass Menschen regelmäßig die Strömung unterschätzen?

Um das herauszufinden, wage ich den Selbstversuch. Begleitet werde ich von der DLRG Monheim. Zwar bin ich eine geübte Schwimmerin, trainiere seit Jahren im Verein und bin als gebürtige Kielerin auch das Freiwasserschwimmen in der Ostsee gewöhnt. Trotzdem habe ich Respekt vor dem Rhein und bin froh, dass die vier ehrenamtlichen Helfer dabei sind, um mich mit ihrem Boot aus dem Wasser zu holen, falls ich nicht mehr alleine an Land komme. Zudem trage ich eine halbautomatische Rettungsweste, die mir zwar keinerlei Auftrieb verschafft, aber im Notfall durch eine Zugschnur binnen Sekunden zu einer Art Riesen-Rettungsring aufgeblasen werden kann.

"Viele Leute unterschätzen die Strömung in Ufernähe", sagt Janiszewski, der die Aktion als Einsatzleiter führt. Dabei ist der Sog dort besonders tückisch. Die künstlich angelegten Landzungen, die vom Ufer in den Fluss hineinreichen - genannt Buhnen - regulieren den Stromfluss des Wassers. Durch sie verstärkt sich der Sog in der Mitte des Rheins so stark, dass die Schiffe schneller vorwärts kommen. Badegäste nutzen diese Buhnen oft, um von dort in den Rhein zu gehen. Ein gefährliches Sprungbrett. Denn: "Zwischen den Buhnen entstehen Kehrströmungen, die durch vorbeifahrende Schiffe noch verstärkt werden. Das Wasser zirkuliert entgegen der Hauptstromrichtung", sagt der DLRG-Einsatzleiter. Vor meinem ersten Badeversuch erklärt er mir die Strömung, zeigt auf verschiedene Punkte an der Wasseroberfläche. Er sagt, ich solle versuchen mit der Strömung zu schwimmen - niemals dagegen. Hoffentlich habe ich alles richtig verstanden.

Diese Grafik verdeutlicht die Strömungsverhältnisse im Rhein zwischen den Buhnen:

Dann gehe ich vom Ufer aus langsam ins Wasser. Zwar sehe ich die Strömung nicht direkt, aber nach wenigen Metern spüre ich den Sog raus auf den Rhein. Ich fange an zu schwimmen, spüre aber direkt, dass die Bewegungen fast keine Auswirkungen auf meine Position im Gewässer haben. Ich treibe immer weiter flussabwärts, entferne mich innerhalb weniger Minuten vom Boot. Jetzt gilt es, Ruhe zu bewahren. Ich fixiere das Ufer und versuche, mit aller Kraft Richtung Land zu schwimmen bevor ich die nächste Buhne erreiche. Denn: Der gefährlichste Punkt sind die Köpfe der Buhnen. Wenn ein Schiff vorbeifährt, entsteht dort ein starker Strudel, der einen auf den Grund des Flusses ziehen kann. Die Landzunge kommt immer näher und im Vorbeitreiben erwische einen großen Stein, an dem ich mich festhalte und an Land ziehe. Ich bin erleichtert, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.

Bei einem zweiten Versuch starte ich vom Boot in der Mitte des Rheins aus und versuche die gerade Uferseite ohne Buhnen zu erreichen. Ein paar Minuten schwimme ich gegen die Strömung an - vergebens. Dann fährt auch noch ein Containerschiff vorbei, die Wellen werden stärker. Ich gebe auf. Wieder lasse ich mit mitreißen, steuere grob in Richtung Ufer und erreiche schließlich die Felsen. Als ich zu meinem Ausgangspunkt zurückblicke merke ich, dass ich etwa 300 Meter weiter nördlich rausgekommen bin. Ein Kind beispielsweise, das beim Spielen am Ufer in die Strömung gerät und zu seinen Eltern an Land zurück will, hätte keine Chance. Einen bestimmten Punkt am Ufer zu erreichen ist fast unmöglich, Hauptsache überhaupt Ufer.

"Ingeborg" kommt angefahren und die DLRG-Helfer ziehen mich zurück an Bord. Jetzt erst merke ich, wie stark ich in den letzten Minuten meinen Körper beansprucht habe. Meine Beine sind schlapp, die Muskeln müde, die Konzentration aufgebraucht. Noch immer spüre ich die Kraft des Wassers, die mich umschließt und fremdbestimmt. Auf der Fahrt zurück zum Anleger scheint die Sonne, Rettungsschwimmer Marcel Schmitz-Sauer macht den Unterschied zwischen meinem Versuch heute und einem echten Badeunfall deutlich: "Menschen, die womöglich noch von der Sonne aufgeheizt sind oder Alkohol getrunken haben und dann baden gehen, riskieren ihr Leben. Nicht immer sind Feuerwehr oder DLRG rechtzeitig zur Stelle."

Im Gespräch mit der Reporterin erklärt DLRG-Einsatzleiter Karsten Janiszewski was genau die Gefahren beim Schwimmen im Rhein sind. Das Interview im Video sehen Sie hier.

Im vergangenen Jahr sind laut Statistik der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft 70 Menschen in NRW überwiegend in Seen und Flüssen ertrunken, in 2014 waren es noch 49. Für die laufende Badesaison liegen noch keine aktuellen Zahlen vor. Aus den letzten Wochen sind unserer Redaktion bereits mindestens sechs Todesfälle in der Region bekannt. Die Feuerwehr Düsseldorf musste nach eigenen Angaben dieses Jahr bereits fünf Menschen aus dem Rhein bergen, vier davon lebend.

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Mein Fazit nach insgesamt drei Schwimmversuchen im Rhein: Baden im Rhein ist gefährlich und fühlt sich auch so an. Die Strömung ist stärker als jeder noch so geübte Schwimmer. Eine realistische Chance, aus eigener Kraft sicher das Ufer zu erreichen, hat man nur, wenn man sich über die Strömungsverhältnisse im Klaren ist und - wichtig - nicht in Panik verfällt. Ob man sich oder gar seine Kinder aber überhaupt dem Risiko des Rheins aussetzen will, sollte sich jeder gut überlegen. Ich würde es alleine nicht wieder tun.

Wie verhält man sich am besten, wenn man Zeuge eines Badeunfalls wird? Tipps zum richtigen Handeln finden Sie hier.

(siev)
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