Ratinger Forum zur Amoktat von Hamburg „Das Waffenrecht ist schon streng genug“

Düsseldorf · Die Amoktat von Hamburg ist auch unter Jagd- und Sportschützen in Nordrhein-Westfalen Thema. Eine viel diskutierte Verschärfung des Waffenrechts lehnen viele aber ab. Sie hätte die Tat nicht verhindert, sagt etwa der Geschäftsführer vom Waffenforum NRW.

Hamburg: Schüsse bei Zeugen Jehovas - Fotos vom Polizeieinsatz
13 Bilder

Mehrere Tote und Verletzte nach Schüssen in Hamburg

13 Bilder
Foto: dpa/Jonas Walzberg

Nach der Amoktat in Hamburg läuft die Debatte über das Waffenrecht weiter. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will das Waffenrecht stärker verschärfen, als es ohnehin geplant war. Und die Bundestagsfraktion der Grünen fordert, psychologische Gutachten von allen Antragsstellern auf Waffenbesitz einzuholen – nicht nur wie bisher von unter 25-Jährigen. In NRW hat Innenminister Herbert Reul (CDU) angeregt, über das bestehende Waffenrecht zu diskutieren. Dabei soll es unter anderem darum gehen, ob die geltenden Regelungen hinsichtlich des Mitführens von Messern ausreichend sind.

Auch unter vielen Jagd- und Sportschützen in Nordrhein-Westfalen wird über die Hamburger Tat diskutiert, bei der ein 35-Jähriger am 9. März sieben Menschen und sich selbst in einem Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas in Hamburg erschossen hat. Neun weitere Menschen wurden schwer verletzt. Nach Angaben der Polizei nutzte der Täter eine halbautomatische Pistole, mit der er mehr als 130 Mal schoss. Die Waffe soll der Sportschütze erst seit wenigen Monaten legal besessen haben.

Rechtsanwalt Frank Göpper ist Geschäftsführer beim Forum Waffenrecht in Ratingen. Er sagt: „Das Waffenrecht ist schon streng genug, wir lehnen eine Verschärfung ab.“ Dem Forum Waffenrecht gehören 200 Verbände und Vereine an, die etwa 750.000 Mitglieder vertreten. Keine der angedachten Verschärfungen hätte die Tat in Hamburg verhindert, sagt Göpper. Vielmehr seien deutliche Warnhinweise missachtet worden. So gab es zwar eine unangemeldete Kontrolle der Polizei in der Wohnung des späteren Täters, nachdem im Januar bei der Waffenbehörde ein anonymer Hinweis eingegangen war. Danach soll der Mann psychisch krank gewesen sein und wütend auf ehemalige Arbeitgeber und Glaubensbrüder. Die Polizeikontrolle blieb jedoch bis auf eine mündliche Verwarnung wegen nicht ordnungsgemäß verschlossener Munition ohne Folgen. Seine Pistole durfte der Mann behalten.

Göpper sagt: „Es ist wie im Fall Hanau: Alle Infos waren vorhanden, sie wurden nur nicht sachgerecht gedeutet und zusammengeführt.“ Der Täter hatte ein Buch geschrieben, in dem er offenkundig Wahnvorstellungen verbreitete. „In dem Buch wird Hitler wohl als ‚Werkzeug Christi‘ verherrlicht und der Holocaust verteidigt – da erwarte ich doch als Bürger, dass der Verfassungsschutz so etwas erkennt“, sagt Göpper. Wer eine Waffenbesitzkarte beantragt, wird seit 2020 auch vom Verfassungsschutz überprüft. „Seine kruden politischen Einstellungen sind da offenbar nicht aufgefallen.“

Auch der Bundestagsabgeordnete und Innenpolitiker Marc Henrichmann (CDU) sieht keinen Anlass für eine Verschärfung des Waffenrechts. Sie werfe vielmehr ein Schlaglicht auf Versäumnisse der lokalen Behörden im Umgang mit dem späteren Schützen, für dessen mangelnde Zuverlässigkeit es mehrere Anhaltspunkte gegeben habe. „Es ist unverantwortlich, dass die Hamburger Behörden dem Täter die waffenrechtliche Erlaubnis nicht entzogen haben“, sagte Henrichmann. „Unsere Waffengesetze bieten alle Möglichkeiten, bei psychischen Auffälligkeiten die Waffen sofort einzuziehen – bis der Sachverhalt geklärt ist.“

Ähnlich sieht es Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Innen- und Rechtspolitik in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Es ist richtig, dass nach grausamen Gewalttaten wie der Amoktat von Hamburg genau geschaut wird, ob unsere Gesetze ausreichen“, sagte sie unserer Redaktion. „Reflexartige Rufe nach Verschärfungen des Waffenrechts gehen aber meist an der Sache vorbei und sind oft politische Ablenkungsmanöver.“ Bei dem Amoktäter von Hamburg habe es offen zugängliche Anzeichen und sogar einen konkreten Hinweis auf psychische Probleme gegeben. „Unser strenges Waffenrecht enthält für solche Fälle schon Möglichkeiten wie ein sofortiges Waffenverbot, die Anordnung eines psychologisches Gutachten und auch den Entzug der Waffenerlaubnis bereit.“ Die Hamburger Waffenbehörde müsse erklären, warum sie diese Möglichkeiten nicht genutzt habe.

Göpper spricht von wenigen Einzelfällen, bei denen schwere Straftaten mit legalen Waffen verübt werden. „Bei Tötungsdelikten sind es unter zehn Fälle im Jahr“, sagt er. Die Forderung nach einer Verschärfung des Waffenrechts komme jedes Mal reflexartig. „Aber völlig unabhängig davon, ob das was bringen würde oder nicht – das ärgert uns, wir wollen schließlich auch nicht, dass Extremisten Waffen haben.“

Zur Forderung nach einer psychologischen Begutachtung aller Antragsteller sagt Göpper: „Das Problem mit diesen Gutachten ist: Es ist immer nur eine Momentaufnahme.“ Und: Man könne auch bei Verdachtsmomenten Waffenbesitzer einer Begutachtung zuführen – dies wurde nur im Fall des Hamburger Täters versäumt. Auch Henrichmann sagt, dass man mehr Sicherheit nicht durch mehr Regeln bekomme, wenn schon die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht vollzogen würden. Sogenannte Reichsbürger, Extremisten und psychisch kranke Personen müssten schnell und konsequent entwaffnet werden – „unser Waffengesetz gibt das her“.

Die Hamburger Polizei hat inzwischen einen Extremismusforscher mit der Begutachtung des Buches beauftragt. Der kommt zu dem Schluss, dass der Hamburger Amokläufer aus religiösen Motiven gehandelt hat. Wie der „Spiegel“ berichtet, finden sich in dem Buch laut Gutachten keine Hinweise darauf, dass der Verfasser ein Attentat begehen könnte.

Etwa zwei Wochen nach der Amoktat sind die neun Menschen, die schwer verletzt worden waren, außer Lebensgefahr, wie ein Sprecher der Zeugen Jehovas diese Woche mitteilte.

(mit dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort