Faustschläge statt Handschlag Aggressive Nachbarn - Streit immer häufiger vor Gericht

Exklusiv | Düsseldorf · Konflikte unter Nachbarn landen immer öfter nicht mehr beim Schiedsmann, sondern direkt vor Gericht. Die Zahl der Schlichtungsverfahren geht seit Jahren zurück, wie eine Auswertung des NRW-Justizministeriums ergeben hat.

Schiedssprüche: Raue Sitten am Gartenzaun
Foto: dpa-tmn/Jens Schierenbeck

Als Andreas Klimaschka sich entschließt, Schiedsperson zu werden, enden Streitigkeiten unter Nachbarn in der Regel noch meist glimpflich. „Per Handschlag“, wie Klimaschka sagt. Heutzutage, 13 Jahre später, sei das nicht mehr so. So landeten kleinere Strafsachen wie Beleidigungen und Handgreiflichkeiten immer häufiger direkt beim Staatsanwalt, weil die Konflikte heftiger geworden seien. „Die Aggressivität unter den Leuten ist deutlich größer geworden“, sagt der 61-Jährige. Diese gesellschaftliche Entwicklung führe zu einem Rückgang an Schiedssprüchen. „Man ist nicht mehr fähig, miteinander vernünftig zu reden. Man will es offenbar auch nicht mehr“, sagt der Moerser.

Tatsächlich ist die Zahl der Schlichtungsverfahren seit Jahren landesweit rückläufig, wie eine Abfrage unserer Redaktion beim NRW-Justizministerium ergeben hat. Wurden demnach im Jahr 2014 noch 4338 Anträge auf eine Schlichtungsverhandlung (2182 endeten mit einem Vergleich) gestellt, waren es im Jahr 2017 nur noch 3993 (2182 Vergleiche). Ähnlich verhält es sich bei den Strafsachen, deren Zahl von 1198 im Jahr 2014 auf 895 Anträge im Jahr 2017 zurückgingen.

 Schiedsmann Andreas Klimaschka in seinem Wohnzimmer in Moers.

Schiedsmann Andreas Klimaschka in seinem Wohnzimmer in Moers.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

In NRW gibt es rund 1100 ehrenamtliche Schiedsleute. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Gerichte zu entlasten, indem sie Bagatellen im Vorfeld schlichten. Schiedsleute werden vom Gemeinderat für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Nach Angaben des Justizministeriums werden sie einerseits bei sogenannten Privatklagesachen eingeschaltet, bei denen die Staatsanwaltschaft nur bei öffentlichem Interesse einer Strafverfolgung nachgeht. Dazu gehören Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, leichte Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung, Bedrohung sowie Sachbeschädigung.

Zudem ist für eine Reihe von bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren vorgeschrieben. Bei diesen Streitigkeiten ist laut Justizministerium eine Klage nur dann zulässig, wenn vorher versucht worden ist, in einem solchen Verfahren den Streit einvernehmlich beizulegen. Kommt es nicht zur Schlichtung, kann die Sache vor Gericht kommen. Dort versucht der Richter, die Angelegenheit dann meist mit einem Vergleich aus der Welt zu schaffen. „Die Richter haben allerdings nicht die Kapazitäten dafür, sich um Äste zu kümmern, die auf ein anderes Grundstück ragen“, sagt Klimaschka.

In der Regel werden Schiedsleute beim typischen Nachbarschaftsstreit benötigt: Wenn die Hecke zu hoch ist, der Gartenzwerg auf dem Grundstück nebenan den Mittelfinger zeigt, der Grillgeruch stört oder die Musik zu laut aufgedreht ist. „Früher hat man sich bei solchen Streitigkeiten an der Rasenkante unterhalten, vielleicht ein Fläschchen Bier miteinander getrunken“, sagt der 61-Jährige. Diese Zeiten seien aber schon länger vorbei. „Und diese Entwicklung geht quer durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen.“

Der Moerser berät seine Kunden bei sich zu Hause am Esszimmertisch. Er ist Schlichter und kein Richter. Darauf legt er Wert. Denn das würden manche schon einmal verwechseln. Dabei hat sein Schiedsspruch weitreichende Folgen. „Der hat 30 Jahre lang Gültigkeit. Es kann nicht nachverhandelt werden“, betont der Schiedsmann. Das sei vielen jedoch nicht bewusst.

Es gebe aber auch Streitparteien, die alle paar Jahre wegen einer neuen Sache bei ihm auf der Matte stünden. „Erst ist es die Hecke, dann die Mülltonne, und dann ist es wieder ein Gewächs, das stört“, sagt Klimaschka. Auch Kegelclubs und Eigentümergemeinschaften wenden sich Hilfe suchend an ihn. Wichtig ist ihm, dass die Schlichtungsgespräche in einem normalen Ton ablaufen. Wenn es mit Beleidigungen losgeht, bricht er sofort ab.

Klimaschka freut sich über jeden erzielten Schiedsspruch – besonders ein Fall ist ihm aber in Erinnerung geblieben. Dabei konnte er zwei ältere Männer miteinander versöhnen, die zuvor 15 Jahre lang nicht miteinander gesprochen haben. „Bei mir am Tisch gaben sie sich wieder die Hand – mit Tränen in den Augen.“

(csh)
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