RS-Virus bei Säuglingen und Kleinkindern Aufnahmestopp in vielen Kinderkliniken - Chefärzte schlagen Alarm

Düsseldorf · Weil sich das sogenannte RS-Virus stark unter Kleinkindern verbreitet, haben viele Krankenhäuser keine Kapazitäten mehr. Die Mediziner befürchten, dass sich die Lage weiter verschärft und fordern eine sofortige Reaktion der Politik.

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Foto: dpa/Friso Gentsch

Die Krise in den Kinderkliniken weitet sich aus. Die Chefärztinnen und Chefärzte der deutschen Kliniken für Kinder und Jugendmedizin warnen vor einer dramatischen Überbelastung der Krankenhäuser in den nächsten Monaten. Schon vor Beginn der Wintersaison drohe demnach die Situation aus dem Ruder zu laufen. Das zeigt eine deutschlandweite Umfrage des Verbands leitender Kinder und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD) an 200 Kinderkliniken. 99 Prozent der befragten Mediziner befürchten, dass sich der Bettenmangel im Winter verschärft. „So eine hohe Zahl an Rückmeldungen hatten wir noch nie“, sagt Wolfgang Kölfen, Generalsekretär des VLKKD, „das zeigt die Dringlichkeit des Problems.“

 Schuld an der kritischen Lage ist das sogenannte RS-Virus, das neben anderen Virusinfekten zu schweren Erkrankungen bei Kindern führen kann. „Corona hat unsere Kinder nicht wirklich krank gemacht, aber mit dem RS-Virus wird es jetzt richtig ernst. Dieses Virus versteht keinen Spaß speziell mit jungen Kindern. Hochansteckend, schnell und teilweise sehr aggressiv ist das Virus unterwegs“, sagt Kölfen. „Wir müssen all unsere medizinischen Ressourcen bereithalten, um diese anrollende Welle in den Griff zu bekommen.“ Schon jetzt berichten laut VLKKD-Präsident Andreas Trotter 78 Prozent der Kliniken von Versorgungsengpässen, die zu einem Aufnahmestopp von Kindern geführt haben. Erkrankte könnten immer häufiger in der wohnortnahen Kinderklinik nur notfallmäßig versorgt werden und müssten dann in eine andere Klinik verlegt werden. „Kilometerlange Reisen mit einem an Luftnot erkrankten Säugling sind inzwischen in Deutschland kein Einzelfall mehr“, sagt Trotter. Das sei ein „unerhörter Zustand“, der unbedingt abgestellt werden müsse.

 Das RS-Virus, kurz für das Respiratorische Synzytial-Virus, verursacht eine Atemwegserkrankung, von der hauptsächlich Kleinkinder und Säuglinge betroffen sind. „Je jünger der Patient, desto gefährlicher die Erkrankung“, sagt Kölfen. Vor allem in den Wintermonaten verbreite sich der hochaggressive Erreger, das Schlimmste stehe damit möglicherweise noch bevor. Auch eine höhere Zahl von Todesfällen unter infizierten Neugeborenen ist nach Ansicht vieler Mediziner möglich. Dass sich so viele Jüngere anstecken, liege daran, dass das Immunsystem der Kinder wegen der Kontaktbeschränkungen in der Pandemie in keinem guten Trainingszustand sei, erklärt Kölfen. Jetzt fehle das scharfgeschaltete Abwehrsystem gegen die Viren. „Die Fallzahlen liegen jetzt schon auf einem Niveau, wie wir sie in dieser Jahreszeit überhaupt nicht kennen“, sagt der Mediziner. Als Beispiel nennt er eine große Kinderklinik, die in den vergangenen fünf Jahren keinen einzigen RSV-Fall hatte, aktuell aber schon 90 erkrankte Kinder versorgen musste.

 Problematisch in diesem Zusammenhang sind aus Sicht des VLKKD die Pflegepersonaluntergrenzen. Damit soll sichergestellt werden, dass für eine bestimmte Anzahl an Patienten eine feste Zahl von Pflegekräften rund um die Uhr zur Verfügung steht. Andernfalls muss das Krankenhaus Betten sperren, oder es drohen hohe Strafzahlungen. Die eigentlich gute Regelung, die Personal entlasten soll, sei in der jetzigen Situation brandgefährlich und führe zu einer Verschlechterung der Versorgungslage. Nur noch 25 Prozent der Kinderkliniken würden aktuell die Verordnung einhalten. Der weit größere Teil versorge bereits mehr Kinder als sie eigentlich dürften. Dies führe aber zu einer zusätzlichen Überlastung durch noch mehr Patienten, die aus den sich konform verhaltenden Kinderkliniken zuverlegt würden. „Erhöht sich der Anteil der Krankenhäuser, die sich an die Verordnung halten, kommt das System zum Kollaps“, sagt Kölfen.

Der VLKKD fordert deshalb von der Politik, die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung für einen befristeten Zeitraum auszusetzen. Dies wurde auch in der Hochzeit der Pandemie so gehandhabt. Potenzielle Strafzahlungen dürfen kein Thema sein. „Was wir den Erwachsenen in der Coronapandemie mit der Aussetzung der Regelung gewährt haben, muss jetzt auch selbstverständlich für unsere Kinder getan werden“,  sagt Kölfen. Für die kommende Wintersaison müsse sofort eine zeitnahe Regelung gefunden werden, betont auch VLKKD-Präsident Trotter. Eine entsprechende Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium blieb bislang unbeantwortet. „Kranke Kinder abzuweisen und ihnen und ihren Eltern eine zum Teil gefährliche Odyssee zuzumuten, ist nicht nur unzumutbar für das Kind und seine Eltern“, sagt Trotter, „es kann im Einzelfall auch lebensbedrohlich werden.“    

(jis)
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