NRW-Polizei erschießt vier Tiere pro Tag Schusswaffen im Einsatz - warum Polizisten in NRW pro Tag vier Tiere töten

Krefeld/Düsseldorf · Polizisten haben auf einen Hund geschossen, der auf einem Krefelder Spielplatz Kinder verletzt hatte. Es gibt immer wieder Situationen, in denen Polizeibeamte schießen müssen – auf Tiere, aber auch auf Menschen. Wann dürfen sie ihre Waffen benutzen?

Polizeibeamter mit Dienstwaffe (Symbolbild).

Polizeibeamter mit Dienstwaffe (Symbolbild).

Foto: dpa/Oliver Berg

Als der erste Streifenwagen am Samstag zum Spielplatz am Blumenplatz in Krefeld kommt, hat der Belgische Schäferhund schon mehrere Kinder angesprungen und gebissen. Die Polizisten versuchen vergeblich, den Hund einzufangen. Schließlich geben sie zwei gezielte Schüsse ab und verletzen ihn schwer. Ein Tierarzt schläfert den Schäferhund später ein.

Es kommt häufig vor, dass Polizeibeamte auf Tiere schießen müssen. Nach Angaben des Innenministeriums töteten Polizisten 2017 in NRW 1449 Tiere – sie waren krank, gefährlich oder verletzt. 2016 waren es 1536, im Jahr zuvor 1365. Die Zahlen für vergangenes Jahr liegen noch nicht vor.

Auf diesem Krefelder Spielplatz schossen Polizisten den Hund an, der mehrere Kinder angefallen hatte.

Auf diesem Krefelder Spielplatz schossen Polizisten den Hund an, der mehrere Kinder angefallen hatte.

Foto: Lothar Strücken

„Meistens sind es Wildtiere, die angefahren und schwer verletzt wurden“, sagt Michael Mertens, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Nach Wildunfällen ist die Polizei oft zuerst vor Ort. Es würde zu lange dauern, bis ein zuständiger Jäger da wäre, sagt Mertens. Er selbst musste einmal einen tollwütigen Fuchs in einer Wohnsiedlung erschießen. „Wenn Gefahr von einem Tier ausgeht, wie im Krefelder Fall auf dem Spielplatz, gibt es keine zwei Meinungen, dann muss man handeln.“ Leicht sei es aber nie. „Ein Tier ist kein Mensch – aber es kostet immer große Überwindung, auf ein Lebewesen zu schießen.“ Die Situation auf dem Spielplatz sei besonders schwierig gewesen, weil Kinder und Erwachsene in unmittelbarer Nähe des Hundes waren. „Aber die Beamten sind darin geschult, gezielte Schüsse abzugeben – wer die Prüfung zum Polizeibeamten besteht, ist dazu in der Lage“, sagt Mertens.

Erschießt ein Polizist einen Menschen, erregt das immer großes Aufsehen. Wann Polizisten ihre Dienstpistole benutzen dürfen, ist im Polizeigesetz des Landes NRW geregelt. Dort heißt es: „Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen.“ Der Einsatz der Waffe muss immer angekündigt werden. Beamte dürfen nur schießen, um „eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben abzuwehren.“ In einer tumultartigen Situation ist das eine Abwägung, für die manchmal nur Sekundenbruchteile bleiben. Eine falsche Entscheidung kann auch für den Polizeibeamten tödlich sein.

„Es handelt sich bei solchen Einsätzen um extreme Herausforderungen“, sagt Victor Ocansey vom Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen, kurz LAFP. In der polizeilichen Aus- und Fortbildung gibt es das Modul „Schießen/Nichtschießen“, in denen die Kommissaranwärter üben, in unterschiedlichen Situationen angemessen zu reagieren. Sie werden in den Trainings in Schießstätten in unübersichtliche und stressige Situationen gebracht, die sie blitzschnell bewerten und darauf reagieren müssen. „Der Schusswaffengebrauch ist immer die Ultima Ratio, das letzte zur Verfügung stehende geeignete Mittel“, sagt Ocansey.

2017 schossen Polizeibeamte in NRW 35 Mal auf Menschen, 2016 gab es 24 Fälle, 2015 waren es 25 – Warnschüsse sind einbezogen. Fünf Menschen starben 2017 durch Polizeischüsse, 17 wurden verletzt, für die Jahre 2015 und 2016 nennt das Innenministerium jeweils drei Tote und sieben Verletzte. Gründe für den Anstieg scheint es nicht zu geben. „Jeder Fall ist individuell“, sagt Ministeriumssprecher Wolfgang Beus. Nach Angaben der GdP werden Polizisten aber immer häufiger mit Messern angegriffen - und so in lebensgefährliche Situationen gebracht. Seit Januar werden Fälle, in denen Täter ein Messer oder sonstige Hieb- und Stichwaffen einsetzen, eigens statistisch erfasst. Fallzahlen gibt es also erst im kommenden Jahr.

Den „Schusswaffengebrauch gegen Tiere“ trainieren Polizeischüler schon im ersten Ausbildungsjahr mit Fotoplakaten und Projektionen unterschiedlicher Tierarten, wie Ocansey sagt. Ein Polizist darf ein Tier erschießen, wenn vom ihm „eine Gefahr ausgeht, die nicht auf andere Weise zu beseitigen ist“, wie es im Polizeigesetz heißt. Verletzte oder kranke Tiere dürfen demnach nur getötet werden, wenn zu befürchten ist, dass sie sonst unter Qualen verenden würden.

Noch vor fünf Jahren beklagte die GdP, dass Polizisten zu wenig Zeit für Schießtrainings hätten. Zwar sind jährlich sechs Stunden vorgesehen, aber bei Personalengpässen wurden die Beamten eher im Wach-und Streifendienst eingesetzt als in die Einsatztrainings geschickt. „Das hat sich geändert“, sagt GdP-Sprecher Stephan Hegger. „Das Schießtraining hat inzwischen in Verbindung mit dem Amoklagentraining eine hohe Priorität.“ Im vergangenen November haben 1000 Beamte – unter ihnen auch Spezialeinheiten und die GSG 9 - in der bislang größten Anti-Terror-Übung auf einem deutschen Flughafen in Köln/Bonn den Ernstfall geprobt.

Bis 2022 will die Landesregierung 680 Millionen Euro in den Bau neuer Polizeigebäude und die Sanierung alter Wachen stecken. NRWs Polizisten sollen künftig in zwölf regionalen Trainingszentren auf ihre Einsatzsituationen vorbereitet werden. Dort sollen die Beamten in verbesserten Trainings einheitliche Standards lernen – vor allem wegen der möglichen Terrorgefahr. Vier der geplanten zwölf Zentren sind in Betrieb. Aber nur zwei, Schloss Holte-Stukenbrock und Dortmund, erfüllen laut GdP alle Anforderungen. Die anderen sollen nun modernisiert werden, die restlichen acht neuen Trainingsgebäude in spätestens vier Jahren fertig sein.

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