Niederrhein Sexualerziehung verunsichert Lehrer und Eltern

Krefeld · Am Niederrhein beklagen Organisationen wie die Aids-Hilfe oder pro familia, dass Schulen Sexualkunde vernachlässigen würden. Eltern hingegen wehren sich gegen den Unterricht, der teils schamverletzend sei. Wir haben uns an Schulen am Niederrhein umgehört.

 Gute Frage: Wo kommen eigentlicht die kleinen Kinder her.

Gute Frage: Wo kommen eigentlicht die kleinen Kinder her.

Foto: Ullstein

An der städtischen Gesamtschule Kempen steht Sexualkunde bei den Fünft- und Sechstklässlern auf dem Lehrplan im Fach Naturwissenschaften, einer Kombination aus Biologie und Chemie. "Wir greifen das Thema auch in anderen Fächern auf, wenn es sich ergibt. Etwa in Religion oder in Gesellschaftslehre", sagt Uwe Hötter, der die seit zwei Jahren bestehende Schule leitet. Hötter, zuvor Leiter der Erich Kästner Realschule in Kempen, hat in seiner langen Zeit als Lehrer "keine negativen Erfahrungen mit Eltern" gemacht.

Das ist selten, glaubt man dem, was Sexualpädagogen und andere Experten erzählen. Viele Eltern und teils auch Lehrer seien verunsichert, was den Inhalt und die Vermittlung des Stoffes angeht. In Krefeld und anderen Städten am Niederrhein habe das bereits dazu geführt, dass die Zeit, die der Sexualerziehung gewidmet werde, zurückgehe. Das jedenfalls erklären Vertreter des Sexualpädagogischen Netzwerks in Krefeld, das sich aus Organisationen wie der Aids-Hilfe oder pro familia zusammensetzt, die von Schulen als externe Partner zu Rate gezogen und eingeladen werden. Das Thema Sexualität werde in den Schulen zunehmend totgeschwiegen, meint Philipp Einfalt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Demzufolge würde es an Krefelder und Mönchengladbacher Schulen in der siebten bzw. sechsten Klasse nur einen einzigen Projekttag geben. Die Krefelder Schulaufsicht war am Dienstag zu keiner Stellungnahme zu erreichen. In Gladbach sei das Problem nicht bekannt, hieß es von Seiten der zuständigen Schulaufsicht. Dort existiere keine Schule, in der keine Sexualerziehung erteilt werde. Es gebe indes immer wieder Eltern, denen der Unterrichtsinhalt zu freizügig erscheine und die sich deshalb an die Schulaufsicht wenden würden.

Laut Schulministerium NRW ist Sexualerziehung an den Schulen verpflichtend, wenngleich nicht genau festgeschrieben ist, welche Inhalte in welcher Klasse vermittelt werden müssen. "Der gesetzliche Erziehungsauftrag der Schule schließt die Sexualerziehung als einen wichtigen und unverzichtbaren Teil der Gesamterziehung mit ein", heißt es in den Richtlinien zur Sexualerziehung in Nordrhein-Westfalen. Auch an Grundschulen ist Sexualerziehung seit mindestens 1999 Teil des Unterrichts. Die Schulen entscheiden nach Angaben des Ministeriums in eigener Verantwortung über ein Konzept und legen die Inhalte für die Jahrgangsstufen fest. Ebenso seien auch die Materialien und die außerschulische Partnerwahl freigestellt. Schulen könnten Projekttage machen, müssten dies aber nicht, so ein Sprecher. Wichtig sei, dass das Thema fächerübergreifend und altersgerecht im Unterricht vorkomme. Denn es gibt kein Fach, das sich Sexualkunde nennt. In der Sekundarstufe II werden die Inhalte aus der Sekundarstufe I vertieft. Ziel sei es, "die Kinder zu Offenheit und Toleranz zu erziehen", so der Ministeriumssprecher.

Dass Sexualkundeunterricht vermehrt zum Streitfall wird, berichtet auch Regine Schwarzhoff. Jedoch aus ganz anderen Gründen: Der Unterricht verletzte teils die Scham der Kinder, sagt die Vorsitzende des Elternvereins NRW. "Teilweise sind die Kinder total verstört", sagt sie. Denn oftmals werde zu explizit über Geschlechtsverkehr oder Abtreibung gesprochen. Das führe dazu, dass Eltern ihre Kinder aus dem Unterricht nähmen. "Diese Fälle landen zunehmend vor Gericht", sagt Schwarzhoff und verweist auf den Fall eines Krefelder Vaters, der sich verantworten muss, weil er nicht wollte, dass sein Kind auf diese Weise unterrichtet wird. Sein Handeln sei mit einem Bußgeld belegt worden.

"Man muss Eltern eine Ausweichmöglichkeit bieten", fordert Schwarzhoff, "nicht jeder möchte, dass sein Kind in einem Alter mit Dingen konfrontiert wird, die es noch nicht verarbeiten kann". Nicht alle Schulen legten ihr Konzept den Eltern vor - wozu sie aber verpflichtet sind, wie das Schulministerium bestätigt. Sexualerziehung sei eingeführt worden, um ansteckende Krankheiten und Frühschwangerschaften zu verhindern und sexuellem Missbrauch vorzubeugen, doch in ihren Augen sei das Gegenteil der Fall, so Schwarzhoff. Geburten durch Minderjährige machen laut Statistischem Bundesamt 0,7 Prozent aus. Zahlen zu Abtreibungen bei Teenagern gibt es dort nicht.

Kinder und Jugendliche werden durch das Internet immer früher mit sexuellen Themen konfrontiert, argumentiert der Lehrerverband NRW. "Darum ist Sexualkunde in der Schule wichtiger denn je, und zwar auf Grundlage unseres tradierten christlichen Menschenbildes", teilt die Vorsitzende Brigitte Balbach mit. Dabei gehe es nicht nur um "technische" Aspekte, sondern auch um Themen wie Liebe, Treue und Toleranz. Natürlich sei es für Lehrkräfte nicht immer leicht, vor 30 pubertierenden Schülern Sexualkunde zu unterrichten, erklärt Balbach.

(RP)
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