Fachleute fordern mehr Hilfen Säuglingstod in NRW über Bundesschnitt

Berlin/Düsseldorf · Mehr als vier von 1000 Säuglingen erleben in Nordrhein-Westfalen den ersten Geburtstag nicht. Fachleute fordern mehr Hilfen für Mütter.

2014: So hoch ist die Säuglingssterblichkeit in rheinischen Städten
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Foto: dpa, Arno Burgi

In Nordrhein-Westfalen sterben überdurchschnittlich viele Babys vor ihrem ersten Geburtstag. Wie aus dem noch unveröffentlichten Gesundheitsreport 2014 der AOK Rheinland/Hamburg hervorgeht, der unserer Redaktion vorliegt, beträgt die Rate der Säuglingssterblichkeit in NRW 4,1 pro 1000 neugeborener Kinder. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt sind es 3,4 pro 1000 Geburten. Damit liegt NRW vor Bremen und Niedersachsen auf dem drittletzten Rang.

Der regionale AOK-Gesundheitsreport erscheint einmal pro Jahr. Er untersucht unter anderem Gesundheitsverhalten, Häufigkeit von bestimmten Krankheitsfällen und Arzneimittelkonsum der Bevölkerung sowie die Arztdichte im Land. Immer wieder gibt es überraschende Resultate. Für den Report hat die AOK Daten bis 2012 ausgewertet.

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Foto: dpa, Fotostudio Sessner, Dachau

Säuglingssterblichkeit besonders hoch in Gladbach, Krefeld, Duisburg

Spitzenreiter bei der Säuglingssterblichkeit im Rheinland sind die Städte Mönchengladbach, Duisburg und Krefeld. Unter Experten ist umstritten, ob die Ursache für die hohe Säuglingssterblichkeit in NRW eher bei den Kliniken liegt oder vor allem an sozialen Problemen, die sich nach einer Entlassung von Mutter und Kind aus dem Krankenhaus niederschlagen.

"Die gleichbleibend hohe Säuglingssterblichkeit sehe ich mit großer Sorge", sagt der Chef der AOK Rheinland/Hamburg, Günter Wältermann. Er fordert eine bessere Versorgung von Frühchen. "Bei einer Frühgeburt bieten Perinatalzentren die bestmögliche Betreuung und Versorgung für Mutter und Kind." Wältermann setzt sich für eine "weitere Konzentration der Frühgeborenenversorgung in spezialisierten Zentren" ein. Rechtlich ist derzeit umstritten, ob Kliniken künftig Mindestzahlen pro Jahr nachweisen müssen, um Frühchen behandeln zu dürfen. Statistisch nachgewiesen ist, dass solche Zentren mit großer Routine bei der Versorgung von Frühgeborenen auch geringere Sterberaten haben. Wältermann sagte, in manchen Kliniken müsse auch die innere Organisation verbessert werden, um die Säuglingssterblichkeit zu senken.

Oft soziale Probleme als Ursache

Die betroffenen Städte mit hohen Sterblichkeitsraten bei Säuglingen sehen insbesondere soziale Probleme als Ursache. Mütter aus sozialen Brennpunkten würden häufig keine professionelle Vorsorge und keine Geburtsvorbereitungskurse in Anspruch nehmen, sagt Dieter Weber, Leiter des Duisburger Gesundheitsamtes. Auch der Versicherungsschutz sei ein Problem. Dem Gesundheitsamt seien beispielsweise rund 4000 Kinder aus Zuwandererfamilien ohne Krankenversicherung bekannt. Das Gesundheitsamt in Mönchengladbach nennt mehrere mögliche Ursachen.

"Eine Großstadt hat ein großes Einzugsgebiet", sagt ein Stadtsprecher. Auch der Anteil der Menschen mit sozialen Problemen sei höher. Er verwies zugleich darauf, dass sich die Zahl der toten Säuglinge schon reduziert habe: 2013 habe die Quote bei 4,4 pro 1000 Geburten gelegen.

Hermann Josef Kahl, Sprecher des NRW-Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, sieht im sozialen Hintergrund der Familien nur einen Nebenaspekt für die hohen NRW-Werte. Für ihn ist vielmehr die medizinische Versorgung ausschlaggebend. So müssten Risikoschwangere möglichst durch eine Spezialklinik überwacht werden. Zudem müsse eine flächendeckende Versorgung mit Exzellenzkliniken gewährleistet sein.

Weitere Daten zum Gesundheitszustand der Deutschen

Durch die weiteren Daten aus dem Gesundheitsreport ergibt sich ein buntes Bild, was Gesundheitsversorgung und Gesundheitszustand der Bevölkerung in NRW betrifft. So leben die Menschen in Bonn am längsten, Frauen werden fast 84 Jahre alt, Männer knapp 80. In Duisburg ist die Lebenserwartung am niedrigsten: sie beträgt 81 Jahre für Frauen und 76 Jahre für Männer. Eine Krebsfrüherkennung nimmt knapp jede zweite Frau, aber nur etwa jeder sechste Mann in Anspruch. Die meisten Kinder bekommen die Düsseldorferinnen, die wenigsten werden im Kreis Wesel, in Solingen und in Remscheid geboren.

Die Zahl der Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingewiesen werden, ist seit Jahren hoch. 2012 hat sie einen neuen Rekord erreicht: 22 674 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren mussten nach einem Trinkgelage stationär behandelt werden.

Krankmeldungen bei der Arbeit geben am häufigsten die Wuppertaler ab, gefolgt von den Remscheidern und den Solingern. Die niedrigsten Zahlen gibt es in Köln und Bonn. Auf Branchen verteilt, fallen die meisten Krankschreibungen in Gießereien, Call-Centern sowie in Alten- und Pflegeheimen an.

(qua)
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