Heimplatz mit Haustier in Essen „Ohne meinen Hund wäre ich nirgendwo hingegangen“

Essen · Es gibt nur wenige Seniorenheime, in denen Hunde erlaubt sind. Das führt dazu, dass viele Menschen sich von ihren Tieren trennen müssen. Grausam ist das, findet Dieter Ochel, der in Essen einen Bauernhof in eine Wohnanlage für ältere Menschen und ihre Haustiere verwandelt hat. Ein Besuch.

Großes Glück: Karin Lewer-Spieker mit ihrer Hündin Kira in ihrer Wohnung auf dem Schürmannhof in Essen.

Großes Glück: Karin Lewer-Spieker mit ihrer Hündin Kira in ihrer Wohnung auf dem Schürmannhof in Essen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Jule steht neben der Couch und guckt ein bisschen angestrengt. Die betagte Dackeldame hatte vor ein paar Tagen die Ärztin da, das hintere Beinchen war ganz schwach und wackelig. „Es geht dem Julchen jetzt wieder besser“, sagt Ingeborg Kretschmer. „Und fressen tut sie noch gut.“ Die 73-Jährige und ihr Rauhaardackel leben nun seit vier Jahren hier, auf dem Schürmannhof in Essen. Nach dem Tod ihres Mannes hat Ingeborg Kretschmer auf dem restaurierten Bauernhof ein neues Zuhause gefunden, sie hat eine kleine Wohnung im Erdgeschoss. Ein Umzug in ein Seniorenheim, in das sie Julchen nicht mitnehmen kann, stand nie zur Debatte. „Ich habe sie vor 17 Jahren als Welpe bekommen“, sagt sie. „Ohne meinen Hund wäre ich nirgendwo hingegangen.“ Julchen guckt. Und wackelt mit dem Schwanz.

In dem denkmalgeschützten Bauernhaus aus dem Jahr 1810 in Essen-Bergerhausen gibt es 14 Wohnungen für Senioren – und für ihre Tiere. Zurzeit leben vier Hunde mit auf dem Hof. Im ehemaligen Kuhstall knistert im Winter das Feuer im Kamin, auf dem Heuboden ist heute eine Bibliothek. Und gegenüber in der Scheune werden am Wochenende oft Hochzeiten gefeiert. „Unsere Senioren sind häufig auch eingeladen“, sagt Dieter Ochel, der den alten Hof im Jahr 2004 von der Stadt Essen gekauft und aufwendig umgebaut hat. Ochel ist Ingenieur, 78 Jahre alt, und arbeitet täglich noch zehn Stunden in seiner Firma und auf dem Schürmannhof. Er hatte sein Leben lang Tiere. „Ich finde es grausam, wenn ein Mensch ins Heim muss und seinen Hund dann im Tierheim abgeben muss“, sagt er. Ochel hat seine Vision von einem glücklichen Leben im Alter mit dem Umbau des Bauernhofes verwirklicht. Nach fast vier Jahren Bauzeit zogen die ersten Mieter ein. Bis heute gibt es keinen Leerstand. Wer dort eine Wohnung bekommen hat, der bleibt.

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Foto: dpa/Oliver Dietze

Etwa 30 Millionen Haustiere leben in deutschen Haushalten, doch nur in wenigen Seniorenheimen oder Unterkünften für betreutes Wohnen sind Hunde oder Katzen erlaubt. Jedes Pflegeheim oder dessen sozialer Träger regelt eigenständig, ob dort Haustiere erlaubt sind oder nicht. Maria Sievers vom Pflegeschutzbund BIVA sagt: „Die positive Wirkung von Haustieren ist allgemein bekannt und auch wissenschaftlich belegt. Bei älteren Tierfreunden sind sie beliebt, weil sie beruhigend, ja sogar beglückend wirken, und Einsamkeit verhindern können.“ Immer mehr Pflegeeinrichtungen erkennen das und bieten etwa tiergestützte Therapien an, zum Beispiel in der Demenz­behandlung.

 Ingeborg Kretschmer mit Dackeldame Julchen.

Ingeborg Kretschmer mit Dackeldame Julchen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Karin Lewer-Spieker ist mit zwei Border-Collies im Schürmannhof eingezogen. Nachdem beide krank wurden und eingeschläfert werden mussten, hat die 70-Jährige nun die junge Hündin Kira aufgenommen, die sie ganz schön auf Trab hält. „Ich marschiere morgens früh um 6 mit ihr durch den Wald“, sagt sie. Mittags sitzt Karin Lewer-Spieker oft auf der Bank vor Ingeborg Kretschmers Wohnung, die zum Plaudern dann am Fenster sitzt. Dackelhündin Jule hat keine Lust mehr auf Spielen und Kira rempelt sie vor Freude immer wieder um. Karin Lewer-Spieker hatte früher eine Wohnung mit einem 800 Quadratmeter großen Garten. „Aber das wurde mir alles zu viel, es war eine Belastung für mich“, sagt sie. Als im Schürmannhof eine Wohnung frei wurde, sagte sie zu, ohne die Wohnung gesehen zu haben. „Ich kannte das Gebäude ja von außen und war schon Mitglied im Verein.“

Dieter Ochel hat den Verein Schürmannhof gegründet. Er finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. „Die Mitglieder unterstützen die Idee, den Allgemeinzustand von alten und kranken Menschen durch das Zusammenleben mit ihren eigenen Tieren und den Tieren auf dem Hof zu verbessern“, sagt Ochel. Das Wohnprojekt wird zudem durch die Einnahmen finanziert, die durch die Hochzeitsfeiern reinkommen. Alle Bewohner zahlen zudem eine Miete. Für abends und nachts muss jeder Mieter zu seiner eigenen Sicherheit einen Hausnotruf installieren. Ein Pflegedienst hat sämtliche Schlüssel zum Haus. Im Speisesaal treffen sich die Bewohner mittags – wer mag, kann aber auch allein essen. „Es gibt hier keine Zwänge“, sagt Ochel. Das Essen wird von einem großen Seniorenheim in der Nähe angeliefert.

Dieter Ochel betreibt den Schürmannhof in Essen, den er jahrelang umgebaut hat.

Dieter Ochel betreibt den Schürmannhof in Essen, den er jahrelang umgebaut hat.

Foto: Bretz, Andreas (abr)
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Foto: dpa-tmn/Franziska Gabbert

Draußen im Garten baumelt ein Eichhörnchen im Kastanienbaum und saust dann über die Wiese davon. In einem kleinen Bach schnattern ein paar Enten, auch eine Gans lebt auf dem Hof und einige Hühner. Weil einer der Hunde die Enten gejagt hat und eine vor Schreck tot umgefallen ist, hat Ochel eine Leinenpflicht auf dem Gelände verordnet. Leben und leben lassen. So ist das hier auf dem Schürmannhof. „Die Menschen sollen hier alt werden können und nicht noch einmal umziehen müssen“, sagt Ochel.

Ingeborg Kretschmer weiß, dass sie ihr altes Julchen wohl in nicht allzu ferner Zukunft gehen lassen muss. Wenn die Tierärztin kommt, so wie letzte Woche, dann hat sie immer Angst vor diesem Moment. Aber bis es soweit ist, bleiben die beiden zusammen.

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