Schaulustige an Unfallorten in NRW Genug gegafft

Düsseldorf · Immer wieder stören Schaulustige die Arbeit von Feuerwehr oder Rettungskräften. Zuletzt beobachteten Hunderte Menschen in Duisburg-Hochfeld einen Wohnungsbrand. Polizei und Bundesrat wollen härter durchgreifen.

Duisburg-Hochfeld: Gaffer bei Straßenbahn-Unfall
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Gaffer bei Unfall mit Straßenbahn in Duisburg

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Foto: Christoph Reichwein

Es gibt Eltern, die zuerst von Unfallbildern aus dem Internet vom Tod ihrer beiden Söhne erfahren. Schaulustige, die den Rettungskräften die Brötchen wegessen, die eine Bäckerei nebenan zur Stärkung vorbeigebracht hat. Menschen, die Feuerwehrleute anblaffen, weil sie vors Smartphone und damit ins Bild gelaufen sind. All das gab es schon in Deutschland.

Immer wieder stören sogenannte Gaffer die Rettungsdienste oder Feuerwehrleute bei ihrer oft lebensrettenden Arbeit. Oder stellen bloßstellende Bilder von Unfällen mit Verletzten und Toten ungefragt ins Netz. Erst vergangene Woche sorgte ein Fall in Duisburg für Aufsehen, als die Feuerwehr wegen rund 300 Gaffern die Polizei hinzurufen musste — um in Ruhe arbeiten zu können.

Der Einsatzleiter der Feuerwehr berichtet hier von seinen Erfahrungen am Einsatzort ("300 Schaulustige sind auch für uns eine völlig neue Dimension.").

"Man guckt quasi in den Abgrund, ohne selbst in Gefahr zu sein"

Warum überhaupt bleiben immer wieder Dutzende Menschen an Unfallstellen stehen? "Die Grundursache ist schlicht die menschliche Neugier, das gehört einfach zum Menschen dazu", sagt Adolf Gallwitz, Professor für Polizei-Psychologie. Ein weiterer Grund sei eine gewisse "Ekelgier", erklärt er und meint das Bedürfnis, sich schlimme Situationen anzuschauen — in der Hoffnung, dass es einem selbst niemals passiert. "Man guckt quasi in den Abgrund, ohne selbst in Gefahr zu sein", sagt er. Als neu will Gallwitz das Phänomen aber nicht bezeichnen. Er erinnert an ein schwere Busunglück in Bad Dürrheim 1994. Dort kamen so viele Schaulustige zusammen, dass sogar Wurstbuden aufgemacht wurden.

Geht es nach dem Bundesrat, sollen diese sogenannten Gaffer härter bestraft werden können. Die Länderkammer hat schon vor einem Jahr eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, mit der Menschen, die Rettungskräfte bei der Arbeit behindern, mit Freiheitsentzug bestraft werden können. Das geht bisher nur, wenn jemand die Einsatzkräfte durch Gewalt an der Arbeit hindert. Mit dem Gesetz könnten dann auch jene bestraft werden, die zwar keine Gewalt ausüben, aber zum Beispiel im Weg stehen.

Auch wer derzeit Bilder von Unfällen oder gar von verunglückten Personen macht und sie ins Netz stellt, wird selten belangt. Denn es ist schwer, den Urheber der Bilder zu finden. Zudem haben Tote derzeit noch kein Recht auf Privatsphäre. Auch das will der Bundesrat ändern. Das Gesetz liegt derzeit beim Bundestag und muss dort beraten werden.

"Unsere ganze Aufmerksamkeit gehört zunächst einmal den Opfern"

Für Arnold Plickert, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, ist solch ein Gesetz überfällig. "Bei jedem Einsatz gibt es inzwischen mindestens einen, der sein Handy mitlaufen lässt", sagt er. Er fordert einen weiteren Schritt: Die Kameras in den Polizeiautos, die bisher nur bei akuten Bedrohungslagen eingesetzt werden dürfen, sollten künftig auch zur Beweissicherung bei Gaffern eingeschaltet werden dürfen.

Denn selbst wenn es das verschärfte Gesetz gäbe, ist es laut Plickert für die Polizei schwierig, Gaffern die Behinderung der Einsatzkräfte nachzuweisen. "Unsere ganze Aufmerksamkeit gehört zunächst einmal den Opfern", erklärt Plickert. Erst in einem zweiten Schritt könne man sich um die Gaffer kümmern. Nur dann sei vieles schon vorbei.

Mobile Sichtschutzwände in NRW

Durch Smartphones habe das Phänomen laut Gallwitz eine neue Dimension bekommen. Man wolle sagen können: "Da bin ich dabei gewesen" — selbst wenn es ein schlimmer Unfall war. Auch deswegen hat das Land NRW vor zwei Jahren als erstes Bundesland mobile Sichtschutzwände angeschafft.

Die Wände sind eine Art Baustellenzaun und mit grüner Folie bespannt. Sie können bei Bedarf von der Polizei bei Straßen.NRW angefordert werden. Laut dem Landesstraßenbetrieb lohnt sich der Einsatz: Staus auf der Gegenfahrbahn lösen sich schneller auf, die Zahl der Auffahrunfälle verringert sich. Denn mit den Wänden gibt es zumindest auf der Autobahn nichts mehr zu sehen.

Verhindern kann man das Gaffen an anderer Stelle wohl eher nicht. "Vielmehr muss man sich an den Umgang mit Schaulustigen gewöhnen", sagt Gallwitz. Die Rettungskräfte bräuchten eigene Teams, die die Gaffer aus dem Weg räumen und Bußgelder verhängen können. Er hofft auf einen Lerneffekt. Doch bis sich so etwas wirklich etabliert hat, sagt er, könne es Jahre dauern.

(ham/rei)
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