Aktuelle Umfrage-Zahlen Lehrkräfte beklagen mehr Gewalt unter Schülern
Köln · Vom Mobbing bis zur Prügelei: Lehrerinnen und Lehrer erleben bundesweit immer mehr Gewalt unter Schülern. Nur wenige Schulen erfassen Gewaltvorfälle systematisch. Experten fordern mehr Hilfen und nehmen auch die Eltern in die Pflicht.
Gewalt und Mobbing haben an Schulen bundesweit zugenommen. Das hat eine repräsentative Umfrage unter 1031 Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen ergeben, die das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) im August in Auftrag gegeben hatte. Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte registriert eine Zunahme psychischer und physischer Gewalt unter Schülern seit Ende der Corona-Pandemie. Vier von zehn Lehrern waren im vergangenen Schuljahr mindestens einmal in der Woche mit psychischer Gewalt befasst, drei von zehn mit körperlicher, wie die Umfrage zeigt, die am Montag vorgestellt wurde.
44 Prozent gaben an, körperliche Gewalt habe zugenommen. Die DGUV ist der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Insbesondere psychische Gewalt wie Beleidigungen und Beschimpfungen sowie Mobbing sei demnach häufig zu beobachten. Zu den am häufigsten beobachteten Formen psychischer Gewalt gehören Beschimpfungen, Beleidigungen, Anschreien und Herabsetzen, was von knapp der Hälfte der Befragten häufig wahrgenommen wird. Mobbing als systematisches Ausgrenzen, Verspotten und Lächerlichmachen unter Schülerinnen und Schülern wird von rund einem Drittel der Lehrkräfte häufig wahrgenommen. 23 Prozent nennen auch Cyber-Mobbing über Internet und soziale Medien.
„Die Umfrage bestätigt, was auch wir von den Schulen erfahren“, sagte Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands NRW. „Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft: Wir stellen eine Verrohung der Sprache fest, aber auch eine immer geringere Frustationstoleranz und eine gewisse Hemmungslosigkeit, was Beleidigungen und Gewalt angeht.“
Als Gründe sehen 93 Prozent der Lehrer persönliche Faktoren wie Impulsivität oder Mangel an Empathie. 78 Prozent gaben familiäre Gründe an wie geringe Bildung der Eltern oder Gewalt im Elternhaus. Auch der Konsum problematischer Medien wurde genannt – etwa in Form ungefilterter, teils falscher Information im Netz. Seltener werden schulische Faktoren (28 Prozent), etwa negatives Schulklima, als Gründe für psychische Gewalt vermutet.
Ein Drittel der befragten Lehrkräfte beobachtet häufig Schläge und Tritte. 18 Prozent geben zudem Haareziehen und Kneifen an. Acht Prozent antworten, dass sie Angriffe mit Gegenständen häufig wahrnehmen. Die Umfrage zeigt auch: Lehrkräfte an Gymnasien berichten seltener über psychische und körperliche Gewalt als Lehrkräfte anderer Schulformen.
Das kann Bartsch bestätigen. „Ich habe den Eindruck, an den Gymnasien interessieren sich die Eltern noch ein bisschen mehr für ihre Kinder, das Thema ist aber auch dort längst angekommen“, sagte er. Bartsch kennt auch Fälle, in denen Lehrer Opfer von Mobbing und Gewalt wurden. So sei ein Schulleiter in NRW kürzlich von einem Vater tätlich angegriffen worden. Bartsch sagt: „Wir brauchen eine Registrierung der Fälle mit einer Weitergabe an die Schulleitung – ich kann mir gut vorstellen, dass viele Lehrer auch erst einmal versuchen, das Problem selbst im Kreis der Klasse zu lösen.“
Seiner Meinung nach wäre es hilfreich, bei den Bezirksvertretungen Ansprechpartner zu haben, mit denen betroffene Lehrkräfte vertraulich sprechen könnten. Nur ein Viertel der Befragten gab an, dass Gewaltvorfälle systematisch an ihrer Schule erfasst werden. Bartsch ist der Auffassung, dass die Pandemie und die Isolation der Kinder und Jugendlichen zwar zur Gewaltproblematik beigetragen haben, „es sind aber in der Hauptsache die sozialen Medien, die junge Leute auf eine ungute Art beeinflussen“, sagt er.
Andrea Heck, Vorsitzende des Elternvereins NRW, sagte: „Das Problem ist nicht neu.“ Sie forderte psychologische Unterstützung sowohl für Opfer als auch Täter: „Es gibt viel zu wenige Schulpsychologen und Orte, an die auch Eltern sich wenden können.“ Auch die befragten Lehrkräfte wünschen sich mehr Hilfe und mehr Schulsozialarbeiter – außerdem konsequentere Haltung von Kollegium und Schulleitung.
Heck forderte, Lehrkräfte weiterzubilden, damit sie Mobbing früh erkennen. „Das wäre auch für viele Eltern wichtig“, betonte sie. Den Kindern fehlten oft gute Vorbilder.
Hintergrund der Umfrage
Für die Umfrage befragte Forsa 1031 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Die Umfrage lief vom 2. August bis 27. August als Online-Befragung. Die Teilnehmenden wurden mithilfe einer Zufallsstichprobe ausgewählt. Die Ergebnisse sind mit einer Fehlertoleranz von +/- drei Prozentpunkten auf die Gesamtheit aller Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland übertragbar.