Oberstes NRW-Gericht Stadt Bochum muss Sami A. nach Deutschland zurückholen

Münster · Das Oberverwaltungsgericht Münster hat entschieden, dass der abgeschobene Gefährder Sami A. aus Tunesien zurückgeholt werden muss. SPD und Grüne fordern den Rücktritt von Joachim Stamp.

 Das Gebäude des Oberverwaltungsgerichts in Münster (Archiv).

Das Gebäude des Oberverwaltungsgerichts in Münster (Archiv).

Foto: dpa/Bernd Thissen

Die Stadt Bochum muss den rechtswidrig abgeschobenen Tunesier Sami A. zurück nach Deutschland holen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Mittwoch entschieden und damit das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt. Ein Sprecher der Stadt Bochum kündigte an, dass die Ausländerbehörde das Urteil umgehend umsetzen und auf Rechtsmittel verzichten werde.

A. hält sich in Tunesien auf, wo ein Verfahren wegen Terrorismusverdachts gegen ihn läuft. Er ist zwar frei, aber die Behörden haben ihm den Reisepass abgenommen. Die Stadt Bochum werde A. eine Erlaubnis ausstellen, nach Deutschland einzureisen und das Auswärtige Amt bitten, ein Visum für ihn auszustellen, sagte der Sprecher.

Der als Gefährder eingestufte tunesische Staatsbürger, der mutmaßlich Leibwächter des getöteten Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden war, wurde am 13. Juli mit einer Chartermaschine nach Tunesien gebracht. Bevor A. in Abschiebehaft genommen wurde, lebte er mit seiner Familie in Bochum. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte die Abschiebung als „grob rechtswidrig“ eingestuft, weil A. in Tunesien Folter drohen könne.

Nordrhein-Westfalens oberstes Verwaltungsgericht in Münster bestätigte nun die Rechtswidrigkeit der Abschiebung. Diese sei „offensichtlich“, heißt es. Am 12. Juli hatte das Gericht in Gelsenkirchen die Abschiebung verboten; der Beschluss erreichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) aber erst am 13. Juli um 8.14 Uhr. Zu dieser Zeit saß A. bereits im Flugzeug. Gleichwohl hätte die Abschiebung noch abgebrochen werden können, entschied das OVG. Nicht der Beginn, sondern die Vollendung der Abschiebung sei maßgeblich. Auch ein etwaiges Einreiseverbot nach Deutschland, das üblicherweise mit der Abschiebung ergeht, stünde einer Rückkehr A.s nicht entgegen, da die Abschiebung evident rechtswidrig sei. Das Bamf hatte ein Abschiebeverbot nach Tunesien im Juni widerrufen, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen setzte das Verbot wieder in Kraft.

Attacke gegen Integrationsministerium

Das Gericht in Münster greift das nordrhein-westfälische Integrationsministerium von Joachim Stamp (FDP) scharf an. Trotz Nachfragen sei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen der Zeitpunkt der geplanten Abschiebung nicht mitgeteilt worden. In einer Mitteilung des OVG heißt es: „Im Übrigen hatte das Ministerium gegenüber der Ausländerbehörde die Anweisung gegeben, weder den Betroffenen Sami A. noch das Gericht über das Datum der Rückführung zu informieren.“ Wenn das Gericht in Gelsenkirchen den Termin am 13. Juli gekannt hätte, hätte es einen sofortigen Beschluss erlassen, der die Abschiebung verboten hätte. Das Bamf hatte das Gericht nur über die Stornierung eines Flugs für den 12. Juli informiert, nicht aber über den neuen Termin. So hätten die Richter „berechtigterweise angenommen, dass keine Notwendigkeit zu sofortigem Handeln besteht“, so das OVG.

Die Opposition im Landtag fordert daher von Integrationsminister Stamp persönliche Konsequenzen. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte: „Eine Regierung, die sich nicht an Recht und Gesetz hält, hat mehr als ihre moralische Autorität verloren.“ Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Engstfeld, sagte, Stamp müsse aus der politischen Verantwortung die er übernommen habe, die Konsequenzen ziehen: „Das kann nur der Rücktritt sein.“

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) kritisierte den Beschluss des OVG und fürchtet „Wasser auf die Mühlen der Extremen“. Reul sagte unserer Redaktion: „Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen.“ Er zweifle daran, dass dies hier der Fall sei: „Wenn die Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, ist das Wasser auf die Mühlen der Extremen.“

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, hat als Konsequenz gefordert, dass die Zuständigkeit für Rückführungen auf Bundesebene gebündelt werden. „Der Fall zeigt, dass die Abschiebung von ausreisepflichtigen Gefährden nicht nur konsequent, sondern auch penibel und rechtssicher erfolgen muss“, sagte Lischka unserer Redaktion. Damit sei der zuständige FDP-Minister Stamp offensichtlich überfordert gewesen. „Ich plädiere deshalb nochmals dafür, dass die Zuständigkeit für die Rückführung von Gefährdern künftig im Bundesinnenministerium gebündelt wird, um ein derartiges Durcheinander zwischen unterschiedlichsten Behörden zu vermeiden."

Die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts, Ricarda Brandts, macht der Politik schwere Vorwürfe. Durch das juristische Tauziehen im Fall Sami A. sei das Vertrauensverhältnis beschädigt worden. „Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet“, sagte sie. Brandts rate Richtern daher, sich auf Zusagen von Behörden vorerst nicht mehr in jedem Fall zu verlassen.

(RP)
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