Serie Unser Rhein (Folge 19) Rees trotzt Rhein und Regimentern

Rees · Der Rhein ist bei Rees etwa 300 Meter breit. Er hätte die Stadt weggespült, wenn die Menschen ihn nicht umgeleitet hätten.

 Die Reeser Promenade mit Resten der Stadtmauer lässt die alte Festungsstruktur der Stadt Rees noch erkennen.

Die Reeser Promenade mit Resten der Stadtmauer lässt die alte Festungsstruktur der Stadt Rees noch erkennen.

Foto: Stephan Kaluza/Rheinprojekt-Edition

Die Führung durch die älteste Stadt am Unteren Niederrhein beginnt mit einer ernüchternden Erkenntnis: Rees ist auf Dreck gebaut. Genauer gesagt: auf einem Erdhügel, den der Rhein vor langer Zeit bei Stromkilometer 837 aufgeworfen hat. Darauf wuchs Ried, schlecht geschrieben: "Rys", woraus sich der Name Rees ergab.

 Jutta Groot-Severt erläutert bei Führungen den Aufbau der früheren Festung.

Jutta Groot-Severt erläutert bei Führungen den Aufbau der früheren Festung.

Foto: Scholten

Der Kölner Erzbischof erhob die kleine Siedlung am 14. Juli 1228 offiziell zur Stadt. Was die damals 600 Reeser und in den folgenden sieben Jahrhunderten die wechselnden Besatzer aus Holland, Spanien und Frankreich aufbauten, machten die Briten am 16. Februar 1945 wieder platt. Das schöne gotische Rathaus von 1450 und die Geschäftshäuser am alten Marktplatz: zerstört im Bombenhagel. Die alte Pfarrkirche St. Mariä Himmelfahrt: gesprengt, um freie Fahrt für Feldmarschall Bernard Montgomerys Kriegsgerät zu schaffen, das auf Höhe Rees über die größte militärische Rheinbrücke des Zweiten Weltkriegs donnerte.

Jutta Groot-Severt packt die eingeschweißten Bilder der Trümmerlandschaft schnell wieder weg: "Unsere Tour soll doch Spaß machen", erklärt die Stadtführerin, die im Wechsel mit ihren Kollegen verschiedene Touren anbietet. Eine davon heißt "Reeser Stadtbefestigung und Unterwelt" und umfasst große Teile der Rheinpromenade, die schon immer den Naturgewalten ausgesetzt war.

Der Rhein ist bei Rees etwa 300 Meter breit. Er hätte die Stadt vielleicht längst weggespült, wenn die Menschen den Strom nicht ab 1671 mit viel Aufwand umgeleitet und robuste Bollwerke geschaffen hätten.

Die Maßnahmen dauern bis heute an. Direkt gegenüber von Rees entsteht für 50 Millionen Euro die Flutmulde, die große Mengen Hochwasser aufnehmen kann. Dass der Weltverband für Wassertransportwege kürzlich in den USA diesen Riesen-Bypass mit einem Preis geehrt hat, hebt Groot-Severt besonders stolz hervor.

1470 mussten kleine Bollwerke gegen Hochwasser und Eismassen genügen. So verbauten die Reeser im Sockel des Mühlenturms an der Rheinpromenade 200 Basaltblöcke, die aus der zerstörten Burg Aspel stammten. Um ein derart altes Bauwerk ranken sich natürlich Legenden: Der Müller verpfändete seine Tochter an einen Kaufmann, obwohl die Schöne den Knecht liebte. Es kam zum Zweikampf zwischen den Männern, beide stürzten vom Mühlenturm und starben. Bis heute spuken sie in gut erkennbarer Form im Mauerwerk.

Eine zweite Legende erzählt Groot-Severt auf dem nahen Rondell: Ein spanischer Hauptmann, der während des spanisch-niederländischen Krieges mit seinen Truppen Rees besetzte, wollte 1598 den Mut seiner Soldaten testen. Er streifte sich nachts ein Bärenfell über - und wurde von seinen eigenen Söldnern erschossen. Dass die Straße am Rondell deshalb "Am Bär" heißt, kann man glauben, muss man aber nicht. Denn als "Bär" bezeichnet man auch einen gemauerten Wehrdamm, wie er 2001 bei Deicharbeiten direkt an der Reeser Stadtmauer entdeckt wurde.

Die Holländer errichteten ihn zwischen 1616 und 1625, als sie Rees und die Garnisonsstadt Neu-Rees auf der linken Rheinseite mit Mauern, Türmen und Bastionen "uneinnehmbar" machen wollten. Doch schon 1672 marschierten die Franzosen unter Marschall Turenne ein. Grund genug, den Triumph in einem Kupferstich festzuhalten. Das Original hängt im Pariser Louvre, unter einem Dach mit der Mona Lisa, die Kopie hängt im Reeser Koenraad-Bosman-Museum. In dessen Keller sind die Kasematten zu besichtigen, tunnelartige gewölbte Gänge und Schießkammern.

Weiter geht die Tour über den jüdischen Friedhof. Er liegt weder innerhalb der Stadtmauern, was früher nicht gestattet war, noch außerhalb der Befestigung, was bei Hochwasser oder Belagerung den Friedhof preisgegeben hätte. Vielmehr liegt er auf der Stadtmauer, was eine historische Besonderheit darstellt.

Alle Stadttouren beginnen und enden vor dem Rathaus, mit Blick auf das Rheinhotel Dresen und den Rhinkieker. Die Bronzeskulptur des Bildhauers Dieter von Levetzow gedenkt der vielen Tagelöhner, die früher auf den Rhein blickten und auf Arbeit hofften. Weil Rees Stapelrecht hatte, mussten alle Rheinschiffe, die das Städtchen passierten, hier festmachen und ihre Waren drei Tage lang auf dem Marktplatz anbieten. Das Be- und Entladen erledigten starke Männer, die sich damals genauso am Rhein versammelten wie es noch heute die Rhinkieker tun: Reeser Rentner, die jedes Schiff begutachten und das Reeser Leben diskutieren.

(RP)
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