Latein als zweite Fremdsprache abschaffen? Lasst die Kinder mit eurem Latein in Ruhe!

Meinung | Düsseldorf · Tausende Sechstklässler in NRW müssen sich dieser Tage entscheiden: Latein oder Französisch als zweite Fremdsprache? Unser Autor meint: Latein ist nicht nur die deutlich schlechtere Wahl – es gehört auch dringend raus aus dem Lehrplan. Eine Polemik.

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Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Kinder, lernt Proto-Indoeuropäisch! Forscher sind überzeugt: Proto-Indoeuropäisch ist die Mutter fast aller europäischen Sprachen. Auch wenn es nur bis etwa 3400 vor Christus gebräuchlich war und heute als tote Sprache gilt: In unserer modernen Welt lebt es vielfältig weiter. Aufgrund seiner herausragenden kulturellen Bedeutung und weil auch heute noch viele Begriffe aufs Proto-Indoeuropäische zurückgehen, wird es selbstverständlich an deutschen Schulen gelehrt. Ein Leben lang profitieren Heranwachsende von der Beschäftigung mit Grammatik, Vokabeln und Lebensweise der Jungsteinzeit.

Wie, das finden Sie abwegig?

Ist es natürlich auch – und trotzdem halten wir es für völlig normal, dass an unseren Gymnasien und Gesamtschulen mit fast den gleichen Argumenten noch immer Latein unterrichtet wird.

 Für viele Leute der einzige praktikable Anwendungsfall von Lateinkenntnissen: Inschriften übersetzen (hier: irgendwas mit Jungfrauen und Senat)

Für viele Leute der einzige praktikable Anwendungsfall von Lateinkenntnissen: Inschriften übersetzen (hier: irgendwas mit Jungfrauen und Senat)

Foto: Shutterstock

Es ist ein bisschen verrückt: Da draußen sind der EU-Binnenmarkt, die globalisierte Welt und die (jedenfalls in anderen Ländern) rasend voranschreitende Digitalisierung. In der Schule wollen wir unsere Kinder fit machen für diese Anforderungen. Stattdessen bringen wir ihnen immer noch die Sprache Kleinbonums, Laudanums und Babaorums bei. Tausende Sechstklässler und ihre Familien stehen dieser Tage wieder vor der Wahl, ob sie lieber Französisch oder lieber Latein lernen wollen. Man könnte sagen: Die Beschäftigung mit einer Sprache, in der man nicht mal Pizza bestellen kann, ist immerhin keine Verpflichtung. Jeder darf das selbst entscheiden. Aber so einfach ist es nicht.

Denn in den Lateinunterricht steckt der Staat Ressourcen. Unser Geld, und die kostbare Zeit unserer Kinder. Beispiel? Überall in Nordrhein-Westfalen fehlen Lehrer, auch an Gymnasien und Gesamtschulen. Händeringend versucht die Landesregierung, diese offenen Stellen zu besetzen. Gleichzeitig beschäftigt NRW knapp 4000 Lehrkräfte für Latein. Eine Sprache wohlgemerkt, deren einziger Anwendungsfall für die meisten Menschen das Übersetzen von Inschriften an Klosterportalen ist. Jeder dieser Lehrer hat übrigens noch ein zweites Fach studiert. Was könnte man, rein theoretisch, an Kapazitäten freisetzen, wenn man den Lateinunterricht einfach auslaufen ließe und diese 4000 Pädagogen bäte, künftig in ihrem Zweitfach die doppelte Stundenzahl zu unterrichten?

Und was könnten unsere Kinder, rein theoretisch, stattdessen alles lernen? Mehr Informatik, mehr Naturwissenschaften. Nicht zuletzt: mehr lebende Sprachen. Französisch natürlich, Italienisch, vielleicht Spanisch oder gar Mandarin. Immer wieder gibt es ja Diskussionen, was eigentlich dringend auf den Stundenplan deutscher Schulen gehörte. Dann kommt normalerweise das Gegenargument: Aber was in aller Welt sollen wir dann weglassen? Mathe etwa, oder Deutsch? Nun, wir hätten da eine Idee.

Natürlich kommen jetzt die alten Lateiner um die Humanisten-Ecke und erinnern an die vielen Vorteile, die das Übersetzen von „De bello Gallico“ fürs Leben bringt. Leider sind die meisten Quatsch. Dass es Lateinern später leichter fällt, andere Sprachen zu lernen, ist wissenschaftlich widerlegt. Die Bedeutung Roms für die europäische Kultur kann man ganz hervorragend im Fach Geschichte vermitteln. Selbst fürs spätere Studium ist das Latinum mittlerweile verblüffend egal; selbst in der Humanmedizin wird es nicht mehr verlangt.

Sollten Kinder nun also überhaupt kein Latein mehr lernen dürfen? Weit gefehlt: Sie dürfen ja auch Cello lernen, Querflöte oder Ballett. In ihrer Freizeit. Wenn ihre Eltern dafür bezahlen. Nur der Staat möge sie bitte mit der toten Sprache verschonen. Und stattdessen damit anfangen, ihnen Dinge beizubringen, die sie später wirklich brauchen. Wie heißt es so schön?

Non scholae, sed vitae discimus.

Pro: Latein ist die Muttersprache Europas!

Ein anderer Autor ist komplett gegenteiliger Meinung. Er findet, dass nur wenige Menschen, die in ihrer Schulzeit Latein gelernt haben, das als verlorene Zeit empfinden. Viel spricht für ein Studium des Lateinischen. Seinen Text können Sie hier lesen.

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